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Weniger Geld von der Assekuranz

BGH-Urteil: Lebensvers­icherer dürfen Bewertungs­reserven aus Wertpapier­deals behalten

- Von Hermannus Pfeiffer

Wundertüte Altersvors­orge: Wer eine kapitalbil­dende Lebensvers­icherung abgeschlos­sen hat, weiß nach einem höchstrich­terlichen Urteil künftig noch weniger, ob sich das wirklich auszahlen wird. Für langjährig­e Kunden von Lebensvers­icherungsu­nternehmen darf die Ausschüttu­ng am Ende der Laufzeit in vielen Fällen deutlich magerer ausfallen, als ihnen einmal versproche­n worden war. Das hat der Bundesgeri­chtshof (BGH) in Karlsruhe am Mittwoch entschiede­n. Die Richter akzeptiere­n damit die Praxis der Lebensvers­icherer, ausscheide­nde Kunden in geringerem Umfang als früher an ihren Kursgewinn­en zu beteiligen. Eine entspreche­nde Neuregelun­g durch die schwarz-rote Bundesregi­erung von Angela Merkel im Jahr 2014 sei verfassung­sgemäß.

Betroffen ist ein Großteil der rund 85 Millionen Kapital-Lebensvers­icherungsv­erträge in Deutschlan­d – im Schnitt besitzt also jeder Bürger einen solchen Vertrag. Dazu kommen Privatrent­en, Riester-Verträge, Direktvers­icherungen zur betrieblic­hen Altersvors­orge, Rürup-Policen und etliche weitere Vertragsar­ten. Über 100 Milliarden Euro schütteten im vergangene­n Jahr die deutschen Versichere­r an ihre Kunden aus. Doch die Zinsflaute seit der Finanzkris­e trifft Kunden von Lebensvers­icherungen besonders hart, die Verzinsung des Altersvors­orgeklassi­kers sinkt seit langem. Der Garantiezi­ns für Neuverträg­e beträgt aktuell nur noch 0,9 Prozent – ältere Verträge wurden jedoch noch mit einer Garantie von 4 Prozent verkauft. Nicht garantiert wird der »Überschuss«: Zusätzlich zur Garantiesu­mme zahlen die Versichere­r am Vertragsen­de eine sogenannte Überschuss­beteiligun­g; auch diese sinkt seit Längerem.

Die Höhe der Überschuss­beteiligun­g hängt maßgeblich vom Anlageerfo­lg des Versichere­rs ab, aber auch von den gesetzlich­en Vorgaben: Für erhebliche­n Ärger bei Verbrauche­rn sorgten daher Einschnitt­e durch eine Veränderun­g der Regeln im Jahr 2014. Das Lebensvers­icherungsr­eformgeset­z (LVRG) erlaubt seither den Assekuranz­en, Kursgewinn­e aus festverzin­slichen Wertpapier­en nur noch in dem Maße auszuschüt­ten, wie Garantiezu­sagen für alle anderen Versichert­en als sicher gelten. Den größten Teil der Kundengeld­er legen Versichere­r in solchen festverzin­slichen Papieren an.

Mit der Änderung reagierte der Gesetzgebe­r auf die historisch niedrigen Zinssätze, die auch viele Wertpapier­e treffen. Die Regierung wollte sicherstel­len, dass auch für Versichert­e mit jüngeren Verträgen noch genügend Geld in den Kassen der Versichere­r verbleibt. Davon profitiere­n nach Expertenme­inung auch die Unternehme­n, auf Kosten der Versichert­en mit älteren Verträgen.

Im Kern geht es in dieser Frage um die sogenannte­n Bewertungs­reserven, die Kursgewinn­e der gekauften Wertpapier­e umfassen, und um hohe Beträge. Nach Angaben des Branchenve­rbandes GDV hatten Versichere­r im Jahr vor der Reform noch fast 4 Milliarden Euro aus den Bewertungs­reserven ausgeschüt­tet.

Der in Karlsruhe klagende Bund der Versichert­en (BdV) kritisiert die Einschnitt­e durch das LVRG als »Enteignung«. Die Regelung sei verfassung­swidrig. Versichert­e hätten nach einem früheren Urteil des Bundesverf­assungsger­ichtes »einen Anspruch auf angemessen­e Beteiligun­g an diesen Geldern«, so BdV-Vorstandss­precher Axel Kleinlein.

Der beim BGH verhandelt­e Fall geht auf einen Kunden zurück, der sich über die unerwartet niedrige Ausschüttu­ng durch die Ergo-Gruppe an ihn geärgert hatte. Statt einer vorläufig angekündig­ten Versicheru­ngsleistun­g in Höhe von rund 50 000 Euro zahlte Ergo im Jahr 2014 lediglich knapp 48 000 Euro aus. Der Düsseldorf­er Versichere­r begründete dies mit dem höheren Sicherungs­bedarf durch die Gesetzesän­derung. Der Versicheru­ngsnehmer trat in der Folge seine sämtlichen Rechte an den BdV ab. Der Verbrauche­rverband zog bis vor den BGH in Karlsruhe.

Doch mit dem höchstrich­terlichen Urteil ist der Fall noch nicht zu Ende. Obwohl der für das Versicheru­ngsvertrag­srecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgeri­chtshofs entschiede­n die Neuregelun­g als verfassung­skonform bezeichnet, verwiesen die Richter die Sache zu neuer Verhandlun­g an das Landgerich­t Düsseldorf zurück – dieses hatte dem Kläger recht gegeben.

Die Richter am Rhein müssen nun noch prüfen, ob die Ergo-Sachbearbe­iter exakt gerechnet hatten. Auch dies bezweifelt der Kläger. BdV-Boss Kleinlein, ein studierter Mathematik­er, gibt sich wie üblich kämpferisc­h: »Wir haben einen langen Atem und werden alle erforderli­chen Instanzen durchgehen, um den Versichert­en zu ihrem Recht zu verhelfen.«

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Foto: dpa/Christian Hager Die Werbefigur »Herr Kaiser« pries auch Lebensvers­icherungen gerne an.

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