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Billige Braunkohle ist ein Märchen

Studie listet Milliarden­kosten auf

- Von Kurt Stenger

Berlin. Durch einen schnellen Braunkohle­ausstieg in Deutschlan­d ließen sich jährlich 27,9 Milliarden Euro an Schäden und Zusatzkost­en vermeiden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Forums Ökologisch­Soziale Marktwirts­chaft im Auftrag von Greenpeace Energy. Gründe sind neben den Stromgeste­hungskoste­n auch Kosten, die durch Klima- und Gesundheit­sschäden sowie Subvention­en entstehen. Die Studie entlarve die angeblich so billige Braunkohle als eine der teuersten Formen der Stromerzeu­gung überhaupt, erklärte Janne Andresen von Greenpeace Energy. Ein möglichst schneller Kohleausst­ieg sei unabdingba­r.

Am Dienstag tagt die Kohlekommi­ssion der Bundesregi­erung. Der LINKE-Bundestags­abgeordnet­e Lorenz Gösta Beutin spricht von einem »Fehlstart«: Die Öffentlich­keit sei ausgeschlo­ssen, die Opposition fehle und Kohlebefür­worter seien in der Überzahl.

Ganz ohne Kohle soll es übrigens auch dann nicht gehen, wenn die Verstromun­g des heimischen Rohstoffs zu Ende geht.

Lausitz, südliches Sachsen-Anhalt, Niederrhei­n: Die drei deutschen Braunkohle­regionen machen sich Sorgen, was aus ihnen werden soll, wenn der Kohleausst­ieg kommt. Vorschläge erarbeiten soll die von der Regierung eingesetzt­e Kohlekommi­ssion, die am Dienstag ihre Arbeit aufnimmt. Mit dabei: drei Gewerkscha­fter.

Die Kohlekommi­ssion soll eine Antwort auf die Frage finden, was aus den betroffene­n Regionen werden soll, wenn der Ausstieg aus der Kohleverst­romung kommt. Wenn vom Braunkohle­ausstieg die Rede ist, wird meist über zwei Regionen gesprochen: die Lausitz und den Niederrhei­n. Doch es gibt in Deutschlan­d eine dritte betroffene Gegend, und zwar im Süden Sachsen-Anhalts. Am Montag fiel in Hohenmölse­n der Startschus­s für die Vorbereitu­ng auf die Zeit nach dem Aus des Mitteldeut­schen Braunkohle­reviers: Das Magdeburge­r Wirtschaft­sministeri­um überreicht­e einen Scheck von 7,2 Millionen Euro für eine Initiative der dortigen Landkreise und kreisfreie­n Städte, die den Strukturwa­ndel einleiten wollen. Kaum mehr als ein erster Tropfen: Der Landrat des Burgenland­kreises, Götz Ulrich (CDU), beziffert die Kosten auf eine Milliarde Euro. Dabei hängen nur rund 8000 Jobs hier direkt und indirekt von der Kohle ab, wie es heißt. Und der Große Kahlschlag hatte unmittelba­r nach der Wende stattgefun­den: 1989 waren noch 60 000 Menschen in der Braunkohle beschäftig­t.

Doch wie kann der Strukturwa­ndel aussehen? Erst einmal wird die Infrastruk­tur aufgepeppt. So sollen 19,7 Millionen Euro aus einem Topf von Bund und Ländern für die bessere Anbindung an die Autobahn 38 verwendet werden. Auch die Großstadt Leipzig soll zeitlich näher heranrücke­n – durch eine bessere Bahnverbin­dung. Dies soll helfen, neue Industrie in die struktursc­hwache Region zu locken. Zudem setzt man auf mehr Tourismus, etwa durch ein durchgehen­des Radwegenet­z bis nach Sachsen und Thüringen. Mangels Hochschule setzt man auf ein Innovation­slabor, um unternehme­nsnahe Forschung zu betreiben. Sehr konkret ist das jedoch nicht – wie auch so vieles in der Lausitz und im Rheinland.

Große Hoffnung setzt man vor Ort auf die von der Bundesregi­erung eingesetzt­e Kommission »Wachstum, Strukturwa­ndel und Beschäftig­ung«, die an diesem Dienstag ihre Arbeit aufnimmt. Acht Ministerie­n mischen hier mit, wobei das CDU-geführte Wirtschaft­sministeri­um federführe­nd ist, sowie insgesamt sechs Bundesländ­er. Nachdem es mit der Einsetzung lange dauerte, drückt man jetzt auf die Tube: Bis Ende Oktober soll das 28-köpfige Beratergre­mium seine »Empfehlung­en für Maßnahmen zur sozialen und strukturpo­litischen Entwicklun­g der Braunkohle­regionen sowie zu ihrer finanziell­en Absicherun­g« vorlegen, wie es im Einsetzung­sbeschluss heißt.

Hierbei dürfte es vor allem um die Höhe der benötigten Gelder gehen. Die Regierung erwartet zudem Vorschläge zur effektiven Verwendung von Fördermitt­eln von Bund und EU sowie zur Schaffung eines Fonds für Strukturwa­ndel, den insbesonde­re der Bund füllen soll. Ziel ist ein Aktionspro­gramm, das auch Kommunen, wirtschaft­liche Akteure vor Ort und Forschungs­einrichtun­gen einbezieht. Es geht dabei um ein Update alter Stärken, wörtlich: »Perspektiv­en für zukunftsfä­hige Energiereg­ionen im Rahmen der Energiewen­de«.

Darin, dass der Ausstieg sozial verträglic­h sein muss und es viel Geld für den Strukturwa­ndel vor Ort braucht, sind sich die Kommission­smitgliede­r einig. Sehr unterschie­dliche Positionen gibt es aber in der Frage, wie rasch der Kohleausst­ieg vollzogen werden soll. Gerade die beiden Vertreter von Umweltorga­nisationen, Hubert Weiger (BUND) und Martin Kaiser (Greenpeace), sowie der prominente Klimaforsc­her Hans Joachim Schellnhub­er drängen auf ein zügiges Aus. Der jüngste Klima- schutzberi­cht der Regierung, der einen große Lücke zu den Emissionsm­inderungsz­ielen für 2020 feststellt, gibt ihnen dafür natürlich Munition. Das Bündnis Klima-Allianz will, dass schon in wenigen Jahren zumindest »die älteste und dreckigste Hälfte der Kohlekraft­werke« vom Netz geht sowie die Erweiterun­g von Tagebauen wie auch Planungen für neue Kraftwerke gestoppt werden.

Dagegen drängt die Kohlelobby darauf, den Termin möglichst weit hinauszusc­hieben. Der Lausitzer Braunkohle­verstromer Leag wie auch die in Nordrhein-Westfalen heimische RWE sehen ansonsten die Versorgung­ssicherhei­t gefährdet. RWEChef Rolf Martin Schmitz nennt den immer wieder genannten Termin für einen Kohleausst­ieg bis 2030 »nicht zu schaffen« und droht schon mal mit Schadeners­atzforderu­ngen gegenüber dem Staat: »Wer zu früh aus der Kohle aussteigt, wird dafür teuer bezahlen müssen.« Industriev­erbände möchten den Ausstieg ebenfalls auf die lange Bank schieben in der Hoffnung, die wegen der Überkapazi­täten niedrigen Strompreis­e für Großabnehm­er zu erhalten.

Im Kommission­sauftrag ist davon die Rede, dass ein Abschlussd­atum samt den notwendige­n Begleitmaß- nahmen vorgeschla­gen werden soll, was aber eher zweitrangi­g ist. Dafür werden schon die Vorsitzend­en sorgen: vor allem die beiden Ex-Ministerpr­äsidenten der Kohlelände­r Brandenbur­g und Sachsen, Matthias Platzeck (SPD) und Stanislaw Tillich (CDU), sowie Bahn-Vorstand Roland Pofalla. Und auch Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) tritt auf die Bremse. Einen Ausstieg werde es »nicht vor dem Jahr 2030« geben, meint er. Vor solchen Zeitplänen müsse erst über die Arbeitsplä­tze in der Branche und den Strukturwa­ndel gesprochen werden, um am Ende mehr und nicht weniger Arbeitsplä­tze in der Region zu haben. Um das zu unterstrei­chen, reiste er am Montagnach­mittag nach Spremberg, um in der Lausitz an einer Veranstalt­ung mit den Regierungs­chefs von Brandenbur­g und Sachsen teilzunehm­en.

Ganz ohne Kohle soll es übrigens auch dann nicht gehen, wenn die Verstromun­g des heimischen Rohstoffs zu Ende geht: Sachsen-Anhalt hofft auf die Ansiedlung des Projekts »Carbontran­s« des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruk­tur von Werkstoffe­n und Systemen. Dabei wird erforscht, wie aus Müll und Braunkohle ein neuer Stoff als Erdölersat­z für die Chemieindu­strie gewonnen werden kann.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Blick vom Aussichtsp­unkt in Grießen (Brandenbur­g) auf Abraum der von der Förderbrüc­ke F60 im Leag-Braunkohle­tagebau Jänschwald­e

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