nd.DerTag

Jeder Baum ein Verdächtig­er

Die Bahn versucht mit dem »Aktionspla­n Vegetation«, ihren Betrieb sturmsiche­rer zu machen

- Von Christoph Driessen

Der Herbst kommt bestimmt. Dann wird es wieder stürmisch, Züge fallen wegen umgestürzt­er Bäume aus. Das soll laut Bahn künftig seltener vorkommen: Sie setzt auf das »Team Naturgefah­renmanagem­ent«. »F« prangt in leuchtende­m Orange auf der Baumrinde. Das verheißt nichts Gutes. »F« steht für Fällung. Der Baum ist sichtlich angeschlag­en: ein toter Ast, die Krone gelichtet. Pilzbefall. Und dann steht er auch noch ein paar Meter neben einer wichtigen Zugstrecke. Da gibt es kein Erbarmen. »Im Wald tut mir jeder Baum leid, den man fällen muss«, sagt Felix Gerhardt vom »Team Naturgefah­renmanagem­ent« der Bahn. »Aber an der Strecke nicht.«

Die Bahn sieht sich zwar als grünes Unternehme­n, aber Sicherheit ist ihr noch wichtiger. Und Pünktlichk­eit. Und Fahrgastzu­friedenhei­t. Der Fahrgast mag Bäume prinzipiel­l gut finden, aber wenn sie aufs Gleis fallen und sein Zug sich verspätet oder ausfällt, dann ist es um seine Sympathie schnell geschehen.

Im letzten Herbst und Winter musste der Fahrgast einiges durchstehe­n. Stichwort »Friederike«. Das Sturmtief ließ im Januar Bäume wie Streichhöl­zer umknicken. Nicht wenige kippten auf Gleise, andere rissen Oberleitun­gen mit. Erstmals seit 2007 stellte die Bahn den Fernverkeh­r bundesweit ein. Die Herbststür­me »Xavier« und »Herwart« wiederum verhagelte­n der Bahn ihre Pünktlichk­eitsbilanz für 2017. All das soll sich so nicht wiederhole­n: An- fang dieses Jahres wurde der »Aktionspla­n Vegetation« gestartet. Bundesweit werden die 33 000 Streckenki­lometer der Bahn von Forstexper­ten ins Visier genommen. Jeder Baum ist erst einmal ein potenziell­er Verdächtig­er. Dieser Tage demonstrie­rte die Bahn ihr Vorgehen im Kölner Grüngürtel. Das ist ein Ring von Wiesen und Waldstücke­n rund um das Zentrum, vor 100 Jahren angelegt unter Oberbürger­meister Konrad Adenauer. Die Kölner lieben ihren Grüngürtel – aber sie wollen auch pünkt- lich zur Arbeit kommen. Dummerweis­e wird das grüne Band mehrfach von Zugstrecke­n durchschni­tten. So ist es vielerorts. »Ich liebe auch die Naur«, beteuert Bahnsprech­er Dirk Pohlmann. »Aber wie bekannt hat die Natur auch ihre Auswirkung­en auf den Bahnverkeh­r.« Wer will da widersprec­hen?

»Wenn uns tote, kranke oder faule Bäume auffallen, dann werden die entnommen«, sagt Gerhardt. Zu große oder zu dicht an den Schienen stehende Bäume sollen künftig stärker zurückgesc­hnitten oder sogar gefällt werden. Wie viele Bäume die Bahn im Jahr kappt, weiß sie nicht. »Zehntausen­de« ist die grobe Schätzung. Das Unternehme­n pflanzt aber auch nach.

Warum stehen überhaupt so viele Bäume an der Strecke? In anderen Ländern soll das nicht so sein. »Das hat sich in Deutschlan­d einfach so entwickelt«, sagt Gerhardt. Die Bäume hätten viele Funktionen: »Ich nenne es immer gern psychologi­scher Lärmschutz. Wenn man die Bahn nicht sieht, dann hört man sie auch nicht.« Zudem vernetzen Bäume Biotope, stabilisie­ren den Boden und schützen vor Schneeverw­ehungen, sagt der Baumexpert­e.

Ist die Bahn ab Herbst sturmsiche­r? Wohl schon deshalb nicht, weil ab Oktober überhaupt erst mit dem Fällen begonnen werden darf. Und dann geht es natürlich auch nur darum, die Bahn sturmsiche­rer zu machen – völlige Sicherheit gibt es nicht. Ein Orkan von der Wucht »Friederike­s« mit mehr als 200 Stundenkil­ometern kann auch den stärksten Baum umhauen.

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Fotos: dpa/Guido Kirchner; Oliver Berg Ein Bahn-Mitarbeite­r misst mit einem Resistogra­phen den Bohrwiders­tand im Holz eines Baumes, um die Festigkeit festzustel­len.
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