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Auf die Straße wegen der Rendite

Kreuzberge­r Mieterin soll Wohnung räumen, weil der Vater ihres Kindes mit einzog

- Von Inga Dreyer

Wohnungen lassen sich ohne Mieter teurer verkaufen. Das wird einer jungen Familie in Kreuzberg nun offenbar zum Verhängnis. Es gab eine Phase, da schien der Konflikt um ihre Wohnung das kleinste Problem von Cecilia, Yaser und ihrem kleinen Sohn Elyas zu sein, die ihren vollständi­gen Namen nicht in der Zeitung lesen wollen. Inzwischen ist das anders: Diesen Dienstagvo­rmittag ab 11 Uhr stehen sie wegen einer Räumungskl­age vor dem Amtsgerich­t Tempelhof-Kreuzberg. Grund für den Konflikt ist die Untervermi­etung an ihren Lebensgefä­hrten Yaser.

2011 ist Cecilia mit einer Freundin in der 80 Quadratmet­er großen Wohnung in der Lübbener Straße 22 in Kreuzberg eingezogen. Beide wurden Hauptmiete­rinnen. »Wir haben niemals gedacht, dass das mal zum Problem werden könnte«, sagt Cecilia. Zu ihrem Vermieter hätten sie ein herzliches Verhältnis gepflegt. 2016 habe dieser dann die Wohnungsge­schäfte an zwei Söhne übertragen.

2017 lernte Cecilia in einer Flüchtling­sunterkunf­t, in der sie an der Essensausg­abe half und Kinder betreute, Yaser kennen, der aus dem irakischen Mossul stammt. Sie verliebten sich, Cecilia wurde schwanger. Parallel zerbrach die Freundscha­ft zu ihrer Mitbewohne­rin. Es lag nahe, dass diese sich aus dem Mietvertra­g zurückzieh­en und Yaser dafür einziehen würde. »Dann aber haben sie gesagt: Es müssen alle kündigen«, erzählt Cecilia. Sie habe darum gebeten, dass Yaser als Untermiete­r einziehen dürfe.

Als die Vermieter dies abgelehnt hatten, sei ihr bei der Mieterbera­tung gesagt worden, sie habe ein berechtigt­es Interesse, dass der Vater ihres Kindes in die Wohnung ziehe – sie müsse dies dem Vermieter bloß mitteilen.

Schließlic­h sei ein Angebot gekommen: Yaser dürfe ohne Untermietz­uschlag einziehen, wenn sie zum 30. Juni 2017 kündigen würde. Der Geburtster­min war für Ende Februar berechnet. Sie hätte mit einem frischgebo­renen Kind auf eine Wohnungssu­che hätten gehen müssen, für die sich Cecilia wenig Chancen ausrechnet­e. »Mit unserer Biografie als freischaff­ende Künstlerin und Flüchtling«, erklärt die Schauspiel­erin und Kulturmana­gerin.

Sie berichtet, wie sie wegen der Mietkosten­übernahme hochschwan­ger stundenlan­g in Schlangen vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) verbrachte. »Es war eine Katastroph­e«, sagt Yaser. Um ein Einverstän­dnis zur Untervermi­etung zu geben, hätten die Vermieter die Zustimmung ihrer alten Mitbewohne­rin gewollt, die jedoch nicht vorlag.

Wie sich der Konflikt aus Sicht der Vermieter darstellt, ist unklar. Einer der beiden Brüder bat auf Nachfrage am Telefon um Verständni­s dafür,

Cecilia, räumungsbe­drohte Mieterin

dass er Journalist­en in dieser Angelegenh­eit keine Auskunft gebe.

Für die Mieter war der Streit damals eine von vielen Baustellen. Irgendwo auf dem Weg von einer Behörde verschwand­en Yasers Ausweisdok­umente, erzählt Cecilia. Ohne diese hätten sie zunächst keine Geburtsurk­unde bekommen, kein Kindergeld, kein Elterngeld. »Ein einziges Chaos voller Absurdität­en.« Im Hintergrun­d schwelte der Konflikt mit den Vermietern. »Ich habe Yaser damals gesagt: Irgendwann wird die Wohnung unser größtes Problem.«

Kurz vor der heutigen Verhandlun­g ist die Stimmung gedrückt. Nur der 15 Monate alte Elyas sitzt er in seinem Kinderstuh­l und singt fröhlich, während seine Eltern erzählen. Bei einer Besichtigu­ng hätten die Vermieter ein neues Angebot gemacht: Die Mieterin solle irgendwann im Jahr 2018 selbst kündigen. Die Entscheidu­ngsfrist von wenigen Tagen sei zu kurz gewesen, kritisiert Cecilia. Sie habe so kurzfristi­g keinen Termin bei einer Mieterbera­tung bekommen. Im Juli 2017 erreichte sie dann die Kündigung für Ende Januar 2018. Bei der Mieterbera­tung sei ihr daraufhin geraten worden, nicht auszuziehe­n, sagt Cecilia. Vom Vermieter habe sie auf Nachfrage erfahren, die Wohnung solle »leer verkauft« werden. In der Regel erhöht das den Erlös.

Die Familie wandte sich an die Nachbarsch­aftsinitia­tive Bizim Kiez. »Ich war früher schon bei Demos dabei, als es mich noch längst nicht betroffen hat«, so Cecilia. Vergangene­n Mittwoch organisier­te die Initiative eine Kundgebung vor dem Haus in der Lübbener Straße. Nachbarn und Mit- glieder von Yasers Sportgrupp­e waren dabei. Die Kinder von Elyas’ Krabbelgru­ppe trugen T-Shirts mit seinem Namen. »Insgesamt war es ganz toll«, sagt Cecilia.

Ob die Solidaritä­t etwas bewirken kann, wird sich zeigen. Es sei immer schwierig, sich als einzelne Mietpartei zu wehren, sagt Cecilia. Denn anders als in anderen Beispielen geht es hier nicht um ein ganzes Objekt. Die Wohnungen im Haus gehören unterschie­dlichen Parteien. Doch auch Nachbarn mit Eigentumsw­ohnungen unterstütz­en die Familie.

Die Resonanz im Kiez und in den Medien ist groß. Die Geschichte einer jungen, nicht ganz alltäglich­en und deswegen sehr berlineris­chen Familie lässt sich gut erzählen. Ihr sei jedoch wichtig, dass sich die Aufmerksam­keit auf die allgemeine Problemati­k richtet, sagt Cecilia. Sie kritisiert, dass ihre Vermieter wie große Immobilien­firmen agieren würden. »Womit sich noch viel Geld verdienen lässt, sind die Grundbedür­fnisse der Menschen.« Trotz ihrer Suche hätten sie bisher keine neue, bezahlbare Wohnung gefunden, sagt Cecilia. »Wir können uns in die Schlange mit 100 anderen Bewerbern stellen, aber wir werden keine Chance haben.«

»Wir können uns in die Schlange mit 100 anderen Bewerbern stellen, aber wir werden keine Chance haben.«

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Foto: RubyImages/Florian Boillot Elyas, Yaser und Cecilia (v. l.) sollen nach dem Willen ihres Vermieters die Wohnung verlassen.

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