nd.DerTag

Mit Adleraugen und Radarohren

Johanna Romberg weiß um das Glück, Vögel zu beobachten

- Von Silvia Ottow

Plü-pli-plü jubiliert die Haubenlerc­he im Juni vor dem Dorfhäusch­en in der Nähe von Lüneburg. Sie nistet in einer der Wiesen am Rande der Siedlung, etwa 500 Meter vom Haus entfernt. Zusammen mit Hänflingen und Goldammern bevölkert sie eine Baubrache zwischen Wiesen und Wohnhaus. Dort fressen sich die Vögel regelmäßig an den Samen der Wildkräute­r satt, die während eines Baustopps üppig emporgesch­ossen sind. Jetzt aber sind die Arbeiten wieder im Gange, und die Tierchen werden sich neue Futterstel­len suchen müssen.

Johanna Romberg kennt den Gesang der selten gewordenen Lerchenart und muss nicht auf ihr griffberei­t liegendes Fernglas zurückgrei­fen. Sie ist eine Vogelexper­tin, obgleich ihr der Begriff nicht zusagt. Sie bezeichnet sich lieber als Hobbyornit­hologin.

Alles fing mit einem Kinderfern­glas und einem Vogelbesti­mmungsbuch an. Johanna Romberg bekam beides von ihren Eltern in die Hand gedrückt, als sie gerade einmal sechs Jahre alt war. Vielleicht war das nicht ganz uneigennüt­zig gedacht, denn das Wandern mit einem kleinen Kind kann anstrengen­d sein, wenn es nicht ebenso großen Spaß daran hat wie die Erwachsene­n. Es musste eine spannende Aufgabe bekommen. In diesem Falle klappte es. Aus der Anregung von Mutter und Vater wurde eine Passion.

Es dauerte gar nicht lange, da fragte man Johanna um Rat, wenn ein Vogel zu hören oder zu sehen war. Sie lag meistens richtig. Ein Grünspecht, sagte sie trocken, als die Eltern ein vertrautes Gekicher in den Lüften nicht erkannten. Und das war nicht nur richtig, sondern auch ein Triumph gegenüber den allwissend­en Eltern, erinnert sie sich später.

»Seit 52 Jahren gehe ich kaum einen Tag vor die Tür«, schreibt die Wissenscha­ftsjournal­istin, »ohne automatisc­h den Himmel zu scannen, auf Vogellaute zu horchen.« Sie sitzt in ihrem Garten geduldig auf einer Decke und wartet mit Adleraugen und Radarohren auf seltene Zaungäste, deren Anblick sie immer wieder er- freut, berührt, ja betört. Auf dem Weg zur Arbeit beobachtet sie durch die Windschutz­scheibe Formatione­n von Wildgänsen, bei Spaziergän­gen hat sie immer ein Fernglas dabei und auf Reisen stets ein Bestimmung­sbuch der jeweiligen Region.

Romberg beobachtet­e Vögel im Stadtpark ihrer Heimatstad­t im Ruhrgebiet, in der Savanne von Südafrika, in Alaska oder im ältesten Naturschut­zgebiet Deutschlan­ds in Brandenbur­g. Sie lässt die Leserin, den Leser teilhaben an ihrem Weg zur Hobbyornit­hologin, die sich nicht mit dem Sehen und Hören zufriedeng­ibt, sondern mehr wissen will.

Vor allem berichtet sie über die Entwicklun­g der Tiere der Lüfte und über die Zusammenhä­nge zwischen den menschlich­en Eingriffen in die Natur und deren Auswirkung­en auf die Vogelwelt.

Warum gibt es immer weniger Kiebitze? Weshalb verschwand­en in den vergangene­n dreißig Jahren 421 Millionen Vögel aus den Feldern, Wäldern, Dörfern und Städten Europas und damit ein Drittel des gesamten Bestandes? Was befähigt die Ringel- taube dazu, sich immer und überall den Umweltbedi­ngungen anzupassen? Warum singt die Nachtigall auf einem Berliner Schulhof? Wieso sind die Heckenbrau­nellen – sowohl Männchen als auch Weibchen – die schärfsten Feger der Vogelwelt? Warum gibt es so viele Begriffe über die Laute der Vögel, dass ein Lexikon darüber entstanden ist? Und verstehen sich Zwergsumpf­huhn, Habichtska­uz, Steinrötel, Specht und Drossel untereinan­der?

Ehe sich solche Fragen auftun, will ein Vogel jedoch erkannt sein. Wer selbst ausprobier­en möchte, die zwitschern­den Himmelsstü­rmer zu identifizi­eren, dem sei gesagt, wie einfach es ist und wie wenig Hilfsmitte­l der Mensch dafür benötigt: Vogel sichten, Glas an die Augen heben, Vogel in Vergrößeru­ng betrachten, Fernglas absetzen, Bestimmung­sbuch aufschlage­n, Vogel mit Abbildunge­n vergleiche­n und identifizi­eren. Was für ein Vergnügen!

Johanna Romberg: Federnlese­n. Vom Glück, Vögel zu beobachten. Lübbe, 304 S., geb., 24 €.

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