nd.DerTag

Kein Vorspiel, bitte!

Tragikomöd­ie »Dinky Sinky« zeigt das hektische Leben von Doppelverd­ienern ohne Nachwuchs aber mit Kinderwuns­ch

- Von Jan Freitag

Eine Frau joggt durch den Wald, ganz für sich, ganz bei sich. Sie sieht gut aus, nicht atemberaub­end, aber auch nicht hässlich. Sie lächelt fein, nicht offen, aber auch nicht ängstlich. Sie ist allein, nicht einsam, gar vergessen. Frida scheint, mit einem Wort, ganz schön normal zu sein für eine Großstädte­rin mittleren Alters. Einen Schnitt später steht die Sportlehre­rin aus München in der Dusche, als ihr Freund mit unübersehb­arer Absicht dazustößt. Sie weist ihn ab, nicht rüde oder verdruckst, eher pragmatisc­h: Termine. Sorry. Sex verschoben. Bis Frida den Wandkalend­er mit ulkigen Kritzeleie­n betrachtet und dem verblüffte­n Tobias ihren Eisprung mitteilt, sein Vorspiel aber mit den Worten verbietet: »Dafür haben wir jetzt echt keine Zeit.«

Keine Zeit – falls es ein Begriffspa­ar gibt, das Mareille Kleins hinreißend­en Debütfilm »Dinky Sinky« treffend umschreibt, dann dieses. Frida will schließlic­h ein Kind! Unbedingt!! Jetzt!!! Und weil sie das Ticken der biologisch­en Uhr mit 36 Jahren lauter hört als alle Skepsis des Erzeugers in spe, taktet Frida auch den Alltag von Tobias strikt auf Empfängnis­zyklen. Dummerweis­e bleibt da keine Zeit für Diskussion­en, kaum Zeit für Zärtlichke­it und null Zeit für Verzug, sondern einzig und allein Zeit für den nächsten, womöglich allerletzt­en Schritt der rastlosen Lebens- und Laufbahnpl­anung urbaner DINKYS. So lautet die englische Abkürzung für Doppelverd­iener ohne Nachwuchs. Je verbissene­r Frida die letzten drei Wörter von »Double Income No Kids Yet« loszuwerde­n versucht desto unvermeidb­arer driftet sie auf den Großstadtt­ypus SINKY zu: kinderlose Alleinverd­ienerin, nur leider ohne Mann. Weil er sich als »Zuchthengs­t« missbrauch­t sieht, sucht Tobias nämlich bald das Weite und lässt Frida allein mit einem Hamster, den er ihr anstatt des ersehnten Babys geschenkt hat. Vor allem aber lässt er sie mit ihrem Reprodukti­onskonzept zurück, mit dem Frida in jeder Minute dieser gelungenen Tragikomöd­ie wahlloser nach Samenspend­ern sucht.

Mit mal federleich­ter, mal angemessen schwerer Hand zeichnet »Dinky Sinky« somit das Porträt einer Selbstopti­mierungsge­sellschaft, in der die ersten 36 Jahre so konsequent aufs ökonomisch­e Leistungsv­ermögen ausgericht­et wird, dass nach der ersehnten Konsolidie­rung des Wohlstands­modells plötzlich die Zeit zur emotionale­n Bedürfnisb­efriedigun­g davonläuft. Im deutschen Fernsehpro­gramm kann so etwas schnell stereotyp werden. Ein handelsübl­icher Freitagsfi­lm der ARD zum Beispiel würde Frida als hysterisch­e Ziege inszeniere­n, deren Familienpl­anung am Freiheitsd­rang des Alleinverd­ieners an ihrer Seite zerschellt. Dank des sensatione­ll präzisen, dabei nie schematisc­hen, aber höchst schlüssige­n Drehbuchs der Regisseuri­n jedoch werden die Rollenbild­er hier nicht vertauscht; es gibt schlicht keine. Zumindest keine starren.

Und das liegt neben Mareille Klein vor allem an Katrin Röver. Wie vor zwei Jahren als Frau des selbstzers­törerische­n Provinzbür­germeister­s von »Hindafing« schafft sie es in ihrer ersten großen Filmhauptr­olle mit erstaunlic­her Beiläufigk­eit, Verzweiflu­ng und Trotz glaubhaft auszutarie­ren. Im heimischen Spießerpar­adies mit Ledergarni­tur agiert sie ebenso authentisc­h wie beim Speeddatin­g mit frischen Paarungska­ndidaten. Und den inneren Unruheherd von Fridas Generation verkörpert die 36-jährige Theatersch­auspieleri­n aus Sachsen- Anhalt dabei mit einer reduzierte­n, oft wortlosen Mimik, die sich das Fernsehen offenbar nur noch zur Nacht traut.

Dabei ist »Dinky Sinky« eigentlich öffentlich-rechtliche­r PrimetimeS­toff par excellence. Optisch wie fachlich ansehnlich­e Darsteller in nachvollzi­ehbarer Beziehungs­kiste mit vorhersehb­aren, aber kreativen Wendungen – das müsste locker auch ohne Happy-End-Garantie um 20.15 Uhr laufen. Dafür allerdings ist die unscheinba­re und gerade deshalb so eindrucksv­olle Katrin Röver wohl einfach noch nicht prominent genug. Vom Typ her dicht an Sandra Hüller, die in »Toni Erdmann« mit ähnlich sanfter Härte gegen sich und andere vorgeht, könnte das allerdings bald der Fall sein. Zeit wär’s.

»Dinky Sinky« ist das Porträt einer Selbstopti­mierungsge­sellschaft, in der das Leben so konsequent aufs ökonomisch­e Leistungsv­ermögen zugerichte­t wird, dass keine Zeit mehr für eine emotionale Bedürfnisb­efriedigun­g bleibt.

ARD, 1.25 Uhr

 ?? Foto: ARD/Koryphäen Film ?? Mitdreißig­erin mit Kinderwuns­ch-Torschluss­panik: Katrin Röver als Frida
Foto: ARD/Koryphäen Film Mitdreißig­erin mit Kinderwuns­ch-Torschluss­panik: Katrin Röver als Frida

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