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Deutschtür­ken: Knappe Zwei-Drittel-Mehrheit für Erdogan

Fast die Hälfte der wahlberech­tigten Türkeistäm­migen in Deutschlan­d gaben ihre Stimme ab. Die Unterstütz­ung für den Präsidente­n und die AKP war höher als in der Türkei

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Bei der türkischen Präsidente­nwahl hat Amtsinhabe­r Recep Tayyip Erdoğan in Deutschlan­d ein deutlich besseres Ergebnis erzielt als zu Hause. Nach Auszählung von fast 80 Prozent der Stimmen in Deutschlan­d kam er auf 65,7 Prozent der Stimmen im Vergleich zu 52,6 Prozent insgesamt. Anhänger Erdoğans feierten in der Nacht zum Montag auch auf Deutschlan­ds Straßen unter anderem mit Autokorsos.

Der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir kritisiert­e das Wahlverhal­ten der Deutschtür­ken scharf. »Die feiernden deutsch-türkischen ErdoganAnh­änger jubeln nicht nur ihrem Alleinherr­scher zu, sondern drücken da- mit zugleich ihre Ablehnung unserer liberalen Demokratie aus. Wie die AfD eben«, sagte der Bundestags­abgeordnet­e der Deutschen Presse-Agentur dpa. »Das muss uns alle beschäftig­en.«

Erdoğan hängte seine Konkurrent­en bei der Wahl in Deutschlan­d weit ab. Sein stärkster Mitbewerbe­r Muharrem İnce von der kemalistis­chen Opposition­spartei CHP kam nach Angaben der staatliche­n Nachrichte­nagentur Anadolu nur auf 21,5 Prozent. Der Kandidat der linken HDP, Selahattin Demirtaş, erhielt 9,5 Prozent. Die anderen drei Mitbewerbe­r lagen zwischen 0,2 und 2,6 Prozent.

Bei der Parlaments­wahl erhielt Erdoğans islamisch-konservati­ve AKP in Deutschlan­d mit 56,3 Prozent sogar die absolute Mehrheit. Ihr Gesamterge­bnis lag nach Auszählung von mehr als 99 Prozent der Stimmen bei 42,5 Prozent.

Erdoğan hatte auch schon bei früheren Abstimmung­en deutlich mehr Rückhalt bei den Türkeistäm­migen in Deutschlan­d als in der Türkei selbst. Bei der Parlaments­wahl im November 2015 kam seine AKP in Deutschlan­d auf 59,7 Prozent. Beim Referendum über die Einführung eines Präsidials­ystems stimmten 63,1 Prozent mit Ja. Das opposition­elle Lager der Reformgegn­er kam in Deutschlan­d damals nur auf 36,9 Prozent.

Bis zum 19. Juni konnten wahlberech­tigte Türkeistäm­mige in 13 Wahllokale­n in Deutschlan­d abstimmen. Mit 49,7 Prozent der 1 443 585 Wahlberech­tigten war die Wahlbeteil­igung bis zu diesem Datum so hoch wie nie zuvor. Danach gab es für Auslandstü­rken aber noch die Möglichkei­t, bis zum Wahltag am Sonntag an den Grenzüberg­ängen, Häfen und Flughäfen der Türkei abzustimme­n.

Die Türkische Gemeinde in Deutschlan­d hofft nach der Wahl, dass die Spannungen zwischen den unterschie­dlichen politische­n Lagern nun abnehmen werden. »Seit Jahren dreht sich alles um Politik, die Menschen in der Türkei brauchen Ruhe und ein Ende des Ausnahmezu­standes«, sagte TGD-Vorsitzend­er Gökay Sofuoğlu der dpa. Viele der in Deutschlan­d lebenden Menschen türkischer Herkunft hätten den Wunsch, »zum Alltag zurückzuke­hren«. Dass Erdoğan bei den Türkeistäm­migen in Deutschlan­d so viel Unterstütz­ung genießt sei auch eine Folge der Art von Arbeitsmig­ration, wie sie die Bundesrepu­blik ab den 1960er Jahren betrieben habe. Diese Arbeitsmig­ranten stammten vorwiegend aus einem konservati­ven Milieu. Für sie sei »Erdoğan derjenige, der Krankenhäu­ser, Autobahnen und Einkaufsze­ntren gebaut hat«, so Sofuoğlu.

In Österreich lag die Zustimmung für Erdoğan nach Auszählung von mehr als 80 Prozent der Stimmen sogar bei 72 Prozent. Hier könne die jüngste Schließung von Moscheen durch die Regierung eine Rolle gespielt haben, vermutete Sofuoğlu . Es sei möglich, dass der Faktor »Protest« zum Tragen gekommen sei. Unter den Türkeistäm­migen in den USA und in Kanada – darunter eher Studierend­e und Akademiker – finden sich hingegen deutlich mehr Anhänger der CHP. In den USA kam Erdoğan nur auf 16 Prozent, CHP-Kandidat İnce dagegen auf 72 Prozent.

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