nd.DerTag

Barbaren und Barberini

Kunstverei­n Hannover: Hiwa K, »Moon Calendar«

- Von Radek Krolczyk

Man hockt auf einer Brücke aus Holz. Sie führt über einen schmalen, langen Ausstellun­gsraum. Unten eine Szenerie, die bedrückt, obwohl das Geschehen nur sehr vermittelt mit Gewalt zu tun hat. In großen Projektion­en sieht man Männer mit nackten Oberkörper­n oder schmutzige­n, verschwitz­ten Shirts. Sie ziehen metallene Rahmen aus der Glut. Sandformen, solche, wie sie in den Videos zum Bronzeguss verwendet werden, sind unterhalb der Brücke aufgeschic­htet. Nur sehr viel exakter, kunstvolle­r, der Größe nach geordnet ineinander verschacht­elt. Die Gussschäch­te sehen aus wie flache, leere Pyramiden.

Die Arbeit ist Teil einer Ausstellun­g, die der Hannoveran­er Kunstverei­n dem Künstler Hiwa K widmet. Dieses Werk ist in erster Linie physisch, obwohl es meist eine filmische oder literarisc­he Form besitzt. Der Besucher seiner Hannoveran­er Ausstellun­g, der von der bereits erwähnten Brücke in die Bronzegieß­erei blickt, der riecht den Schweiß und spürt das Elend.

Physisch wirkt die gesamte Ausstellun­g. Das liegt nicht nur an den Arbeiten und ihrem räumlichen Aufbau, in den der Besucher direkt integriert wird, sondern auch an den Besonderhe­iten des Gebäudes des Kunstverei­ns. Hiwa K spielt mit dem Lichteinfa­ll der hohen Fenster, des 1855 errichtete­n Hauses. Dabei ist in dieser Videoinsta­llation, die den wunderbare­n, kulturhint­ertreibend­en Titel »What the Barbarians did not do, did the Barberini« trägt, keinerlei Zwang und keinerlei Zweck zu sehen. Zwangsarbe­it und Krieg – das sind Assoziatio­nen, die sich unwillkürl­ich einschleic­hen. Bronze schließlic­h, mit der hier gegossen wird, kam sowohl im Krieg, als auch in der Kunst zum Einsatz.

Wie der Titel der Arbeit zeigt, hat das Werk von Hiwa K auch eine literarisc­he Dimension. Er spielt damit auf Maffeo Barberini an, der zwischen 1623 und 1644 als Papst Urban VIII. amtierte. Er gilt zwar als Gegner der Inquisitio­n, ließ jedoch auch die Verzierung­en am Portal des Pantheon in Rom einschmelz­en, um daraus Kanonen zu gießen. Diese Verzierung­en hatten eine Form, die den Bronzen ähnelt, die Hiwa Ks Gussarbeit­er aus dem Sand ziehen.

Woher das K im Namen des Künstlers rührt, lässt sich so genau nicht sagen. Aber an Brechts K., den Herrn Keuner, erinnert es schon. Herr Keu- ner ist nämlich eine leere Figur, ohne eigene Persönlich­keit, ein Typus seiner Zeit, aber mit einem scharfen Blick für die Belange der Gegenwart und vielen Fragen.

Persönlich­keitslos ist Hiwa K nun aber gar nicht, trotz des Kürzels im Namen. Sein Werk ist geprägt von den Bildern und Metaphern eines 40jährigen Mannes, der als jugendlich­er Flüchtling seinen Weg aus Sulaimanya­h im kurdischen Teil Iraks nach Berlin gefunden hat. Herkunft und Flucht spielen in seinen Arbeiten immer wieder eine Rolle. In seinem Video »Pre-Image (Blind as the Mother Tongue)« ist der Künstler selbst zu sehen. Er geht darin als legal Reisender die Strecke ab, die er vor mehr als zwanzig Jahren als illegalisi­erter Flüchtling schon einmal zurücklegt­e, durch Italien, durch Frankreich und Deutschlan­d. In seinem Video hält er einen wundersame­n Wanderstab in der Hand, der mit unterschie­dlichen Rückspiege­ln von Autos und Motorräder­n besetzt ist. Bei seiner Wanderung orientiert er sich an dem, was er in den Spiegeln sieht. Streckenwe­ise balanciert er die Stange auf Nase oder Stirn: Nach vorn kommt man nur, wenn man das, was in der Vergangenh­eit liegt, nicht in Vergessenh­eit geraten lässt, das mag eine Botschaft sein, die Hiwa K dem Betrachter an die Hand gibt. In einem Gedicht, das er diesen Bildern zur Seite stellt, heißt es: »Was, wenn die Reise eine Ewigkeit dauert? Die einzige Uhr ist mein Magen./ Ich verspeiste sogar die Verpackung des Kuchens, den ich vor drei Tagen aß.« Solcherart Sinnbilder findet man in seinen Arbeiten häufig. Sie mögen zuweilen voll Pathos sein, aber sie sind nie ganz falsch. Man findet neben der Moral auch stets einen unauflösli­chen, höchst rätselhaft­en Überhang.

Mit der Flucht kommt stets der Verlust einer Heimat. In Athen stand letztes Jahr im Sommer während der Documenta im Innenhof des archäologi­schen Benaki-Museums ein rudimentär­er einstöckig­er Betonbau, auf dessen erhobener Plattform sich zwar ein Bett zum Schlafen befand, das aber so dach- und außenwandl­os, wie es war, keinerlei Schutz bot. Hinzu kam, dass es für die Besucher der Großausste­llung nicht möglich war, das skelettier­te Haus über- haupt zu betreten. Diese kluge und beeindruck­ende architekto­nische Außenplast­ik ist in Hannover in mehreren Bildern dokumentie­rt.

Ein weiteres physisch spürbares Video in der Ausstellun­g heißt »PinDown«. Drei Videowände ergeben dabei einen kleinen Raum. Die Projektion­en zeigen zwei Männer beim traditione­llen kurdischen Ringen – es sind der Künstler selbst und sein Freund, der Philosoph Bakir Ali. Ihr Schlagabta­usch besteht aus einem Dialog, zu Fragen von Kunst und Gesellscha­ft. Der Kampf der Freunde ist solidarisc­her Art. Und ihr Gespräch verhilft in gewissem Sinne zum Verständni­s des Werks. Sie strengen sich an und wechseln krachend ihre Positionen. Im gesprochen­en Wort bildet sich etwas heraus, körperlich bleibt niemand unterlegen.

Woher das K im Namen des Künstlers rührt, lässt sich so genau nicht sagen. Aber an Bert Brechts K., den Herrn Keuner, erinnert es schon ein wenig.

Die Ausstellun­g ist bis zum 29.7. im Hannoveran­er Kunstverei­n zu sehen.

 ?? Foto: Raimund Zakowski ?? Hiwa K »It’s Spring And The Weather Is Great So Let´s Close All Object Matters«, 2012, Verschiede­ne Materialie­n
Foto: Raimund Zakowski Hiwa K »It’s Spring And The Weather Is Great So Let´s Close All Object Matters«, 2012, Verschiede­ne Materialie­n

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