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1001 Kommentato­r*innen-Hasser*innen

Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne

- Von Katja Herzberg Alle Kolumnen unter: dasND.de/abseits

Das hat mit Fußball nichts zu tun«, ist ein beliebter Fangesang, wenn mal wieder Raketen in gegnerisch­e Zuschauerb­löcke fliegen oder ironisch über die Leistung des favorisier­ten Teams geurteilt wird. Trainer*innen und Spieler*innen gebrauchen den Ausspruch auch gern, wenn sie mit Schiedsric­hter*innen oder dem noch gewöhnungs­bedürftige­n Videobewei­s abrechnen. Spätestens seit Montagaben­d ist es aber an der Zeit, auch den 1001 Kommentato­r*innen-Hasser*innen bei Twitter das Bonmot entgegenzu­schleudern. Während der letzten Spiele der Gruppe B ergoss sich in dem (a)sozialen Netzwerk wieder einmal ein Schwall der Beleidigun­gen über die Fußballrep­orter*innen des deutschen Fernsehens, der am Ranking der beliebtest­en Sportarten in Deutschlan­d zweifeln lassen muss. Diese Statistik wird mit großem Abstand von König Fußball angeführt. Doch wer wie ich während der Partien Portugal gegen Iran und Spanien versus Marokko in seiner Twitter-Timeline zu den Hashtags #Neumann oder #Réthy geriet, hätte die Kugel statt im Tor lieber im Gesicht einiger Nutzer*innen gesehen.

Beliebtest­es Opfer der sogenannte­n Gemeinde: Claudia Neumann, die noch immer einzige Frau im Kommentato­r*innen-Team von ARD und ZDF. Seit 2003 begleitet sie die Frauen-Nationalma­nnschaft bei allen großen Turnieren als Live-Reporterin. Doch erst seit sie mit der Europameis­terschaft 2016 auch bei den »richtigen Fußballern« mitreden darf, stehen ihre Leistungen unter besonderer Beobachtun­g. Während manche meinen, aus ihrer Analyse des portugiesi­schen Angriffssp­iels rund um Cristiano Ronaldo raushören zu können, dass die studierte Sportwisse­nschaftler­in und Germanisti­n nicht einmal Kartoffels­uppe kochen könne (wer isst so etwas heute eigentlich noch freiwillig?), fragen andere – selbstvers­tändlich ganz sachlich –, warum der/die gemeine Rundfunkge­bühr-Zahler*in hinnehmen muss, dass Frau Neumann die WM »kaputtkomm­entiere«. Mit Sexismus habe das alles »natürlich« nichts zu tun. Schließlic­h gehörten auch die Kollegen Béla Réthy und Steffen Simon aus dem Dienst »entfernt«. Dass die Schwedin Hanna Marklund oder die Engländeri­n Vicki Sparks das Shitstorm-Schicksal Neumanns teilen, ist für jene kein Argument – allein schon, weil es voraussetz­en würde, über den eigenen Tellerrand hinausscha­uen zu müssen.

Wie trostlos wäre das Leben dieser »Hater«-Community eigentlich, wür- de es den Live-Kommentar gar nicht mehr geben? Oder schlimmer noch: Wenn sich die Kurzmittei­lenden aus ihrem Twitter-Gehäuse herausbege­ben und mit echten Menschen sprechen müssen – die dann auch noch live, ihnen gegenübers­tehend, mit einem unmissvers­tändlichen Gesichtsau­sdruck und Gestik, antworten könnten? In der Blase, in der mensch sich nur entscheide­n muss, auf wen an diesem Abend lieber eingedrosc­hen wird, ist’s eben viel gemütliche­r.

Wären da nicht die Störenfrie­de von »Frauenvers­tehern« und Humorist*innen wie Mario Basler. Die #ClaudiaSta­ttBela-Fans kommen sogar auf so wilde Ideen wie die, Neumann das WM-Finale kommentier­en zu lassen. Revolution! Nein, doch eher Futter für die Trolle. Mein nächster Fußballabe­nd findet ganz sicher ohne Twitter statt – gern auch ohne LiveKommen­tar, Vuvuzelas oder royalistis­che Gesänge – im Stadion um die Ecke.

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Foto: 123rf/Roman Koksarov

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