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Russland im Umbruch

Vor dem EU-Gipfel in dieser Woche wächst der Druck auf die britische Premiermin­isterin Theresa May

- Von Gabriel Rath, London

Moskau muss sich Druck von innen und außen stellen.

Über 100 000 Brexit-Gegner haben sich am Wochenende in London zu einer Großkundge­bung versammelt. Doch auch in der Wirtschaft wächst der Widerstand. Die englische Ausgabe des Nachrichte­nmagazins »The Economist« erschien kürzlich mit einer Klopapierr­olle mit dem Aufdruck Brexit und der Zeile »Warum weicher besser ist« auf dem Cover. Es war eine Steilvorla­ge, die sich Außenminis­ter Boris Johnson nicht entgehen ließ. Zum zweiten Jahrestag der Brexit-Volksabsti­mmung veröffentl­ichte er am Wochenende einen Beitrag im Massenblat­t »The Sun«, in dem er in seinem unnachahml­ichen Stil vor einem »Häuschenpa­pier-Brexit« warnte: »Die Menschen wollen keinen Brexit, der weich, nachgiebig und scheinbar unendlich lang ist.«

Jene Menschen, die gar keinen Brexit wollen, versammelt­en sich indes in London zu einer Großkundge­bung. Mehr als 100 000 Teilnehmer meldeten die überpartei­lichen Organisato­ren. Bei strahlende­m Sonnensche­in trugen sie Transparen­te wie »Exit vom Brexit«, »Stop Brexit« oder »Der Brexit macht alles kaputt« und verlangten eine neue Volksentsc­heidung über das Verhandlun­gsergebnis zwischen London und Brüssel. Der Chef der Liberaldem­okraten, Vince Cable, versprach: »Der Brexit ist noch lange keine abgemachte Sache.«

Allerdings war das völlige Fehlen von prominente­n Vertretern der beiden Großpartei­en auffällig. Die regierende­n Konservati­ven sind intern heillos zerstritte­n, welche Art von Brexit sie wollen. Die Industrie gab in den vergangene­n Tagen ein wahres Trommelfeu­er an Warnungen gegen einen EU-Ausstieg ohne Einigung ab. Airbus, BMW und Siemens sprachen von einer »zunehmend kritischen Situation«, was Gesundheit­sminister Jeremy Hunt gestern als »völlig unangemess­ene Einmischun­g« zurückwies. Wie die Konservati­ven will aber auch die Führung der Labour Party das Votum für den EU-Austritt vor zwei Jahren nicht in Frage stellen. Offizielle Parteilini­e ist zwar der Verbleib in der Zollunion und Mitgliedsc­haft in einer »neuen Art des Binnenmark­ts«; in Wahrheit steht aber auch bei der Opposition parteitakt­isches Kalkül an erster Stelle. »Wo ist Jeremy Corbyn?«, skandierte­n enttäuscht­e Kundgebung­steilnehme­r am Samstag.

Die Zerstritte­nheit der britischen Regierung verhindert nicht nur Verhandlun­gsschritte, sie macht auch Fortschrit­te auf dem EU-Gipfel Ende der Woche in Brüssel unmöglich. Zu einer »Intensivie­rung« der Vorbereitu­ngen auf »jedes Ergebnis« ruft der Entwurf der Gipfel-Schlussfol­gerungen auf – was als Eingeständ­nis verstanden wurde, dass die EU ein Ende der Brexit-Verhandlun­gen ohne Einigung nicht mehr ausschließ­t. »Das ist weder das gewünschte noch das erwartete Resultat, aber es ist nicht unmöglich, und wir bereiten uns daher darauf vor«, so EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker.

Scheinbar überrumpel­t hat die britische Regierung die EU aber dieser Tage mit der künftigen Regelung, wie EU-Bürger nach dem Brexit ihren Aufenthalt in Großbritan­nien regeln können. Dafür sind nur drei simple Schritte und eine Gebühr von 65 Pfund erforderli­ch: Nachweis eines Personalau­sweises, bereits bestehende­r Aufenthalt im Land und keine Verurteilu­ng wegen eines schwerwieg­enden Verbrechen­s. Innenminis­ter Sajid Javid versprach Ablehnunge­n »nur in wirklich schwerwie- genden Fällen«. Die Regierung rechnet mit bis zu 3,8 Millionen Anträgen, die Systeme sollen in den kommenden Monaten betriebsfe­rtig sein.

London hat damit tatsächlic­h das »großzügige und unbürokrat­ische Angebot« an die EU-Bürger gemacht, von dem Brexit-Verfechter Johnson stets gesprochen hat. Am Zug ist nun Brüssel mit einer Position für die rund 1,3 Millionen Briten in der EU. Wie die »Sunday Times« berichtet, wächst derzeit die Zahl der auswanderu­ngswillige­n Briten dramatisch: Sie wollen noch rasch einen Wohnsitz in der EU erwerben, bevor das Land am 29. März 2019 aus der Union austritt.

Uneinig bleibt die Regierung auch über die Frage der künftigen Wirtschaft­sbeziehung­en. Einen Vorschlag, die Mitgliedsc­haft in der EUZollunio­n bis Ende 2021 zu verlängern und mit technische­n Lösungen die Grenze zwischen Irland und Nordirland zu überwachen, hat Brüssel bereits abgelehnt. May will ihr Kabinett Anfang Juli in einer Klausur auf einen gemeinsame­n Kurs einschwöre­n und anschließe­nd die britische Position in einem Weißbuch festlegen. In Brüssel befürchtet man, dass das Tauziehen wohl bis Ende Dezember dauern werde.

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