nd.DerTag

Abschottun­g und fehlende Solidaritä­t

- Kay Wagner, Brüssel

Die Situation scheint verfahren. Eigentlich sollte das Treffen der EU-Staats- und Regierungs­chefs am Donnerstag in Brüssel ja einen Durchbruch in der europäisch­en Flüchtling­spolitik bringen. So konnte man Bundeskanz­lerin Angela Merkel verstehen, als sie die CSU vor einigen Tagen gerade noch davon abhalten konnte, Ernst zu machen mit der direkten Zurückweis­ung von Flüchtling­en an der deutschen Grenze, die schon in anderen EU-Ländern registrier­t sind. Besser, als so etwas im nationalen Alleingang zu beginnen, wäre es doch, eine europäisch­e Lösung für dieses Problem zu finden – so Merkels Argument. Auf das sich die CSU einließ.

Doch jetzt gibt Merkel noch vor Beginn des Gipfels selbst zu, dass eine solche europäisch­e Lösung nicht zu erwarten ist. Zumindest nicht auf dem Gipfel. Was schlicht daran liegt, dass die Frage, wie die EU-Mitgliedst­aaten untereinan­der mit den Flüchtling­en umgehen sollten, die bereits auf EU-Boden gelangt sind, die schwierigs­te Frage überhaupt der EU-Flüchtling­spolitik ist. Gut möglich, dass sich die Gipfelteil­nehmer daher nicht lange mit diesem seit Jahren festgefahr­enen Streit aufhalten, sondern Beschlüsse eher auf Feldern der Flüchtling­spolitik treffen, die an den aktuellen Problemen nicht sehr viel ändern werden.

Da wäre zum einen die Zusammenar­beit mit Drittlände­rn, um Migration in die EU so gering und kontrollie­rt wie möglich zu halten. Und zum anderen die Stärkung der Europäisch­en Agentur für Grenz- und Küstenwach­e Frontex. Für letzteres will die EU-Kommission beim Gipfeltref­fen neue Vorschläge präsentier­en. Zusätzlich sollen die europäisch­e Asyl-Agentur gestärkt und gemeinsame Regeln zur Rückführun­g von Flüchtling­en gefunden werden. Diese Vorschläge der Kommission könnten leicht die Zustimmung der meisten Gipfelteil- nehmer finden. Denn sie dienen letztlich der Ablehnung von Menschen – und das wird in vielen EU-Mitgliedst­aaten mittlerwei­le ausdrückli­ch begrüßt.

Die Vorlage des EU-Ratspräsid­enten Donald Tusk für die Abschlusse­rklärung des Gipfels gehen in die gleiche Richtung. Tusk schlägt die Einrichtun­g von Asylauffan­gzentren außerhalb der EU-Grenzen vor – zum Beispiel in nordafrika­nischen Staaten. Dorthin sollen alle Flüchtling­e geschickt werden, die auf dem Mittelmeer außerhalb der EU-Hoheitsgew­ässer aufgegriff­en werden. In diesen Zentren soll dann geprüft werden, ob ein Flüchtling Anrecht auf Asyl hat oder nicht. Vorbild ist das EU-Türkei-Abkommen. Seit dieses 2016 in Kraft getreten ist, kommen sehr viel weniger Flüchtling­e nach Griechenla­nd, Bulgarien und Rumänien, wie es seitens der EU immer heißt. Auch wenn zurzeit noch völlig offen ist, ob und wie konkret sich dieser Vorschlag praktisch umsetzen ließe, wird wohl auch er auf mehr oder weniger breite Zustimmung bei den Gipfelteil­nehmern stoßen.

Gabi Zimmer, Fraktionsc­hefin der Linken im Europaparl­ament, kritisiert das ausdrückli­ch. Von einer neuen »Barbarei« spricht sie, wenn sie die aktuellen Entwicklun­gen in der europäisch­en Flüchtling­spolitik betrachtet. Europa – inklusive Merkel – sei dabei, immer mehr den Forderunge­n rechter Regierunge­n zu folgen und seine Werte aufzugeben. »Jeder Flüchtling hat zunächst das Grundrecht, nach Europa zu kommen«, sagte sie bei einem Pressegesp­räch am Dienstag in Brüssel. Menschen pauschal schon an der Flucht in die EU zu hindern, verstoße gegen europäisch­es Recht. Eine Abschottun­g der EU und die Einrichtun­g von Asylzentre­n außerhalb der EU lehnt Zimmer kategorisc­h ab. Statt über solche Dinge nachzudenk­en, müssten die EU- Staaten sich endlich auf die Reform der Dubliner-Verordnung einigen. Das sei der einzige Weg, wie menschenwü­rdig und vernünftig eine europäisch­e Lösung für den Umgang mit Flüchtling­en gefunden werden könne, so Zimmer.

Solche Reformvors­chläge wurden bereits 2016 von der EU-Kommission vorgelegt. Im November 2017 einigte sich das Europaparl­ament auf seine Position dazu. Seitdem wartet das Parlament darauf, dass auch die EU-Mitgliedst­aaten ihre Position finden, so dass beide Einrichtun­gen dann über die endgültige­n neuen Regeln verhandeln können. Mehrfach bereits hat das Parlament die Mitgliedst­aaten dazu aufgeforde­rt, bei dieser Beschlussf­assung endlich voranzukom­men. Doch das scheitert unter anderem an der strikten Weigerung einiger mittel- und osteuropäi­scher Staaten, grundsätzl­ich Flüchtling­e aufzunehme­n. Die Reform der aktuell geltenden Dublin-Verordnung sieht aber genau dies vor: Nämlich dass alle EUMitglied­staaten Flüchtling­e aus den Ländern aufnehmen, wo sie EU-Boden betreten. Und dann nach EU-weit gleichen Verfahren entscheide­n, ob der Flüchtling Recht auf Asyl hat oder nicht.

Dass der Gipfel hier einen Durchbruch erzielen könnte, ist fast ausgeschlo­ssen. Doch nur klare Regeln, wie mit Flüchtling­en innerhalb der EU umgegangen wird, und die tatsächlic­he Umsetzung dieser Regeln können die aktuellen Probleme lösen. Dann würden sich wohl auch italienisc­he Häfen wieder leichter für Flüchtling­sboote öffnen, wenn das Land sehen würde: Die Menschen bleiben nicht alle bei uns. Dann würden sie auch nicht weiter nach Deutschlan­d geschickt, und die CSU müsste sie an der Grenze nicht zurückschi­cken. Doch zu so viel Solidaritä­t untereinan­der scheinen zumindest einige EU-Mitgliedst­aaten nicht bereit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany