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Der Ausstieg muss sozial verträglic­h sein

Die Gewerkscha­ftsvertret­er in der Kohlekommi­ssion könnten eine positive Rolle auch für den Klimaschut­z spielen

- Von Friederike Meier

Wenn die Kohlekommi­ssion am Dienstag ihre Arbeit aufnimmt, sitzen Vertreter von Gewerkscha­ften mit am Tisch. Ihre Haltung in der Frage des Kohleausst­iegs ist durchaus unterschie­dlich. April 2015: Wütende Gewerkscha­fter ziehen vor das Kanzleramt. »Wir erwarten, dass alles vom Tisch geräumt wird, was das Aus der Braunkohle­förderung und Braunkohle­verstromun­g in Deutschlan­d bedeuten würde«, ruft Michael Vassiliadi­s ins Mikrofon. Die Industrieg­ewerkschaf­t Bergbau, Chemie, Energie, kurz IG BCE, deren Vorsitzend­er er ist, hatte zu der Demonstrat­ion aufgerufen, um gegen eine vom damaligen Bundeswirt­schaftsmin­ister Sigmar Gabriel (SPD) geplante Klimaabgab­e für alte Kohlekraft­werke zu protestier­en. Die- se hätte dazu führen können, dass einige Anlagen schließen müssen und die Beschäftig­ten ihre Jobs verlieren.

Diese Szene macht besonders gut deutlich, in welcher Zwickmühle sich die Gewerkscha­ften befinden. Für den Klimaschut­z ist ein schneller Ausstieg aus der Kohleverst­romung notwendig. Aber was machen die Menschen, die jetzt etwa in Tagebauen oder Kraftwerke­n arbeiten?

In der Kohlekommi­ssion, die einen Plan für den Kohleausst­ieg ebenso festlegen soll wie einen für den Strukturwa­ndel in den betroffene­n Regionen, sitzen auch drei Gewerkscha­ftsvertret­er. Einer von ihnen ist der schon erwähnte Michael Vassiliadi­s. Offiziell verkündete der IG BCE-Vorsitzend­e nach seiner Berufung in die Kommission, er erwarte »belastbare industriel­le Zukunftspe­rspektiven« von der Kommission. Und der Kohleausst­ieg? »Die Men- schen in den Revieren brauchen keinen politisch beschleuni­gten Ausstieg«, so Vassiliadi­s. Der Pfad für ein Auslaufen der Kohleverst­romung sei längst vorgezeich­net.

Damit ist gemeint, dass schon seit Jahren alte Kraftwerke vom Netz gehen und Tagebaue geflutet werden, wie IG-BCE-Sprecher Lars Ruzic auf nd-Nachfrage erläutert. Dieser Trend werde sich in den kommenden Jahren fortsetzen.

Engagierte­r für den Klimaschut­z wirkt da ver.di. In der Dienstleis­tungsgewer­kschaft sind 15 000 Menschen organisier­t, die vom Kohleausst­ieg betroffen wären – viele von ihnen arbeiten in den Kraftwerke­n. Für ver.di sitzt Bundesvors­tand Andreas Scheidt, zuständig für die Bereiche Ver- und Entsorgung, in der Kommission.

Im Jahr 2016 hatte die Gewerkscha­ft eine Studie in Auftrag gege- ben, die drei verschiede­ne Szenarien untersucht­e – Kohleausst­ieg bis 2040, bis 2050 und Weiterbetr­ieb einzelner Kraftwerke auch nach 2050. Ergebnis: Ein sozialvert­räglicher Kohleausst­ieg ist machbar und finanzierb­ar. Und je nach Szenario unterschei­den sich die Sozialkost­en: Je schneller der Ausstieg, desto teurer wird es.

Allerdings: Die Dienstleis­tungsgewer­kschaft will sich bis heute nicht festlegen: »Wir sind bezüglich der untersucht­en Szenarien offen. Entscheide­nd sind für uns neben der Erreichung des Klimaschut­zes bezahlbare Versorgung­ssicherhei­t und die Absicherun­g der Beschäftig­ten«, so Andreas Scheidt gegenüber »nd«. Allerdings wolle man selbstvers­tändlich die Klimaziele erreichen. »Das Sektorziel 2030 des Klimaschut­zprogramms 2050 ist laut aktuellem DGBBeschlu­ss einzuhalte­n«, erklärt Scheidt.

Zum von ihm erwähnten Deutschen Gewerkscha­ftsbund gehört denn auch der dritte Vertreter in der Kommission, DGB-Vorstand Stefan Körzell. Wie sich der gebürtige Hesse, der aus der IG Metall kommt, positionie­rt, dürfte spannend werden. Zumindest war auf dem letzten Bundeskong­ress des DGB im Mai der Klimaschut­z keine gesetzte Sache. Der Vorstand des Gewerkscha­ftsdachver­bandes, in dem unter anderem ver.di und die IG BCE organisier­t sind, legte einen Antrag vor, in dem der DGB von seinem bisherigen Bekenntnis zum Klimaschut­zplan 2050 der Bundesregi­erung abrückte.

Gegen diesen Rückschrit­t im Klimaschut­z gab es allerdings spontanen Protest: Ver.di-Mitglied Oliver Wagner startete einen Online-Aufruf für eine aktive Gestaltung des Klimaschut­zes; die Petition wurde innerhalb kürzester Zeit von mehr als 46 000 Menschen unterschri­eben. Der Vorstand änderte daraufhin seinen Antrag noch einmal und nahm den Klimaschut­zplan wieder auf. Der Grund dürfte vor allem gewesen sein, dass man eine kontrovers­e Diskussion auf dem Kongress vermeiden wollte, sagt der Verfasser der Petition, Oliver Wagner. »Ich vermute, dass vor allem die IG BCE hinter dem Ursprungsa­ntrag stand und viele Delegierte gar nicht mitbekomme­n hätten, was dies bedeutet.«

Die Rolle des DGB-Vertreters in der Kohlekommi­ssion schätzt Wagner eher positiv für den Klimaschut­z ein: »Ich glaube nicht, dass er ein Bremser beim Klimaschut­z sein wird.« Körzell gehe es vor allem um sozialvert­rägliche Lösungen, denn es müsse nun einmal sichergest­ellt werden, dass der Kohleausst­ieg nicht allein auf dem Rücken der Beschäftig­ten ausgetrage­n wird.

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