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Hängeparti­e

Im Unionsstre­it um die Asylpoliti­k ist keine Einigung in Sicht

- Von Stefan Otto

Das Spitzentre­ffen im Kanzleramt hat keinen Durchbruch gebracht: Die CSU beharrt weiterhin auf ihrer Forderung, Flüchtling­en die Einreise zu verwehren. Der Fortbestan­d der Koalition ist damit ungewiss. Andrea Nahles ist derzeit sichtlich genervt. Der Streit zwischen den Unionspart­eien zieht sich hin; die Koalition hängt in den Seilen. »Unbefriedi­gend« sei das, sagte die SPD-Chefin, nachdem am Dienstag bis in die Nacht hinein der Koalitions­ausschuss getagt hatte und zu keinem Ergebnis gekommen war. Die Hängeparti­e geht damit weiter. »Wir wissen nicht, wie die Woche zu Ende geht«, erklärte Nahles und appelliert­e an ihre Koalitions­partnerinn­en, nun endlich zur Sacharbeit zurückzufi­nden.

Wie der Streit der Unionspart­eien ausgeht, ist völlig offen. Die demonstrat­iven Treueschwü­re aus den Reihen von CDU und CSU vor dem Treffen wurden am Morgen danach nur noch halbherzig wiederholt. Und auch Nahles antwortete auf die Frage, ob es möglicherw­eise Neuwahlen geben würde, äußerst schmallipp­ig: »Das warten wir jetzt mal ab.« Klar ist derzeit, dass keine Einigung absehbar ist.

Ausgebroch­en ist der Konflikt am 12. Juni, als Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) einen 63 Punkte umfassende­n »Masterplan Migration« vorstellen wollte. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) intervenie­rte und erhob Einspruch gegen das Vorhaben, keine Flüchtling­e mehr ins Land zu lassen, die bereits in einem anderen EU-Staat registrier­t worden sind. Dies würde nämlich bedeuten, dass Deutschlan­d seine Grenzen wieder schließen und die Freizügigk­eit im Schengenra­um aufgeben würde. Merkel setzt indes auf eine europäisch­e Lösung und bat Seehofer, dafür bis zum EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag Zeit zu bekommen. Für eine europäisch­e Einigung spricht derzeit allerdings nicht viel: Weder ist eine neue Regelung der Verteilung von Flüchtling­en unter den Mitgliedst­aaten in Sicht, noch stößt das Dublin-System – worauf sich Seehofer mit seinem Vorschlag einer Abweisung an der Grenze beruft – auf Akzeptanz bei den EU-Partnern. Merkel versucht derweil, bilaterale Abkommen mit anderen EU-Staaten über eine Rückführun­g von Flüchtling­en abzuschlie­ßen, doch bislang zeigte sich nur Frankreich dazu bereit.

An der Flüchtling­spolitik zeigt sich, wie uneins die Europäisch­e Union ist. Die Idee eines geeinten Europas ist längst bedroht – von Miet- gliedstaat­en, die immer häufiger in nationalst­aatliche Denkmuster verfallen. Der deutsche Innenminis­ter Seehofer hat mit seinem Vorstoß die Debatte über die nationale Souveränit­ät noch einmal befeuert.

Konkretes von dem Spitzentre­ffen der Koalition im Kanzleramt ist nicht bekannt geworden. Die Reaktionen im Anschluss daran deuten daraufhin, dass es zu keiner Annäherung kam. Insbesonde­re die CSU beharrte auf ihrer Position. Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt erklärte am Mittwoch, seine Partei warte noch den EU-Gipfel ab, danach sollten aber die »Zurückweis­ungen an der Grenze stattfinde­n«. Es ist exakt die Aussage, die seine Partei seit zwei Wochen proklamier­t.

Unionsfrak­tionschef Volker Kauder schätzte die Lage »sehr ernst« ein. Solange aber miteinande­r geredet werde, »ist immer noch Grund, darauf zu hoffen, dass wir zu einem Ergebnis kommen«. Das klingt nicht sehr zuversicht­lich und lässt den Schluss zu, dass das Spitzentre­ffen im Kanzleramt den Riss in der Union nicht kitten konnte. Ein Scheitern der Großen Koalition ist weiterhin keineswegs ausgeschlo­ssen, auch wenn wohl niemand die Auswirkung­en eines solchen Szenarios überblicke­n kann. Die Grünen und die FDP denken mittlerwei­le laut über eine Neuwahl des Bundestags nach, und auch die SPD hat sich als Regierungs­partei schon damit befasst.

Sollte es wirklich dazu kommen, wäre es ein Eingeständ­nis der Unionspart­eien, dass sie sich auseinande­rentwickel­t haben. Während die CSU bisweilen häufiger die Grenze des Rechtspopu­lismus überschrit­ten hat, findet die Kanzlerin mit ihrer pragmatisc­hen Politik bis hinein ins linksliber­ale Spektrum Zuspruch, verliert dagegen in ihrer eigenen Partei zunehmend an Unterstütz­ung.

Nicht ausgeschlo­ssen ist aber nach wie vor, dass die Große Koalition sich doch noch zusammenra­uft und ihre Zweckgemei­nschaft fortsetzt, wenn auch arg beschädigt. Denn natürlich wird der Asylstreit in dem Bündnis Spuren hinterlass­en. Argwohn wird bleiben.

An der Flüchtling­spolitik zeigt sich, wie uneins die Europäisch­e Union ist. Die Idee eines geeinten Europas ist längst bedroht – von Mietglieds­taaten, die immer häufiger in nationalst­aatliche Denkmuster verfallen.

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