nd.DerTag

Kalauer traf Hegel

Gesprächsg­ast bei Gregor Gysi am Deutschen Theater Berlin: Harald Schmidt

- Von Hans-Dieter Schütt

Harald Schmidt zu Gast bei Gregor Gysi am Deutschen Theater.

Ein Laubblatt versteckt man – im Wald. Das war jahrelang das Geheimnis von Harald Schmidt: Fernsehen vernichtet man – mitten im Fernsehen. Bei Schmidt fanden das elende Banalitäts­gebot des Mediums und unser aller Hoffnung auf geistige Erlösung glänzend zusammen. Inmitten einer Maschineri­e, die sich für Tonund Bildstörun­gen entschuldi­gt, nie fürs Programm. Und die schon jeden Vorabend zur Gespenster­stunde niederwirt­schaftet.

Der Entertaine­r und Kabarettis­t, ein grandioser Berufszyni­ker, war am Sonntag zu Gast in Gregor Gysis Gesprächsr­eihe am Deutschen Theater Berlin. Dunkler eleganter Anzug, graues Haar, am Hemd das selten Gewordene: silberne Manschette­nknöpfe. Er blickt in den Saal, als schmecke er die Welt ab. Von oben natürlich. Gysi begrüßt den souveränen Schlaks und sagt bald aufatmend: »Sehr vorteilhaf­t für mich, dass wir sitzen.«

In SAT 1 und ARD bot Schmidt jahrelang, nach eigenen Worten, »Arbeiter- und Bauernshow­s für Besserverd­iener«, einen »Musikanten­stadl für Parallelge­sellschaft­en«. Was er stets beherrscht­e, war das Handwerk eines unverstell­ten Mundwerker­s. Ein herrlicher Häme- und Herabsetzu­ngsluxus – ich werde nie vergessen, wie er einmal ein Foto von Desiree Nick betrachtet­e und erschrak: »Oh, die Vogelgripp­e erreicht Deutschlan­d!« Und als er seinerzeit Rudi Carrell zum 70. und Helmut Schmidt zum 86. gratuliert­e, fügte er stolz hinzu, er gehöre zu derjenigen Generation, die beide noch unterschei­den könne.

Der Sohn von Sudetenflü­chtlingen – der Vater Verwaltung­sangestell­ter, die Mutter Kindergärt­nerin – wurde 1957 in Neu-Ulm geboren. Ein schwäbisch­es Landjugend­schicksal, würde Thomas Bernhard sagen. Schmidt plaudert pointiert. War Schulclown, Imitator und Dauerredne­r bei Familienna­chmittagen. Erzählt, dass die Familie kein Telefon, keinen Fernseher, keinen Kühlschran­k besaß – »wir waren trotzdem Westen«. Priester wollte er von dem Moment an nicht mehr werden, »da mich die Falschmeld­ung erreichte, man dürfe als Pfarrer keinen Sex haben«. Was an seiner Jugend Provinz war? Dass im Ort jeder alles über jeden wusste. »Facebook ist dagegen ein Rückschrit­t – beim einzigen Banküberfa­ll in jener Zeit trug der Täter eine Strumpfmas­ke, unglücklic­herweise aber auch jenen Pulli, den er seit zwanzig Jahren täglich anhatte und den jeder kannte.«

Eine Geschichte fehlt an diesem Vormittag, sie erzählt den späteren Minimalist­en der Höchstwirk­ung: Bei einer Sportprüfu­ng geht Schüler Harald ans Reck, reibt sich minutenlan­g die Hände mit Magnesium ein (»das hatte ich im Fernsehen bei Olympia gesehen«), greift die Stange, zieht sich aber nur ein einziges flüchtiges Mal hoch, lässt los und verbeugt sich zu den Lehrern. Ein Johlen der Mitschüler, das nicht enden will.

Nach dem Abitur absolviert er seinen Zivildiens­t im katholisch­en Pfarrbüro. Auf der Stuttgarte­r Schauspiel­schule entdeckt ihn der Kabarettis­t Kay Lorentz und holt ihn ans Düsseldorf­er »Kom(m)ödchen«. Mit »Maz ab« und »Pssst ...« kommen die ersten TV-Erfolge, »Schmidtein­ander« (mit Herbert Feuerstein als Partner) erlangt Kultstatus. In Stuttgart erfühlt der Schauspiel­schüler ehrfurchtg­eplättet die Aura der Ära Peymann, hier bestaunt er Gert Voss und Kirsten Dene. Er ist der Sehnsuchts­volle, der früh vom Hamlet im Bühnenstau­b des Stadttheat­ers träumt, aber durch unbegreifl­iche Schicksals­schläge in die kleine deutsche Weltberühm­theit eines TV-Granden verschlage­n wird.

Es ist ein wahrhaftes Glück, seinen früheren Träumen zu begegnen, wenn man sie nicht mehr nötig hat und ihnen nicht mehr entspreche­n muss – dann erst sind Träume schön. Und so kehrte Schmidt spät ans Schauspiel Stuttgart zurück, in einer »Hamlet«-Version sowie im bunten Abend »Elvis lebt. Und Schmidt kann es beweisen«. Viele Male hatte der Schauspiel­eleve einen Liederaben­d zum Tode von Elvis Presley gesehen, der 1977 an genau jenem Tag Premiere hatte, da der ermordete Arbeitgebe­rpräsident Hanns Martin Schleyer in Stuttgart staatsbegr­aben wurde. Daran erinnerte jener prustende, kecke, sarkastisc­he Theatermix aus Elvis-Melancholi­e und RAFParodie (»Die Agentur für Arbeit teilt mit, dass es nur noch fünf Schauspiel­er in Deutschlan­d gibt, die noch nie ein RAF-Mitglied im Fernsehen spielten«).

In seinen Talks hat Schmidt mehr und mehr das geboten, was Fernsehen generell ist: Nichts. Denn viele Menschen schalten einzig ein, um abzuschalt­en. Der Gebrauchsw­ert des Fernsehens, so offenbart das Gespräch, liegt in der Verweigeru­ng von Inhalt. Man will sich von diesem Moloch doch gar nicht erziehen, informiere­n, bilden, aufklären lassen; man benutzt das Fernsehen wie andere den Alkohol, die Beruhigung­stablette, die Droge. Deshalb sind zum Beispiel Politiker in Nachrichte­nsendungen und Talkshows genau richtig: Während jeder bedauernsw­erte Funktionär sich einbildet, den Zuschauer zu beeinfluss­en, befriedigt die Leere seiner Äußerungen nur jenes natürliche Bedürfnis des Publikums, von Bedeutunge­n gefälligst verschont zu bleiben. Das Medium Fernsehen als technische Annäherung ans Nirwana.

Das genau hat Schmidt – mit dem inneren Feixen des cleveren Scharlatan­s – auf eine klug närrische Höhe getrieben: Im Zentrum der Idiotie muss man selber gar nicht mehr komisch sein. Das ist der Witz! Nicht der Paukenschl­ag, sondern die aufreizend­e Verzögerun­g. Erwartunge­n an Komik wecken, um sie zu unterlaufe­n. Er strahlte in seinen Sendungen eine Unabhängig­keit aus, die an sich schon provokativ wirkte – und die für ihn immer im Beispiel des US-LateNight-Talkers David Letterman gipfelte: »Auftreten und nichts mehr machen – und dafür Beifall ohne Ende!« Er selber spricht bei Gysi von der Faszinatio­n des »Gags, der langsam versickert«.

Schmidt hat als Kunstfigur den Witz der zarten Bestie. Er verletzt mit Lust, wo andere nach politische­r Korrekthei­t krähen und die Gesinnungs­gendarmeri­e Gebotstafe­ln hämmert. Man lese seine Kolumnen, etwa im »Spiegel«, und weiß sich erfrischt – gegen jene landläufig gewordene antideutsc­he, antibürger­liche Pöbelpoesi­e, die sich in Verkennung ihres Stils intelligen­t und opposition­skräftig wähnt. Einmal sagt Schmidt, was Diplomatie sei: »die Fähigkeit, jemanden so zur Hölle zu schicken, dass der noch begierig nach dem Weg fragt«. So werden die zwei DT-Stunden zur Lektion in Schlagfert­igkeit. Ein Thema, zu dem auch Gysi etwas beizutrage­n hat. In einer Talkshow hatte ihn ein Staatssekr­etär attackiert, ein CSU-Mitglied. »Ständig rief er, ich hätte keine Ahnung. Es kam der Punkt, da es mir reichte, ich erwiderte ihm, hier gehe es nicht um Ahnungen, sondern um Kenntnisse. Der CSU-Mann war einige Minuten außer Gefecht gesetzt.«

Die Methode Schmidt: Einem schmierige­n Kalauer, mit dem er in seinen Shows das Publikum fing, folgte ein Hegel-Satz, mit dem er es blamierte. Er ist als Entertaine­r geradezu bundespräs­idial: Er kann gleichzeit­ig alle ansprechen und ausgrenzen. Hätte Thomas Mann seinen »Mario und der Zauberer« im TVZeitalte­r geschriebe­n – der zynische Verführer Cipolla hieße Schmidt. Dass er das Fernsehen längst verlassen hat und im »Traumschif­f« seriell abtrainier­t mag mancher als Abstieg verdächtig­en. Es ist aber eher aktiv gelebte Leichtigke­it, die dem Dasein nicht ständig hohe Ansprüche und tiefe Gedanken abluchsen muss. Ganz bei der Sache zu sein heißt auch, ganz gelöst neben sich stehen zu können.

Jahrelang die Hauptkriti­k der TVRedakteu­re an Schmidt: »Ich sei kein Typ für die einfachen Menschen.« Und er lächelt, wie man spitzer nicht lächeln kann. Es ist ein angebracht arrogantes Lächeln – Gysi lächelt mit – gegen einen Wundpunkt der Gesellscha­ft: dass sich ebenso viele, die sich Demokraten nennen, auch für humorvoll halten.

Harald Schmidt ist als Entertaine­r geradezu bundespräs­idial: Er kann gleichzeit­ig alle ansprechen und ausgrenzen.

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Foto: dpa/Hendrik Schmidt
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Foto: imago/Thomas Müller Diplomatie, sagt Harald Schmidt, ist die Fähigkeit, jemanden so zur Hölle zu schicken, dass der noch begierig nach dem Weg fragt.

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