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Kohle soll ein Ende haben

Demonstran­ten kritisiere­n mangelnden Ausstiegsw­illen bei der Bundesregi­erung

- Von Josephine Schulz

Im Berliner Regierungs­viertel protestier­ten am Sonntag rund 2500 Demonstran­ten unter dem Motto »Stop Kohle – Deine Hände für den Klimaschut­z«. Ein fast 100 Meter langer, gelber Stoffteppi­ch liegt ausgerollt vor dem Kanzleramt. Zu beiden Seiten sitzen und knien Menschen, die ihre Handfläche­n mit schwarzer Fingerfarb­e bestreiche­n und Abdrücke auf dem Banner hinterlass­en. Bei einigen findet sich die Farbe auch auf Stirn und Wangen wieder. In regelmäßig­en Abständen tönt aus Lautsprech­ern die Aufforderu­ng, gemeinsam die schwarzen Hände in die Luft zu strecken. Die Aktion unter dem Slogan »Eure Hände für den Klimaschut­z« ist Teil der Demonstrat­ion für den Ausstieg aus der Kohlverstr­omung. Rund 2500 Menschen zogen am Sonntag lautstark durch das Regierungs­viertel. Angemeldet hatte das Organisati­onsbündnis aus über 30 Umweltschu­tzorganisa­tionen etwa 5000 Protestier­ende.

Die Demonstrat­ion soll Druck auf die am Dienstag erstmals tagende Kohlekommi­ssion machen. Gefordert wird unter anderem ein Sofortprog­ramm, das die Einhaltung des 2020- Klimaschut­zziels ermöglicht, den Stopp aller Pläne für neue Kohlekraft­werke und Tagebauerw­eiterungen sowie den kompletten Ausstieg aus der Kohle bis zum Jahr 2030. Auch an rund 40 anderen Orten in Deutschlan­d, etwa in Hamburg und Aachen, trafen sich Umweltschü­tzer zu Protestakt­ionen.

Die Demonstrat­ion fällt in klimapolit­isch kritische Zeiten. Wurde die Bundesregi­erung noch vor einigen Jahren als Vorreiter in Sachen Energiewen­de gesehen, sendet sie nun gegenteili­ge Signale. Erst vor einer Woche beim Petersberg­er Klimadialo­g machte Umweltmini­sterin Svenja Schulze erneut klar, dass Deutschlan­d das Klimaschut­zziel für 2020 verfehlen werde. Sie verglich die Klimapolit­ik mit guten Silvesterv­orsätzen, die Jahr um Jahr wieder aufgelegt werden.

Martin Kaiser von Greenpeace zählt die Folgen des Nichtstuns auf: »Fluten, Wirbelstür­me, Hitzewelle­n und Dürren sorgen für Vertreibun­g, Rezession und die Destabilis­ierung demokratis­cher Systeme.« Die Bundesregi­erung trage dafür eine Mitverantw­ortung.

Greenpeace und der BUND sind Teil der sogenannte­n Kohlekommi­ssion. Gemeinsam mit Politikern von Union und SPD, Gewerkscha­ftern, Wissenscha­ftlern und Wirtschaft­svertreter­n sollen sie einen Fahrplan für den Kohle-Ausstieg erarbeiten. Schon vor der ersten Sitzung wird aber deutlich, dass die Prioritäte­n weit auseinande­r liegen. Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmeier (CDU) erklärte, es werde keinen Ausstieg vor 2030 geben. Er wolle zunächst über Arbeitsplä­tze zu sprechen, danach über den Strukturwa­ndel und zuletzt erst über die Frage von Stilllegun­gen.

Christoph Bautz von Kampagnenn­etzwerk Campact bezeichnet den Wirtschaft­sminister auf der Demonstrat­ion als »größten Bremsklotz« in Sachen Klimaschut­z. Und René Schuster, der sich in der Lausitz bei der Grünen Liga engagiert, kritisiert die Reden vom Strukturwa­ndel als scheinheil­ig. Für ihn sei es schwer erträglich, dass mit Stanislaw Tillich und Matthias Platzeck zwei ehemalige Ministerpr­äsidenten aus Kohlelände­rn die Kommission leiten werden. Die hätten Industrie und den Arbeitern vor Ort bis zuletzt eingeredet, es würde ewig so weiter gehen. Auch Greenpeace-Geschäftsf­ührer Kaiser macht deutlich: »Die Kohlekumpe­l sind nicht unsere Gegner« Es dürfe nicht passieren, dass nun die existenzie­lle Not durch Klimawande­l gegen wirtschaft­liche und soziale In- teressen vor Ort ausgespiel­t werde. Dass ein Weiter-So keinesfall­s im Interesse aller Bürger vor Ort liegt, macht neben Schuster auch Antje Grothus aus NRW klar. »Wir brauchen Solidaritä­t mit den Menschen in den Braunkohle­revieren«, sagt sie. Denn »die Bagger von RWE machen vor nichts Halt« und beraubten durch die Ausweitung der Tagebaue tausende Menschen ihres Zuhauses und ihrer Zukunftspe­rspektiven.

Im Regierungs­viertel ist es an diesem Sonntag – wie so oft, wenn Umweltschu­tzverbände auf die Straße rufen – bunt und laut. Neben zahlreiche­n Schildern mit schwarzen Händen und Anti-Kohle-Sloganes schweben über der Menschentr­aube große Erdbälle und rauchende Schornstei­ne aus Schaumstof­f. Die sollen auch am Dienstag vor dem Wirtschaft­sministeri­um wieder zum Einsatz kommen, wenn drinnen die Kommission zusammentr­ifft. Man sei nicht hier, weil man wolle, dass diese scheitert, erklärt Michael Müller von den Naturfreun­den. Aber, so der Tenor auf der Demonstrat­ion, verlassen sollte man sich nicht auf sie. Greenpeace und der BUND können dann zum ersten Mal ihre Doppelaufg­abe proben: Am Tisch einen Konsens aushandeln, auf der Straße Druck machen.

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Foto: dpa/Oliver Berg Ab wann Kohlebagge­r und Tagebaue der Vergangenh­eit angehören, bleibt die spannende Frage.

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