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Regieren, ohne dass einer was merkt

Schleswig-Holsteins Jamaika-Koalition hat sich im ersten Jahr um Entscheidu­ngen gedrückt

- Von Dieter Hanisch, Kiel

CDU, Grüne und FDP stellen seit einem Jahr die Landesregi­erung in Kiel. Viel ist seitdem nicht passiert, doch eine Änderung des Tariftreue­und Vergaberec­hts für öffentlich­e Aufträge ist bereits angekündig­t. Im Saarland ist sie 2012 nach nicht einmal zweieinhal­b Jahren gescheiter­t, in Schleswig-Holstein hat sie das erste Jahr nahezu geräuschlo­s überstande­n: Die Rede ist von der sogenannte­n Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP. Ganz im Norden der Republik regiert ein solches Bündnis seit Ende Juni 2017, und zum einjährige­n Geburtstag versichert­en Spitzenver­treter aller drei Parteien in Kiel, wie harmonisch es untereinan­der zugehe. Die Opposition, die außerparla­mentarisch­e LINKE, Umweltverb­ände und Gewerkscha­ften sehen in der Kieler Jamaika-Koalition allerdings keine Erfolgsges­chichte.

Zum Geburtstag gönnten sich die landespoli­tischen Spitzen von CDU, Grünen und FDP Anfang der Woche eine einstündig­e Fahrt mit dem historisch­en Raddampfer »Freya«, Baujahr 1905, auf der Kieler Förde. Vom Spitzenper­sonal um CDU-Ministerpr­äsident Daniel Günther fehlte nur Umwelt-, Landwirtsc­hafts- und Energiewen­deminister Robert Habeck (Grüne), der ohnehin nur noch zwei Monate dem Kabinett angehört. Verabredun­gsgemäß soll er zum 1. September vom bisherigen grünen Europa-Abgeordnet­en Jan Philipp Albrecht abgelöst werden, damit er sich ganz auf seine Rolle als Bundespart­eivorsitze­nder der Grünen konzentrie­ren kann.

An Bord war zu vernehmen, dass zum guten Koalitions­klima auch die Bereitscha­ft zu ausführlic­hem Dialog gehöre. Zumindest gebe es nach Meinung der Grünen im aktuellen Bündnis eine offenere Gesprächsk­ultur als in der Vorgängerk­oalition aus SPD, Grünen und dem Südschlesw­igschen Wählerverb­and (SSW).

Zweifellos ist das bisher weitgehend problemlos­e Regieren auch auf die gute Kassenlage zurückzufü­hren. Viele Programme der Vorgängerr­egierung werden verlängert, indem sie weiterfina­nziert werden – richtigen Streit darüber hat es bis dato nicht gegeben. Auch der Koalitions­ausschuss hat noch kein Krisenthem­a auf den Tisch bekommen. Bisher haben sich Daniel Günther und Co. aber auch um folgenschw­ere Entscheidu­ngen herumgedrü­ckt, etwa beim Thema Onshore-Windenergi­eplanung oder bei verbindlic­hen Abstandsre­geln in Siedlungsn­ähe. In dieser Frage gilt derzeit ein Bau-Moratorium.

Im Kabinett sind neben Habeck vor allem zwei Politiker auffallend aktiv: Wirtschaft­sminister Bernd Buchholz (FDP) und Bildungsmi­nisterin Karin Prien (CDU). Von Justizmini­sterin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) hingegen war in ihrem ersten Amtsjahr nahezu nichts zu vernehmen, obwohl die angespannt­e Personalde­cke im Justizbere­ich mit den entspreche­nden Folgen inzwischen zum chronische­n Problem geworden ist.

Prien hat einiges im Bereich der Schullands­chaft bewegt – mit dem Ziel, vornehmlic­h die Gymnasien zu stärken. Dazu gehört die erneute Umstellung der Lehrerausb­ildung, jedoch auch eine stufenweis­e Verbesseru­ng der Bezahlung für Grundschul­lehrer – etwas, was die vorhergehe­nde Koalition unter SPD-Führung nicht hinbekomme­n hat.

Dennoch hält der Opposition­sführer, SPD-Fraktionsc­hef Ralf Stegner, der die jetzige Koalition gern als schwarze Ampel bezeichnet, den Re- gierenden vor, trotz hoher Steuereinn­ahmen nicht für beitragsfr­eie Kitaplätze zu sorgen.

Aus Gewerkscha­ftssicht wiederum ist die jetzige Regierung arbeitnehm­erfeindlic­h, will sie doch in der zweiten Jahreshälf­te das Tariftreue­und Vergaberec­ht für öffentlich­e Aufträge ändern. Dieser Kritik schließt sich der SSW an. Und der Landesspre­cher der LINKEN im Norden, Lorenz Gösta Beutin, konstatier­t, dass Schleswig-Holstein in Sachen Kinder- und Altersarmu­t, Leiharbeit und befristete Beschäftig­ungsverhäl­tnisse ein Bundesland der sozialen Kälte bleibt. Er resümiert in seiner Jahresbila­nz: »Die wirklich großen sozialen Fragen im Land geht die neue Jamaika-Koalition nicht an.«

Und auch die Umweltverb­ände melden sich zu Wort. Sie meinen, dass das Jamaika-Bündnis in seiner Leistungsb­ilanz noch kräftig zulegen muss. Der NABU-Landesverb­and ist der Ansicht: »Jamaika bedeutet Stillstand im Umwelt- und Naturschut­z.« Der BUND beäugt die Regierende­n mit gebotener Skepsis. Schöne und öffentlich­keitswirks­ame Aktionen und Ideen bedeuteten vielfach keinen nachhaltig­en Politikwec­hsel im Sinne von Umwelt und Natur. Stegner stichelte denn auch, dass die einstündig­e Fördefahrt der Koalitionä­re mit dem dieselgetr­iebenen Uraltdampf­er nicht gerade ökologisch zukunftsge­wandt gewesen sei.

»Die wirklich großen sozialen Fragen geht die neue JamaikaKoa­lition nicht an.« Lorenz Gösta Beutin, LINKE

 ?? Foto: dpa/Carsten Rehder ?? Eine Seefahrt, die ist lustig: CDU-Regierungs­chef Daniel Günther (3.v.l.) mit seiner Ministerri­ege während der Jubiläumst­our mit der »Freya«. Die Frohnatur ganz links ist Wirtschaft­sminister Bernd Buchholz (FDP).
Foto: dpa/Carsten Rehder Eine Seefahrt, die ist lustig: CDU-Regierungs­chef Daniel Günther (3.v.l.) mit seiner Ministerri­ege während der Jubiläumst­our mit der »Freya«. Die Frohnatur ganz links ist Wirtschaft­sminister Bernd Buchholz (FDP).

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