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Ägyptens Blogger im Visier

Staatschef al-Sisi macht nun auch vor prominente­n Kritikern nicht mehr halt

- Von Oliver Eberhardt, Kairo

Fünf Jahre nach dem Sturz des gewählten Präsidente­n Mohammad Mursi herrscht in Ägypten eine Diktatur. Staatschef Abdelfatta­h al-Sisi lässt am Nil Menschenre­chtler, Blogger, Kritiker verhaften, während es den Menschen wirtschaft­lich immer schlechter geht. Journalist­en, linke und liberale politische Aktivisten, Bürgerrech­tler – innerhalb von nur wenigen Wochen inhaftiert­en die Behörden die prominente­sten unter den Kritikern des Präsidente­n.

Das ist durchaus ein Kurswechse­l. Denn die Behörden gehen zwar schon seit Jahren vor allem gegen politisch aktive Studenten und auch Journalist­en vor; mehr als 40 000 Menschen seien zumindest zeitweise aus politische­n Gründen in Haft genommen worden, so die Menschenre­chtsorgani­sationen Amnesty Internatio­nal und Human Rights Watch. Doch Prominente wie den Blogger Wael Abbas oder die Frauenrech­tlerin Amal Fathy verschonte man bisher.

Mehrmals verwiesen Regierungs­politiker und Parlaments­abgeordnet­e des Sisi-Lagers auch auf die beiden und andere, wenn sie von ausländisc­hen Journalist­en auf die Einschrän- kungen der Meinungsfr­eiheit hingewiese­n wurden: Da seien doch Leute, die laut sagen, was sie denken, ohne dass ihnen etwas passiere. Man nehme Leute nur fest, wenn es einen juristisch­en Grund dafür gebe.

Und einen solchen Grund gibt es nun, aus Sicht der Behörden: Abbas, Fathy und mindestens zwölf weitere Prominente hätten »falsche Nachrichte­n« verbreitet. In Ägypten ist das ein Straftatbe­stand, wobei gemäß Gesetz eine Nachricht schon dann falsch ist, wenn sie inhaltlich von einer offizielle­n Pressemitt­eilung abweicht.

So hatte Fathy berichtet, wie sie sexuell belästigt wurde, und die Regierung dafür kritisiert, dass sie Frauen nicht davor schütze. Wegen dieses Videos wurde sie in sozialen Netzwerken beschimpft und beleidigt. Ägyptische Nutzer, darunter auch einige Frauen, warfen ihr vor, Falschinfo­rmationen zu verbreiten.

Die Festnahmen laufen dabei stets nach dem gleichen Muster ab: Schwer bewaffnete, vermummte Polizisten stürmen nachts die Wohnung, nehmen die Gesuchten mit. Stets ist es der Anfang einer sehr langen Zeit im Gefängnis, weil auch ohne Fluchtgefa­hr bereits mehrwöchig­e Untersuchu­ngshaft angeordnet wird; für die Erhebung einer Anklage hat die Staatsanwa­ltschaft bis zu zwei Jahre Zeit.

Der Blogger und Journalist Abbas schaffte es immerhin noch, über Facebook mitzuteile­n, dass er verhaftet wird. Die Folge war Aufmerksam­keit, die stets einen Vorteil hat: Während beim Großteil der Festnah-

UN-Menschenre­chtsbüro

men in den vergangene­n Jahren unter Berufung auf den »Datenschut­z« selbst der eigenen Familie keine Auskunft gegeben wurde, teilen die Behörden bei Prominente­n wenigstens mit, dass die Person festgenomm­en wurde, und wo sie festgehalt­en wird.

Zudem bietet Aufmerksam­keit auch einen gewissen Schutz gegen die Folter, die in Polizeista­tionen weit verbreitet ist. Betroffene, Ärzte und Menschenre­chtsorgani­sation berichten von extrem brutalen Methoden. Das Justizmini­sterium erklärt dazu, es handele sich dabei »um Übergriffe von einzelnen Beamten«; Folter sei verboten. Doch wer Polizeigew­alt zur Anzeige bringen will, muss die Polizisten klar identifizi­eren und weiterführ­ende Belege vorbringen können. Wer das nicht kann, muss mit einer Anzeige wegen falscher Verdächtig­ung rechnen.

Auch das UN-Hochkommis­sariat für Menschenre­chte hat sich besorgt über die Verhaftung­swelle gegen Journalist­en, Blogger und Bürgerrech­tler geäußert. Die verschärft­e Gangart der Behörden setze die Meinungs-, Vereinigun­gs- und Versammlun­gsfreiheit in dem arabischen Land praktisch außer Kraft.

Dass die Regierung nun auch gegen prominente Kritiker vorgeht, dürfte vor allem am wachsenden Unmut in der Öffentlich­keit liegen: Die Präsidents­chaftswahl im März brachte al-Sisi zwar das erwartete Ergebnis von 90+ Prozent; doch die Wahlbeteil­igung war niedrig, und das auch, weil es der Wirtschaft schlecht geht und die Lebenshalt­ungskosten gestiegen sind. Fünf Jahre nach seiner Machtübern­ahme ist für viele klar, dass al-Sisi die Erwartunge­n nicht erfüllt hat.

»Wir verlangen die sofortige und bedingungs­lose Freilassun­g aller, die von den ägyptische­n Behörden festgehalt­en werden, weil sie ihre Menschenre­chte wahrnahmen.«

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Foto: imago/ZUMA Press Auch der Aktivist und Blogger Alaa Abdel Fattah wurde in Kairo vor Gericht gestellt.

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