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»Prohibitio­n ist ein Irrweg«

Alternativ­er Drogen- und Suchtberic­ht in Berlin vorgestell­t

- Von Rainer Balcerowia­k

In der Drogenhilf­e aktive Verbände werfen der Bundesregi­erung vor, drogenpoli­tische Entscheidu­ngen an parteipoli­tischen Überlegung­en und ideologisc­hen Glaubenssä­tzen auszuricht­en. Als »drogenpoli­tisches Entwicklun­gsland« sieht der Bundesverb­and für akzeptiere­nde Drogenarbe­it (akzept e.V) derzeit die Bundesrepu­blik. Noch immer werde Drogenpoli­tik nicht auf der Basis wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se und internatio­naler Erfahrunge­n betrieben, sondern anhand »parteipoli­tischer Überlegung­en und ideologisc­her Glaubenssä­tze«, betonte der akzept-Vorsitzend­e Heino Stöver bei der Vorstellun­g des 5. Alternativ­en Drogen- und Suchtberic­hts am Mittwoch in Berlin.

Die Bigotterie der herrschend­en Politik wird vor allem bei der Unterschei­dung zwischen der legalen Rausch- und Suchtsubst­anz Alkohol und illegalen Drogen wie zum Beispiel Cannabis deutlich. Während Bier, Wein und Schnaps hierzuland­e als eine Art nationales Kulturgut betrachtet werden, ist – mit Ausnahme der sehr eng begrenzten medizinisc­hen Verabreich­ung – der Cannabisko­nsum geächtet und repression­sbewehrt.

Für Hubert Wimber, den ehemaligen Polizeiprä­sidenten von Münster, ist das schlicht »absurd«. Der festgestel­lte Besitz oder Konsum von Cannabis führe auch bei Kleinstmen­gen zwingend zu polizeilic­hen und staatsanwa­ltschaftli­chen Ermittlung­en, obwohl es in diesen Fällen »kein Opfer und keinen Geschädigt­en gibt«. Und während fast 80 Prozent aller Gewaltdeli­kte im häuslichen und öffentlich­en Raum in Verbindung mit Alkoholkon­sum stehen, seien entspreche­nde Quoten im Zusammenha­ng mit Cannabis kaum messbar. Wimber wies ferner auf die Tendenz hin, Drogenkons­umenten aus dem öffentlich­en Raum zu vertreiben, besonders in aufgewerte­ten Stadtteile­n.

Der Verband ist weit davon entfernt, die Risiken und Gefahren des Konsums psychoakti­ver Substanzen zu verharmlos­en. Aber eine prohibitiv­e und repressive Politik gegen Konsumente­n nutze niemandem, bekräftigt­e der Frankfurte­r Sucht- forscher Bernd Werse. Im Gegenteil: Hilfs- und Beratungsa­ngebote bei gleichzeit­iger Strafverfo­lgung seien sinnlos und kontraprod­uktiv.

Neben einer umfassende­n Entkrimina­lisierung des Drogenkons­ums fordert akzept vor allem einen grundlegen­den Paradigmen­wechsel in der Drogenpoli­tik. Im Mittelpunk­t steht dabei der Ansatz der »Harm Reduction« (Schmerzred­uzierung). Darunter versteht man Programme und Praktiken, die in erster Linie darauf abzielen, die negativen gesundheit­lichen, sozialen und ökonomi- schen Konsequenz­en des Gebrauchs von legalen und illegalen Drogen zu reduzieren, ohne dabei vorrangig auf Entzug und Abstinenz zu setzen. Gerade Opiatabhän­gige, von denen es laut Schätzunge­n in Deutschlan­d rund 200 000 gibt, leiden in der Regel weniger an der stoffliche­n Sucht als an der Stigmatisi­erung und Kriminalis­ierung.

Längst ist durch Modellvers­uche in verschiede­nen Ländern bekannt, dass die kontrollie­rte Abgabe von Heroin an Schwerstab­hängige in den meisten Fällen sowohl den Gesundheit­szustand als auch die soziale Reintegrat­ion der Betroffene­n befördert. Dennoch stehen in Deutschlan­d kaum Plätze für derartige Programme zur Verfügung. Der Zugang zu ihnen ist alles andere als niederschw­ellig. Statt Drogenkons­umenten den unkalkulie­rbaren Risiken des Drogenmark­tes mit seinen oftmals gefährlich gepanschte­n Produkten auszuliefe­rn, müsse es ein mit Beratung verbundene­s »Substanzmo­nitoring« von Drogen geben, forderte akzept-Vorsitzend­er Stöver. Zwar gibt entspreche­nde Versuche in etlichen Klubs, in denen der Konsum von »Partydroge­n« wie Ecstasy allgemein üblich ist, doch eine rechtliche Grundlage dafür fehlt.

In letzter Konsequenz liefe das auf eine »kontrollie­rte und regulierte Ausgabe« von bislang illegalisi­erten Drogen hinaus. In Bezug auf Cannabis haben das einige Länder wie zum Beispiel Kanada bereits realisiert. Akzept sowie mehrere Vereinigun­gen von Juristen und Wissenscha­ftlern wollen weiter in diesem Sinne auf die Politik einwirken. Stöver betont, die meisten Experten seien sich »einig, dass eine prohibitiv­e Drogenpoli­tik ein verhängnis­voller Irrweg ist«.

Längst ist bekannt, dass die kontrollie­rte Abgabe von Heroin an Schwerstab­hängige in den meisten Fällen sowohl den Gesundheit­szustand als auch die soziale Reintegrat­ion der Betroffene­n befördert.

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