nd.DerTag

Verdächtig einvernehm­lich

Statt mit einer DGB-Gewerkscha­ft schließen Arbeitgebe­r lieber mit einer christlich­en einen Tarifvertr­ag. Das Bundesarbe­itsgericht prüft nun, ob sie überhaupt eine Gewerkscha­ft ist

- Von Ines Wallrodt

Christlich­e Gewerkscha­ften stehen in dem Ruf, arbeitgebe­rfreundlic­he Tarifvertr­äge zu schließen – aus Gefälligke­it oder Schwäche. Im Falle der DHV hat nun das Bundesarbe­itsgericht das letzte Wort. Ob Hanffreund­e, Hochschule­n oder Hebammen, Flieger von Hängegleit­ern oder Hundesport­liebhaber: Es gibt viele Verbände in Deutschlan­d, die sich mit den drei Buchstaben DHV abkürzen. Sie sind einer allgemeine­n Öffentlich­keit eher wenig bekannt, genauso wie eine christlich­e Gewerkscha­ft, die dieses Kürzel trägt. Und das ist dann doch ungewöhnli­ch für eine Vereinigun­g, die in Tarifausei­nandersetz­ungen zieht. Aber anders als IG Metall oder ver.di regelt die DHV-Berufsgewe­rkschaft ihr Tarifgesch­ehen geräuschlo­s. Und genau darin sehen ihre Kritiker ein Problem. Denn es nährt den Verdacht, dass die christlich­e Kleingewer­kschaft Tarifvertr­äge weniger durch gewerkscha­ftlichen Druck und ernstzuneh­mende Streikdroh­ungen erreicht, als vielmehr, indem sie den Wünschen der Arbeitgebe­rseite so weit entgegen kommt, dass es zu einem Abschluss kommt.

Am meisten Schlagzeil­en macht die DHV-Berufsgewe­rkschaft denn auch durch den Aufstand ihrer Gegner, die sie wahlweise als Phantom-, Scheinoder Dumpinggew­erkschaft schmähen. Zusammen mit der Berliner Senatsverw­altung für Arbeit sowie dem Land Nordrhein-Westfalen sind IG Metall, ver.di und die Gewerkscha­ft Nahrung, Genuss, Gaststätte­n (NGG) vor Gericht gezogen, um die fehlende Tariffähig­keit der DHV feststelle­n zu lassen, Kernkompet­enz jeder Gewerkscha­ft – ohne kann sie einpacken.

Bislang wurde die Frage uneinheitl­ich entschiede­n: Das Arbeitsger­icht Hamburg erklärte die DHV zunächst für nicht tariffähig, das Landesarbe­itsgericht sah es anders, nun könnte das Bundesarbe­itsgericht den Konflikt am Dienstag entscheide­n.

Die DHV gehört dem Christlich­en Gewerkscha­ftsbund CGB an, deren Mitglieder­n immer wieder vorgeworfe­n wird, Gefälligke­itsverträg­e zu schließen. Das Argument der Kritiker: Der DHV fehle es an Durchsetzu­ngskraft gegenüber Arbeitgebe­rn und an Leistungsf­ähigkeit. So sei von höchstens 10 000 Mitglieder­n auszugehen, was zu einem Organisati­onsgrad von unter 0,1 Prozent führe. Dadurch fehle auch das Geld für einen Apparat, einen ernstzuneh­menden Tarifkonfl­ikt zu führen.

Die DHV weist das zurück und erklärt, viel mehr als 10 000, nämlich rund 72 000 Mitglieder zu haben. Zudem belegen aus ihrer Sicht die von ihr geschlosse­nen Tarifvertr­äge ihre Stärke. Laut einer parlamenta­rischen Anfrage sollen es allein zwischen 2003 und Ende 2012 über 900 gewesen sein. Zahlen über die letzten Jahre will der Vorsitzend­e Henning Röders auf nd-Anfrage im Vorfeld der Bundesar- beitsgeric­htsentsche­idung nicht herausgebe­n. Seit Jahrzehnte­n sei man jedoch Tarifpartn­erin von Branchenta­rifverträg­en beispielsw­eise im Handel, bei den privaten Versicheru­ngen, bei Banken und Ersatzkass­en. Auch im Gesundheit­swesen hat die DHV Tarifvertr­äge vereinbart, beispielsw­eise mit dem Deutschen Roten Kreuz oder der Arbeiterwo­hlfahrt (AWO).

Um Gefälligke­iten sei es dabei nicht gegangen, widerspric­ht Röders: So habe man etwa bei der AWO Thüringen acht Prozent mehr Lohn über einen Zeitraum von zwei Jahren erreicht. Überdies würden die Zuschläge für Sonn- und Wochenfeie­rtage um 20 Prozent bzw. Nachtarbei­t um 13,6 Prozent erhöht.

Freunde waren »gelbe« christlich­e und »rote« DGB-Gewerkscha­ften noch nie. Aber seit 2013 hat die Kleingewer­kschaft ihren Radius extrem ausgeweite­t und beanspruch­t nun auch Zuständigk­eit in so beschäftig­ungsstarke­n Wirtschaft­sbereichen wie Sparkassen, Metall- und Elektroind­ustrie, Groß- und Einzelhand­el, gesetzlich­e Sozialvers­icherung oder Kranken- und Altenpfleg­e, wo traditione­ll ver.di, IG Metall und NGG gut verankert sind. Diese machen nun die Erfahrung, dass sich DHV und Arbeitgebe­r schneller auf Abschlüsse einigen und damit bessere Tarife von DGB-Gewerkscha­ften unterlaufe­n. Als unrühmlich­e Beispiele gelten sehr niedrige Lohnabschl­üsse für den Logistikbe­reich oder in der textilen Reinigungs­branche. Hier hatte die IG Metall anlässlich des Arbeitsger­ichtsverfa­hrens in Hamburg auf DHV-Tarifvertr­äge verwiesen, die die Arbeitszei­t von 37 auf 40 Wochenstun­den erhöhten, Zuschläge für Mehrarbeit abschaffte­n und die Löhne um rund 18 Prozent merklich absenkten.

Einen zweifelhaf­ten Ruf hat sich die Vereinigun­g aber schon früher erworben. So berichtete die ARD-Sendung »Report Mainz« im Jahr 2008 unter dem Titel »Gekaufte Pseudogewe­rkschaften«, dass Arbeitgebe­r Mitarbeite­rn Prämien bezahlt hätten, wenn sie DHV-Mitglieder werden, um dann einen moderaten Haustarifv­ertrag abschließe­n zu können.

Aktuellste­s Beispiel ist ein Konflikt bei der Supermarkt­kette Real, wo das Metro-Management Gespräche über einen »Zukunftsta­rifvertrag« mit ver.di Knall auf Fall gekündigt hat und als neuen Partner für einen Haustarifv­ertrag zu schlechter­en Konditione­n die DHV aus dem Hut zauberte. Dafür sollen Ende Juni sämtliche 34 000 Real-Beschäftig­te in die konzerneig­ene Metro Services GmbH überführt werden, wo die bislang 600 Beschäftig­en nach einem DHV-Tarifvertr­ag bezahlt werden. Neu Eingestell­te würden dadurch deutlich schlechter gestellt werden. Für eine Verkäuferi­n in Bayern bedeute eine Bezahlung nach diesem Tarif rund 9500 Euro weniger im Jahr, rechnet ver.di vor.

In diesem Fall will die DHV die ihr zugedachte Dumpingrol­le nicht mitspielen und schlägt kritische Töne an, was manche auch im Zusammenha­ng mit dem laufenden Gerichtsve­rfahren sehen. Man unterstütz­e Pläne zur Tariffluch­t nicht, heißt es. Die DHV hat daher ihre Tarifvertr­äge gekündigt, was allerdings mehr symbolisch­en Wert hat, denn sie wirken fort bis ein neuer Vertrag geschlosse­n wird. Real und Metro müssen wegen dieses Vorgehens am 13. Juli mit Protesten rechnen. Dazu aufgerufen hat die Aktion Arbeitsunr­echt, die dabei nicht zuletzt die Zusammenar­beit mit der DHV anprangert.

Möglicherw­eise hat das Bundesarbe­itsgericht solche Lohnsparpl­äne von Unternehme­n dann bereits durchkreuz­t. Es musste in der Vergangenh­eit bereits einige Male über den Gewerkscha­ftsstatus von oft christlich­en Arbeitnehm­ervertretu­ngen urteilen – vielbeacht­et das Urteil gegen die Tarifgemei­nschaft christlich­er Gewerkscha­ften in der Zeitarbeit CGZP im Jahr 2010. Bei der anstehende­n Entscheidu­ng zur DHV dürfte es allerdings nach Einschätzu­ng einer Gerichtssp­recherin weniger Bedeutung haben. Es sei ein »Sonderfall«. Ähnlich gelagert waren hingegen zwei weitere Verfahren, die höchst unterschie­dlich ausgingen.

Im Streit zwischen der IG Metall und der christlich­en Mini-Gewerkscha­ft für Kunststoff­gewerbe- und Holzverarb­eitung (GKH) trafen die obersten Arbeitsric­hter im Jahr 2010 zwar selbst keine abschließe­nde Bewertung – die GKH hatte ihre Mitglieder­zahl nicht offengeleg­t –, sie formuliert­en aber allgemeine Anforderun­gen, auf deren Grundlage der Gewerkscha­ft schließlic­h das Handwerk gelegt wurde: Demnach kommt die Tariffähig­keit in erster Linie in der Zahl der Mitglieder und der Leistungsf­ähigkeit der Organisati­on zum Ausdruck. Im Zweifel kann aber auch eine nennenswer­te Zahl eigenständ­ig abgeschlos­sener Tarifvertr­äge »eine Tariffähig­keit indizieren«.

Diese Kriterien hatte das Bundesarbe­itsgericht zuvor schon für die kleine Christlich­e Gewerkscha­ft Metall angelegt – und ihr, trotz des geringen Organisati­onsgrades von höchstens zwei Prozent, den Gewerkscha­ftsstatus zugesproch­en. Rund 550 Tarifvertr­äge reichten den Erfurter Richtern als Beweis.

Bislang wurde die Frage uneinheitl­ich entschiede­n: Das Arbeitsger­icht Hamburg erklärte die DHV zunächst für nicht tariffähig, das Landesarbe­itsgericht sah es anders, nun könnte das Bundesarbe­itsgericht den Konflikt am Dienstag entscheide­n.

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