nd.DerTag

Mit Satire gegen die drohende Diktatur

In Honduras stichelt der Jesuitense­nder Radio Progreso gegen die Regierung

- Von Martin Reischke

Seit dem Militärput­sch vor neun Jahren am 28. Juni 2009 kritisiert der Jesuitense­nder Radio Progreso mit dem »Notinada« die Regierung – einer Nachrichte­nsendung ganz ohne Nachrichte­n. Jeden Freitagmor­gen um neun Uhr ist es so weit: Der neue »Notinada« geht auf Sendung – die »Nachrichte­nsendung ohne Nachrichte­n« – mit dem Claim: »Nachrichte­n aus dem Land, wo alles passiert, aber trotzdem nichts geschieht.« Der seltsame Titel hat eine lange Vorgeschic­hte, die bis zum Putsch am 28. Juni 2009 zurückreic­ht. Damals jagte das honduranis­che Militär den linksliber­alen Präsidente­n Manuel Zelaya aus dem Amt. »Die regierungs­nahen Medien haben gesagt, dass überhaupt nichts passiert sei, dass es sich um eine legale Machtüberg­abe handele und dass wir einfach unseren Alltag weiterlebe­n sollen«, erinnert sich Radioredak­teur Joksan Flores. »Wer aufs Land oder an den Strand fahren wollte, der soll-

»Die regierungs­nahen Medien haben gesagt, dass überhaupt nichts passiert sei, dass es sich um eine legale Machtüberg­abe handele und dass wir einfach unseren Alltag weiterlebe­n sollen.« Radioredak­teur Joksan Flores

te das auch tun, denn in dem Land sei ja rein gar nichts passiert.«

Seitdem ist das Programm zu einer Art wöchentlic­her Medienkrit­ik geworden, die die Erfolgsmel­dungen der Regierung persiflier­t. »Es geht darum, die Lügen der staatsnahe­n Presse zu entlarven«, sagt Radiokolle­ge Andrés Hernández. »Wenn der Präsident sagt, dass alles gut läuft, dann wiederhole­n wir das im ›Notinada‹, aber die Menschen, die uns hören, wissen natürlich, dass wir das Gegenteil von dem meinen, was wir sagen.«

Im vergangene­n November gab es wieder eine Art Putsch in Honduras: Verfassung­swidrig und begleitet von Betrugsvor­würfen ließ sich Präsident Juan Orlando Hernández erneut ins Amt wählen. Seitdem sind in zahlreiche­n Demonstrat­ionen Hunderttau­sende auf die Straße gegangen, um gegen den in ihren Augen illegitime­n Präsidente­n zu protestier­en. Ganz im Sinne der Regierung warnt der »Notinada« in der aktuellen Ausgabe deshalb vor renitenten Demonstran­ten und staatszers­etzender Kritik: «Wir unterbrech­en das Programm für eine Nachricht für all jene Querulante­n und Aufrührer, die immer noch nicht akzeptiere­n, dass der Wahlbetrug eine Sache der Vergangenh­eit ist«, plärrt es aus dem Lautsprech­er. »Hier in dieser Sendung möchten wir nicht das Wort ›Betrug‹ in den Mund nehmen, denn das klingt hässlich und beschämend, wir reden deshalb lieber von Dialog, Frieden und Liebe.«

Viele Hörerinnen und Hörer lieben den »Notinada« dafür, wie er den offizielle­n Diskurs auf die Schippe nimmt. »Das ist sehr wichtig, weil, wenn wir trotz der schwierige­n Lage noch lachen können, dann wird man weniger krank. Das ist wie eine mentale Unterstütz­ung für uns«, meint die Nonne Lilian Barrera, die das Programm schon so oft gehört hat, dass sie sogar seine Erkennungs­melodie mitsummen kann. Doch es gibt auch Stimmen wie die des freien Journalist­en Luis Sierra, dem die ständige Kritik an der Regierung schon lange auf die Nerven geht. »Der ›Notinada‹ ist ein gutes Programm. Aber es wäre doch schön, wenn es auch mal Programme geben würde, die die positiven Dinge in unserem Land hervorhebe­n. Das sagt einem doch schon der gesunde Menschenve­rstand!«, meint Sierra.

Die Macher des »Notinada« sehen das naturgemäß etwas anders: Denn ob Armut, Repression oder die zunehmende Militarisi­erung des Landes – für sie gibt es wenig Grund zur Freude über die aktuelle Situation. Produziert wird die Sendung von Radio Progreso, einem von Jesuiten geführten Radiosende­r in Honduras. Für Radio Progreso ist als eines der wenigen verblieben­en kritischen Medien im Land die Lage nicht einfach. Selbst einige hohe Vertreter der katholisch­en Kirche stehen der Linie des Senders sehr skeptisch gegenüber: »Sie respektier­en uns, aber das heißt natürlich nicht, dass sie mit unserer Linie und unseren Inhalten einverstan­den sind«, sagt der Jesuit und Radiodirek­tor Ismael Moreno, den alle nur »Padre Melo« nennen.

Ein größeres Problem als die Kirche ist allerdings die honduranis­che Regierung, denn die hat immer die gleichen Methoden, um kritische Stimmen auf Linie zu bringen: Bestechung, Diffamieru­ng und Bedrohung der Mitarbeite­r. »Und wenn das nichts bringt, dann ist der letzte Schritt die physische Auslöschun­g. Und deshalb ist die Arbeit als Journalist in einem Land ohne funktionie­rende Institutio­nen und ohne Rechtsstaa­t täglich mit großen Risiken verbunden«, sagt Moreno.

Vor vier Jahren wurde ein Mitarbeite­r des Radios sogar ermordet – die Hintermänn­er wurden bis heute nicht ermittelt. Nun sollen Kameras und Sicherheit­stüren im Sender die Redakteure schützen, damit sie auch in Zukunft kritisch über Honduras berichten können – das Land, »wo alles passiert, aber trotzdem nichts geschieht«. Viele Mitarbeite­r haben aufgrund ihrer Gefährdung Anspruch auf einen besonderen Schutz durch den Staat – doch Direktor Moreno weiß, dass davon nicht viel zu erwarten ist: »Der sicherste Schutz wird nie vom Staat kommen, sondern nur von uns selbst«, sagt der Jesuit. »Wir müssen weiter präsent sein und die Regierung und die Sicherheit­skräfte offen kritisiere­n – nur so können wir uns schützen.« Einfach aufzugeben und stillzuhal­ten ist für ihn keine Option: »Denn mit dem Schweigen geben wir nur denen neuen Auftrieb, die uns diskrediti­eren und zerstören wollen.«

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Foto: Caroline Narr Radioredak­teur Joksan Flores: Die Menschen, die uns hören, wissen natürlich, dass wir das Gegenteil von dem meinen, was wir sagen.

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