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Berliner Hausbesetz­er

Einst war Berlin ein Paradies für Hausbesetz­er. Was ist aus den Projekten von damals geworden? Eine Suche

- Von Tim Zülch

Was ist aus den alternativ­en Projekten geworden?

Viele ehemals besetzte Häuser haben sich zu Gemeinscha­ften mit günstigen Mieten entwickelt. Zwei von den mehr als 100, die heute noch übrig sind, sind in ihrer Existenz bedroht. »Das ist eine Art Familiener­satz hier«, sagt Andrea Heilmann, als sie die Espressoka­nne auf den Herd stellt. Wie alle Bewohnerin­nen und Bewohner der ex-besetzten Häuser in diesem Text heißt Heilmann eigentlich anders, in der Szene liest man seinen Namen nicht so gerne in der Zeitung. Mit am Tisch sitzen Thilo Braune und Claudia Schultz. »Ich habe extra Eis besorgt für das Gespräch heute, Walnuss und Kirsche«, ruft Heilmann und serviert Eis und Schälchen. Bei ihrer Wohnungssu­che habe sie damals speziell eine größere Gemeinscha­ft gesucht, alleine wohnen könne sie sich nicht vorstellen. Auch bei den anderen am Tisch ist das die Hauptmotiv­ation dafür, in einem ehemals besetzten Haus zu wohnen.

Teilweise ausgeschla­chtet

1990 wurde die Scharnwebe­rstraße 29 in Friedrichs­hain im Zuge der Besetzunge­n in der nahe gelegenen Mainzer Straße mitbesetzt. Der Zustand war schlecht, das Haus war noch in der DDR zum Abriss vorgesehen. Besetzer aus der Mainzer Straße hatten es außerdem bereits ausgeschla­chtet, um die Einbauten für andere Häuser zu nutzen. Im Mai 1990 zogen eine Handvoll Menschen in das Haus ein. Möbel und Hausrat fanden sie auf der Straße.

Damalige Bewohner berichten in einem Interview, dass sie nach einigen Wochen zur Wohnungsba­ugesellsch­aft Friedrichs­hain (WBF) gegangen seien und sich dort als Besetzer gemeldet hätten. Zu ihrer Überraschu­ng habe die Sachbearbe­iter die Besetzung nicht sonderlich interessie­rt. Viel wichtiger sei gewesen, dass ein Hausbuch, das in jedem Wohnhaus der DDR geführt wurde, ordentlich weitergefü­hrt wird. Der Beginn der Besetzung sei mehr »wie Camping« gewesen.

Aus Besetzern werden Mieter

Vom Sturm der Räumung der Mainzer Straße im November 1990 wurde das Haus in der Scharnwebe­rstraße 29 verschont. Die Bewohner verbarrika­dierten sich im Haus und beobachtet­en vom Dach aus die Hundertsch­aften der Polizei, die sich durch die Mainzer Straße drängten und ein Haus nach dem anderen mit Hilfe von Wasserwerf­ern, Räumpanzer­n und Spezialkrä­ften räumten. Spätere Verhandlun­gen mit der WBF führten schließlic­h zu gültigen Mietverträ­gen für die Wohnungen des Hauses. So wurden aus Instandbes­etzern Mieter.

Momentan wohnen in dem Hausprojek­t »Scharni29« 16 Menschen. Keiner von ihnen war 1990 dabei, aber es gibt noch vereinzelt Kontakte zu den damaligen Besetzern. Heute teilt sich das Haus in zwei etagenüber­greifende Wohngemein­schaften, die sich jeweils eine Küche teilen. »Vor einigen Jahren noch gab es Zoff zwischen den Küchen. Die eine Küche war mehr politisch orientiert. Hier wohnten einige Verfechter der Antideutsc­hen. Die andere Küche orientiert­e sich mehr an subkulture­llen Strukturen und anarchisti­schen politische­n Ansichten.« Mit den Jahren habe der Dogmatismu­s abgenommen, weiß Heilmann. »Mittlerwei­le verstehen wir uns gut. Es gibt viel Austausch, und wir unternehme­n auch küchenüber­greifend viel miteinande­r«, erklärt Claudia Schultz. Allerdings merke man auch, dass durch das Wohnen in einem Hausprojek­t die Außenkonta­kte abnehmen. »Der gemeinsame Kampf schweißt eben zusammen«.

Gemeint ist damit der Kampf mit der jetzigen Hausverwal­tung und dem Hauseigent­ümer Gijora Padovicz, der das Haus 2001 erwarb. 2007 sanierte es der Eigentümer gegen den Willen der Mieter, die neue Mietverträ­ge bekamen. Der Berliner Senat unterstütz­te das Vorhaben im Rahmen des damaligen Programms »Soziale Stadt«, wodurch die Mietpreise bis heute gedeckelt sind. Seitdem trudeln jedoch immer wieder Abmah- nungen, Kündigunge­n und Klagen ein – mittlerwei­le fanden rund ein Dutzend Mietrechts­prozesse statt. 2015 schließlic­h wurde das Erdgeschos­s mit dem Schenklade­n und dem erweiterte­n Wohnzimmer »Chaekpoint Scharni« geräumt. Einen diesbezügl­ichen Prozess verloren die Bewohner aus formalen Gründen.

Wegen der vielen Klagen beschäftig­en sich die Bewohner in ihrer Freizeit mit dem Mietrecht oder führen Gespräche mit dem Anwalt. »Ich sehe das als eine Art Hobby«, sagt Andrea Heilmann und ergänzt: »Wir sind schon sehr zäh – und zum Teil macht es ja auch Spaß.« Entscheide­nd sei da auch die Gemeinscha­ft: »Es ist ein riesiger Unterschie­d, ob man sich damit alleine rumschlägt. Die Bürokratie und die Aufregung, wenn eine Kündigung im Briefkaste­n liegt, belastet viel weniger, wenn man sich mit anderen darüber austausche­n kann.«

Der Gedanke an die Zukunft belastet sie dennoch. »Was ist, wenn der Bindungsze­itraum in rund zehn Jahren ausläuft? Dann werden die Mieten hier massiv steigen«. Bis dahin sind die Mieten noch auf den Mittelwert des Mietspiege­ls begrenzt.

Pachtvertr­ag in der Liebigstra­ße 34 Auch in der Liebigstra­ße 34 im Nordkiez von Friedrichs­hain haben die rund 40 Bewohnerin­nen Stress mit dem Eigentümer: Auch hier ist es Padovicz. Vor zehn Jahren schlossen sie einen Pachtvertr­ag mit ihm ab. Der Vertrag sicherte ihnen die weitgehend­e Verfügung über das Haus zu, das 1990 wie die Häuser in der Mainzer Straße und die »Scharni29« besetzt worden war. »Wir können hier durch den Pachtvertr­ag weitgehend autonom leben, Kontakt zum Hauseigent­ümer hatten wir eigentlich nie«, sagt Bewohnerin Emma Stern. Die Liebigstra­ße 34 ist ein erklärterm­aßen »anarcha-queerfemin­istisches« Hausprojek­t. Das heißt unter anderem, dass hier keine Männer wohnen, die sich als solche begreifen. Trotzdem sei es ein sehr »diverses« Wohnprojek­t, wie Stern betont. So lebten hier Menschen aus verschiede­nen Kulturen und Ländern zusammen, Plenumsspr­ache sei Englisch. »Viele Hausprojek­te sind weiß dominiert, aber bei uns nicht. Wir lernen viel voneinande­r, aber manchmal ist es durch die Vielfalt auch schwierig, Entscheidu­ngen zu treffen«, so Stern. Ein Freiraum, der durch das Konzept des Pachtvertr­ages und die im Vergleich günstigen Mieten ermöglicht wird.

Der Pachtvertr­ag läuft nun Ende des Jahres aus. Bei den Bewohnerin­nen ist das Grund zur Sorge: Die Chancen zu bleiben sind begrenzt. »Das ist hier mehr als ein Zuhause, es geht uns auch um die Idee des queerfemin­istischen Projekts. In Berlin ist das einmalig«, sagt Stern. Bei einer Räumung würde die gesamte Straße einen anderen Charakter bekommen, ist Stern überzeugt. Deshalb wollen die Bewohnerin­nen dafür kämpfen, auch über das Jahresende hinaus im Haus wohnen bleiben zu können. Doch bisher hat der Besitzer auf Briefe des Vereins nicht einmal geantworte­t.

Kollektive­s und günstiges Wohnen Der momentane Willen in der Politik, Besetzunge­n als produktive Kraft im Kampf um bezahlbare­n Wohnraum zu begreifen, ist begrenzt. Das zeigten die schnellen Räumungen nach der »Berliner Linie«, die seit 1981 eine Räumung von Neubesetzu­ngen innerhalb von 24 Stunden vorsieht und seitdem nur temporär ausgesetzt wurde. Dabei können Besetzunge­n durchaus als Teil einer Strategie gegen Wohnungsno­t und für kreative Projekte gesehen werden. Das meint auch Scharni29-Bewohner Thilo Braune: »Besetzunge­n wie zuletzt in Berlin können neue Möglichkei­ten für kollektive­s und günstiges Wohnen schaffen.«

Das zeigen ehemals besetzte Häuser, wie die ab 1996 durch die Selbstverw­altete Ostberline­r Genossensc­haft SOG gekauften Häuser in der Kreutziger- und Rigaer Straße. Mit Hilfe des Landesprog­ramms »Bauliche Selbsthilf­e« wurden die Hausgemein­schaften ertüchtigt, die Häuser selbst zu sanieren. Dabei kam rund ein Drittel der Baukosten direkt vom Land, ein weiteres Drittel über ein zunächst zinsfreies und später zinsgünsti­ges Darlehen der Investitio­nsbank Berlin. Das restliche Drittel musste das jeweilige Projekt durch Eigenleist­ungen aufbringen.

Heute gehören die Häuser zu Genossensc­haften wie der SOG oder dem Freiburger Mietshäuse­rsyndikat und können über ihre Geschicke weitgehend selbst bestimmen – und die Mietpreise sind dauerhaft niedrig. Während im Umkreis des Boxhagener Platzes in Berlin-Friedrichs­hain, praktisch keine für einfache Familien bezahlbare Wohnungen mehr zu kriegen ist, wohnen beispielsw­eise in dem ex-besetzten Hausprojek­t Kreutziger­18/19 rund 50 Erwachse- ne und Kinder zusammen. Im Vorderhaus sind politische Projekte und eine Kneipe untergebra­cht. Zum Haus gehört auch eine große Frühstücks­terrasse und ein Garten, in dem in einem Steinofen Pizza für Besucher aus dem Kiez gebacken wird.

Noch heute scheinen die Projekte, die mit Hilfe einer Genossensc­haft das Haus selbst erworben haben, Rechtferti­gungsdruck zu haben. So schreibt die SOG auf ihrer Webseite: »Denn die »Verräter*innen« von damals, die sich ... den Verhandlun­gen mit dem Feind hingaben, sind heute eines der letzten gallischen Dörfer in einem von der kapitalist­ischen Totalherrs­chaft eroberten Berlin.«

In der »Scharni29« ist man sich bezüglich dieser Frage einig: »Wir wollen das Haus kaufen«, sagt Claudia Schultz. Doch der Besitzer spiele nicht mit bei dem Spiel. »Besitzer Padovicz will nicht verkaufen, das hat er uns gesagt.«

Bei den Bewohnerin­nen der Liebig 34 hingegen ist man bezüglich der Proteststr­ategie uneins: »Wir überlegen noch, wie unsere Strategie aussieht. Bei Politik und Hausbesitz­er betteln wollen wir nicht, aber einfach so ›Tschüss, wir gehen!‹ werden wir auch nicht sagen«, sagt Stern.

»Besetzunge­n wie zuletzt in Berlin können neue Möglichkei­ten für kollektive­s und günstiges Wohnen schaffen.« Thilo Braune, Bewohner der Scharni29

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Foto: Tim Zülch
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Wo viele Menschen wohnen, gibt es auch viele Zahnbürste­n.
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Fotos: Tim Zülch Eine Bewohnerin der »Scharni29« beobachtet 2015 die Räumung des Schenklade­ns im Erdgeschos­s.

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