Der Euro ist eine Währung ohne Staat
Ökonom Jörg Bibow über die Reformdebatte beim Gipfel, ein Schatzamt der Eurozone und die Bankenunion
Auf dem EU-Gipfel geht es auch um die Vertiefung der Euro-Währungsunion. Sie bezeichnen diese als »fehlkonstruiert« und »dysfunktional«. Was genau meinen Sie damit? Der Euro war mit Hoffnungen auf eine im Währungsgebiet ausgewogene Entwicklung und zunehmende Prosperität verbunden. Mit der rund zehn Jahre währenden und noch immer nicht überwundenen Krise wurden alle Erwartungen enttäuscht. Das Euro-Regime hat klar versagt. Vor der Krise hatte es die wachsenden Divergenzen in der Lohnentwicklung und das Entstehen riesiger Ungleichgewichte nicht verhindert; speziell das deutsche Lohndumping war krass systemwidrig. Und als die Krise dann losbrach, fehlten geeignete Mittel zur Bekämpfung. Die Fiskalpolitik schaltete schnell auf Austerität. Die Geldpolitik handelte lange zu zaghaft. So verschärfte sich die Krise nur noch.
Die hohen deutschen Exportüberschüsse stehen aber auf dem EUGipfel gar nicht zur Debatte. Wie sinnvoll ist es dann überhaupt, sich über eine Reform der Währungsunion zu unterhalten?
Das ist vollkommen richtig: Reformen können nur funktionieren, wenn die internen Ungleichgewichte ausgeglichen werden. Wer Deutschlands Exportüberschüsse verewigen will, muss auch eine Transferunion akzeptieren. Deutschlands Überschüsse sind die Thomas Trares. wachsenden Schulden der anderen Länder. Die Eurokrise hat deutlich gezeigt, wie das endet: mit Bankrott.
Ihrer Ansicht nach sollte die Währungsunion durch eine Fiskalunion ergänzt werden. Insbesondere fordern Sie, ein Euro-Schatzamt einzurichten. Was genau soll das sein? Ein solches Schatzamt würde eine minimalistische Fiskalunion schaffen, die dem Euro als Rückgrat fehlt. Er ist eine Währung ohne Staat. Das ist einzigartig und Hauptdefizit des Euro. Die Mitgliedsländer machen Schulden in einer Fremdwährung. Das macht sie ähnlich verwundbar wie Entwicklungsländer, die Schulden in US-Dollar machen. Das EuroSchatzamt wäre ein Schritt Richtung fiskalpolitische Normalität. Es nähme zur Finanzierung öffentlicher Investitionen Schulden auf; die Mitgliedsländer erhielten aus diesem Gemeinschaftstopf Zuschüsse.
Wäre ein Schatzamt in der Lage, künftige Krisen zu bekämpfen?
Ja. Zum einen würde es direkt die öffentlichen Investitionen verstetigen, die seit der Krise stark destabilisierend wirkten. Zum anderen würde es indirekt die Verwundbarkeit der Mitgliedsländer reduzieren und damit das Wirken der »automatischen fiskalpolitischen Stabilisatoren« ermöglichen, die in der letzten Krise de facto ausgeschaltet wurden. In Europa gewinnen derzeit aber die Fliehkräfte die Oberhand. Und in Deutschland reagieren MainstreamÖkonomen und Konservative allergisch auf alles, was mit Vergemeinschaftung zu tun hat. Ist eine »MiniFiskalunion« überhaupt machbar? Leider richtig. Deshalb sieht mein Euro-Schatzamt-Vorschlag ja auch keine Transferunion vor. Es findet keine Umverteilung statt, es werden auch keine Alt-Schulden vergemeinschaftet. Allein die zukünftigen Investitionen werden gemeinschaftlich finanziert. Wer aber selbst eine minimalistische Fiskalunion blockiert, sollte den Euro besser gleich auflösen.
In der EU begreifen immer mehr Politiker, dass das Regelwerk nicht ausreicht, den Euro krisenfest zu machen. So wird vorgeschlagen, den Rettungsschirm ESM zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF) auszubauen. Zudem will Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen eigenen Eurozonen-Haushalt und einen Euro-Finanzminister etablieren. Und der Internationale Währungsfonds empfiehlt die Gründung eines »Schlechtwetterfonds«. Geht all dies nicht in Ihre Richtung? Ja. Mit Ausnahme von deutschen Konservativen und »Experten« haben so ziemlich alle verstanden, dass der Euro dysfunktional ist. Einige Vorschläge wären durchaus hilfreich. Ein EWF kann in akuten Krisen helfen, schafft aber noch nicht die fehlende Wachstumsausrichtung. Auch ein »Schlechtwetterfonds« wäre sinnvoll, da er zwangsläufig mit Unterstützungszahlungen an die Schwächeren startet. Das provoziert aber deutsche Ängste vor einer Transferunion. Macrons Vorschlag für einen Euro-Finanzminister ist viel weitreichender. Ein echter Finanzminister mit Entscheidungsmacht müsste einer politischen Rechenschaftspflicht unterliegen.
Wie beurteilen Sie die deutsche Position? Kanzlerin Angela Merkel kann sich im Rahmen eines EWF die Vergabe kurzfristiger Kredite vorstellen. Zudem soll der Investivhaushalt der Eurozone im zweistelligen Milliardenbereich liegen.
Frau Merkel hat sich endlich bewegt, Glückwunsch. Ihre Vorschläge wären aber kaum mehr als der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Das Euro-Regime würde man so keineswegs funktional und nachhaltig machen. Aber vieles bleibt weiterhin unklar. Vielleicht kann Frankreich die deutsche Regierung am Ende ja noch zur Vernunft bringen. Zur Vertiefung der Währungsunion gehört auch eine Bankenunion. Eine Bankenunion hätte man 1999 bei der Euro-Einführung schaffen müssen. Das 2012 halbherzig eingeleitete Spätprojekt hat sie bis heute nicht geschaffen. Eine Bankenunion erfordert letztlich auch eine gemeinschaftliche fiskalische Absicherung, speziell der Einlagensicherung. Deutschland wehrt sich aufgrund der Altlasten aus der Krise weiterhin strikt dagegen. Auch hierin bleibt der Euro verwundbar, die Bankenunion mehr Schein als Sein.