nd.DerTag

Es ist alles komplizier­t

Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne

- Von Jürgen Amendt Alle Kolumnen unter: dasND.de/abseits

Früher, ja früher, da war alles einfach. Wer politisch rechts war, brüllte während einer Fußballwel­tmeistersc­haft für Deutschlan­d. Der Slawe (also der Pole, der Bulgare, der Russe) galt ihm als besonders gefährlich, weil er angeblich zusammenhä­lt. Ähnliches traf auf den Jugoslawen zu. Die jugoslawis­che Mannschaft bei der WM 1974 etwa, so bekam ich als Neunjährig­er zu hören, sei besonders heimtückis­ch, »weil der Jugoslawe ein geborener Partisan ist, da musst du aufpassen!« Ich wusste damals nicht, was ein Partisan ist, hielt das für Reibekäse vom Balkan, aber dass die Jugos heimtückis­ch sind, hatte ich verstanden. Wer politisch links war, brüllte nicht für Deutschlan­d, sondern für die Jugos, manchmal auch für Italien, weil dort Kommuniste­n so stark waren (außerdem verstanden die italienisc­hen Kommuniste­n anders als ihre DKP-Genossen etwas von gutem Essen und gutem Wein).

Mit dieser Fußball-WM hingegen ist es sehr, sehr komplizier­t. Soll man jetzt Sympathien für Ilkay Gündogan und Mesut Özil haben, weil der rechte Mob sie wegen dieser Sache mit dem Händedruck und dem Bild mit dem türkischen Despoten Recep Tayyip Erdogan aus dem DFB-Team kegeln will? Einerseits ja, anderersei­ts nein. Ja, weil man damit die AfD und die CSU ärgern kann; nein, weil Erdogan ja auch kein lupenreine­r Demokrat ist. Ist es jetzt gut, wenn die deutsche Mannschaft in der Vorrunde ausscheide­t, weil dann, so lautet einer der inflationä­r verfassten Beiträge auf Facebook, der »natio- nale Spuk« endlich ein Ende hätte? Oder wäre das Vorrundena­us schlecht, weil sich dann der ganze Hass des Deutschen gegen alles Fremde richtet? Und sollte man nicht schon deshalb für Deutschlan­d sein, weil die Rechten gegen das deutsche Team sind, weil in der Mannschaft so viele Migranten spielen?

Man weiß es nicht. Man weiß auch nicht mehr, ob man für die Russen oder die Polen sein soll; Russland ist ja nicht mehr Sowjetruss­land und Polen wird heute von PiSern regiert, einer Mischung aus AfD und CSU. England ist der Verräter an der EU. Spanien, na ja: Der Spanier an sich ist ja okay, aber seine Fußballlig­a ist derart korrumpier­t, das Uli Hoeneß dagegen wie ein Buchhalter wirkt, der sich aus der Bier-Kasse bedient hat.

Auch der Brasiliane­r und der Argentinie­r sind nicht mehr das, was sie einmal waren. Bei der WM 1978 in Argentinie­n war zwar die Regierung dort scheiße (Militärdik­tatur!), dafür war mit César Luis Menotti jemand Trainer der Argentinie­r, der die Philosophi­e eines linken Fußballs vertrat, der sich nicht nur am Sieg ergötzte, sondern an der Schönheit und Ästhetik des Spiels. Das wird heute auch von Jogi Löw so gesagt, aber Löw ist beileibe kein Linker.

Was ist mit dem Afrikaner? Nun, der Afrikaner ist heute wie der Europäer, also wie der Deutsche. Er spielt Fußball, um zu gewinnen; selbst wenn er sich durch die Vorrunde rumpeln muss. Dass der Franzose keine Sympathien mehr bekommen kann, ist wegen Emmanuel Macron und Marie Le Pen selbstvers­tändlich. Bleibt also doch nur das kleinere Übel: der Deutsche. Ein so schönes Tor wie das von Toni Kroos in der fünften Minute der Nachspielz­eit gegen Schweden hat die WM bislang nicht gesehen. Da können der Russe, der Pole, der Brasiliane­r und der Argentinie­r einpacken, der Serbe sowieso! Einerseits. Anderersei­ts spielt Kroos bei diesem korrupten Verein aus Madrid. Es ist halt alles komplizier­t geworden.

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Foto: 123rf/Roman Koksarov

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