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Zeit ohne Heugabeln

»Love, Simon« erzählt vom Coming-out eines Teenagers in einer Gesellscha­ft, die Homosexual­ität weitgehend akzeptiert

- Von Felix Bartels

Der Schikaneur aus dem Footballte­am, der verstockte Nachbar mit militärisc­hem Hintergrun­d, die Mutter mit konservati­vem Familienbi­ld, der Mitläufer, der seine eigene Homosexual­ität unterdrück­t – die Klischees treffen noch von Fall zu Fall, doch Homophobie ist heute nicht mehr manifest. Die Zeit der Heugabeln und brennenden Kreuze ist vorbei. Es ist deshalb heute schwierige­r geworden, eine leidlich interessan­te Coming-out-Handlung zu erzählen.

Der Film »Love, Simon« unternimmt diesen Versuch: von einem Coming-out zu erzählen in einer Gesellscha­ft, die Homosexual­ität weitgehend akzeptiert hat. Es geht damit eher um die Hintertüre­n, durch die sich aus dem gesellscha­ftlichen Konsens gestoßene Vorurteile ins Verhalten zurückschl­eichen. Kein Gesetz verbietet es, eine undramatis­che Handlung zu erzählen. Es gibt Leute, die mögen das sogar. Dieser Film ist fast durchweg kandiert und in Watte gepackt. Aufkommend­e Konflikte werden schnell gelöst oder lange verzögert.

Eigentlich hat Simon ein traumhafte­s Leben: Er wächst in einer beschaulic­hen Kleinstadt auf, ohne finanziell­e Sorgen, zwischen Familie und Freunden, von denen er geliebt wird und im Fall eines Coming-outs gar nichts zu befürchten hätte. Darunter leidet die Fabel und zerfällt in drei Teile: eine harmlose Komödie von 70 Minuten, die als gedehnte Exposition die Charaktere entfaltet, 20 Minuten dramatisch­e Kollision, wo dann komplement­är kaum Platz für Gedanken bleibt, und einen Schluss, der sich am ehesten als Happy-EndGrotesk­e beschreibe­n lässt. Wenigstens kann man dem Film nicht vorwerfen, dass er aus seiner Alles-wirdgut-Haltung ein Geheimnis macht.

Den Schwächen der Konstrukti­on und der Glätte des Geschehens stehen geschickt entworfene Figuren gegenüber, die Zwischentö­ne spielbar machen. Hier ist nichts eindeutig.

Simons Vater zum Beispiel ist ein latentes Unbehagen an Homosexual­ität anzumerken. Er spürt, dass ihn irgendwas von seinem Sohn trennt, und versucht durch maskuline Albernheit­en den Zugang zu ihm herzustell­en, was die Distanz zumindest nicht geringer macht. Seine Unbeholfen­heit steht in Konflikt mit seiner sentimenta­len Seite und seinen liberalen Einstellun­gen. Simons Widersache­r Martin, der ihn outet, handelt aus Schwäche, nicht aus Homophobie. Er, nicht Simon, ist der Außenseite­r. Simons Mitschüler Ethan lebt seine Homose- xualität offen, und das wird allgemein akzeptiert. Ethan darf schwul sein, weil er dem Klischee eines Schwulen entspricht. In der Rolle der Tunte ist der schwule Außenseite­r festgehalt­en und somit entschärft. Wenn du schon anders bist, dann sei auch anders – ist der innere Gedanke der sekundären Homophobie.

Auch Simon selbst, den man vom Start weg gern hat, weil er witzig ist, klug und taktvoll, offenbart Untiefen. Das Geheimnis selbst scheint fast ebenso zu drücken wie die Angst, dass es herauskomm­e. So verstrickt er sich weiter und agiert wie ein Puppenspie­ler, der die Beziehunge­n seiner Freunde arrangiert. Mit einem Schwulen, der sich »Blue« nennt, verbindet ihn eine anonyme Brief- freundscha­ft, und als er sich in ihn verliebt, geht er ihm auf die Spur. In wiederkehr­enden Parallelmo­ntagen ändert sich in Simons Vorstellun­g das Gesicht von Blue, je nachdem, welchen seiner Bekannten er gerade verdächtig­t, Blue zu sein. So tut er genau das, wovon er nicht will, dass es ihm geschehe: das Geheimnis eines anderen Menschen an sich reißen. »Das war nicht deine Entscheidu­ng«, wird er am Ende Martin ins Gesicht schreien, »ich sollte derjenige sein, der entscheide­t, wann und wo und wie und wer es erfährt. Und du hast mir das genommen.«

»Love, Simon«, USA 2017. Regie: Greg Berlanti; Darsteller: Nick Robinson, Jennifer Garner, Josh Duhamel. 110 Min.

Simon, den man vom Start weg gern hat, weil er witzig ist, klug und taktvoll, offenbart Untiefen. Sein Geheimnis selbst scheint fast ebenso zu drücken wie die Angst, dass es herauskomm­e.

 ?? Foto: Twentieth Century Fox ?? Eigentlich hat Simon (Nick Robinson) ein traumhafte­s Leben. Nicht einmal von der Familie hätte er im Falle eines Coming-outs etwas zu befürchten.
Foto: Twentieth Century Fox Eigentlich hat Simon (Nick Robinson) ein traumhafte­s Leben. Nicht einmal von der Familie hätte er im Falle eines Coming-outs etwas zu befürchten.

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