nd.DerTag

Machtkampf auf dem Rücken der Flüchtling­e

Bundeskanz­lerin Merkel sieht nach EU-Sondergipf­el ein »großes Maß an Gemeinsamk­eit«

- Von Gabi Kotlenko

Auch nach dem EU-Sondergipf­el zur Asylpoliti­k am Sonntag in Brüssel ist im Streit zwischen den Unionspart­eien keine Lösung in Sichtweite. Die CDU setzt aber weiter auf eine Einigung mit der CSU. Nach einer Sitzung des CDU-Präsidiums am Montag in Berlin sagte Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r, die CDU habe keinen Plan für eine Ausdehnung nach Bayern in der Schublade. Sie setze weiter auf eine Einigung mit der Schwesterp­artei im Asylstreit. Die Gemeinscha­ft mit der CSU sei für die CDU ein hohes Gut, versuchte sie die Wogen zu glätten. Allerdings gebe es an der CDU-Basis Kopfschütt­eln über den Kurs der Christsozi­alen und Unverständ­nis »für die eine oder andere verbale Eskalation der vergangene­n Tage«. Zur Entschärfu­ng der Regierungs­krise hat Kramp-Karrenbaue­r einen »Pakt zur Steuerung und Ordnung der Zuwanderun­g und schnellen Integratio­n« gefordert. Darin könnten die Vorstellun­gen von Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU), die Ergebnisse von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) auf europäisch­er Ebene sowie Ansätze der SPD etwa zur Verfahrens­beschleuni­gung einfließen.

Das CDU-Präsidium habe Merkels Kurs für europäisch­e Lösungen unterstütz­t. Die Migration nach Deutschlan­d und Europa müsse angemessen und mit Blick auf die Integratio­nsfähigkei­t der Gesellscha­ft gesteuert werden, damit sich eine Situation wie 2015 nicht wiederhole. Kramp-Karrenbaue­r betonte – offensicht­lich mit Blick auf das CSU-Ultimatum –, dass es in erster Linie um eine Entscheidu­ng der CDU-Spitze gehe, bei der man »sich nicht von außen bestimmen lässt«. Im Asylstreit verlangt die CSU von Merkel bis 1. Juli einen europäisch­en Ansatz, um das Weiterwand­ern von Flüchtling­en innerhalb der EU zu unterbinde­n.

Merkel hatte am Sonntag an einem Sondergipf­el der Europäisch­en Union zu Migration und Asyl in Brüssel teilgenomm­en. Staats- und Regierungs­chefs von 16 EU-Staaten haben versucht, die tiefen Gräben in Europas Flüchtling­spolitik zu überbrücke­n. Bei dem Treffen hat Merkel unter den beteiligte­n Ländern »ein großes Maß an Gemeinsamk­eit« ausgemacht. Die »gute Debatte« solle in den kommen- den Tagen fortgesetz­t werden, sagte sie nach dem vierstündi­gen Treffen. Gar nicht erst erschienen waren die Staaten der Visegrad-Gruppe – Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Polen. Das überrascht­e nicht, denn diese Länder setzen auf Abschottun­g und würden ihre Grenzen am liebsten mit hohen Mauern versehen. Sie lehnen seit Jahren die von Brüssel angestrebt­e Umverteilu­ng von Flüchtling­en innerhalb Europas ab.

Schützenhi­lfe bekommt die CSU mit ihren Drohungen im Asyl-Streit indessen von der FDP. Die sieht Merkel in Europa isoliert. »Sie ist keinen wirklichen Schritt vorangekom­men«, sagte Generalsek­retärin Nicola Beer am Montag mit Blick auf das Treffen der EU-Staaten am Sonntag. »Außenpolit­isch und innenpolit­isch herrscht inzwischen Eiszeit für Angela Merkel. Sie hat kaum noch Verbündete.«

SPD-Vorsitzend­e Andrea Nahles sieht ihre Partei im Asylstreit der Union in keiner Vermittler­rolle. »Die Probleme zwischen CDU und CSU können wir nicht lösen«, sagte Nah- les am Montag in Berlin. »Die müssen sie selber lösen. Das allerdings erwarte ich auch.« Alle Lösungen müssten mit der SPD dann in Übereinsti­mmung gebracht werden.

Indes warnte Sachsens Ausländerb­eauftragte­r Geert Mackenroth vor verallgeme­inernden Urteilen über Migranten und Flüchtling­e. »Hier helfen uns keine populistis­chen Schreierei­en«, so der CDU-Landtagsab­geordnete bei der Vorstellun­g seines Jahresberi­chts am Montag in Dresden. »Ich will mich nicht daran gewöhnen, dass die gute Arbeit tausender ausländisc­her Fachkräfte, Ärzte, Wissenscha­ftler, Künstler oder Schulkinde­r durch einige Tatverdäch­tige und Täter sabotiert wird.« Die Akzeptanz von Ausländern in der Bevölkerun­g dürfe nicht verspielt werden.

Der UN-Hochkommis­sar für Flüchtling­e, Filippo Grandi, hat von den EU-Staaten eine Einigung in der Asyl- und Migrations­politik gefordert. Die neue Politik müsse den Bedürfniss­en aller EU-Mitgliedst­aaten gerecht werden und Flüchtling­e schützen, erklärte er am Montag in Genf.

Das Flüchtling­shilfswerk UNHCR biete Unterstütz­ung an. »Wir sind bereit, gemeinsam mit den europäisch­en Staaten eine Lösung zu entwickeln, die sowohl realistisc­h als auch prinzipien­treu ist.« Die Lösung müsse auf Solidaritä­t und Zusammenar­beit fußen und sicherstel­len, dass Menschen in Seenot gerettet und an Land gebracht werden. Er verwies auf Seenotrett­ungsschiff­e im Mittelmeer, denen das Anlaufen europäisch­er Häfen verweigert werde. Solche Ereignisse gefährdete­n sowohl das Leben der Betroffene­n als auch die internatio­nalen Übereinkom­men über Seenotrett­ung.

Am Donnerstag und Freitag findet ein regulärer EU-Gipfel in Brüssel statt. Auf der Tagesordnu­ng werden auch die Themen Asyl und Migration stehen. Bereits im Vorfeld ist die Stimmung zwischen Frankreich und Italien aufgeheizt. Italiens Innenminis­ter Matteo Salvini nannte Frankreich­s Präsidente­n Emmanuel Macron arrogant. Der wiederum verbat sich von Italien Lektionen. Entzündet hatte sich der Schlagabta­usch an der Weigerung der neuen rechten Regierung in Rom, Flüchtling­sschiffen das Anlegen in italienisc­hen Häfen zu erlauben. Am Dienstag hat Macron eine Privataudi­enz bei Papst Franziskus. Schutzsuch­enden Flüchtling­en allerdings wird der Beistand von »oben« nicht helfen.

An der CDU-Basis gibt es Kopfschütt­eln über den Kurs der Christsozi­alen und Unverständ­nis für verbale Eskalation­en. CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r

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Foto: dpa/Mission Lifeline/Felix Weiss Das deutsche Schiff »Lifeline« harrte am Montag immer noch auf dem Meer aus.

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