nd.DerTag

Kriegskind­er

Viele Fußballer entflohen einst ihrer Heimat, nicht alle spielen bei der WM für die neue

- Von Miriam Schmidt, Kasan

Als Kinder erlebten sie Krieg, Armut und Angst – heute spielen sie bei der Weltmeiste­rschaft. Viele ehemalige Geflüchtet­e treten bei der WM für ihr neues Heimatland an, andere kehrten zu ihren Wurzeln zurück. Luka Modrics Weltkarrie­re begann in den Wirren des Krieges in seiner Heimat Kroatien, der Nigerianer Victor Moses floh im Alter von 11 Jahren als Waise aus seiner Heimat: Viele der gefeierten Fußballpro­fis auf der WMBühne haben bewegende Schicksale als Geflüchtet­e hinter sich. Einige wie die Schweizer Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri oder der Franzose Steve Mandanda laufen für ihre neuen Heimatländ­er auf. Andere wie Moses, der in England aufwuchs, entschiede­n sich für Länderspie­lkarrieren in ihrer Heimat. Oft prägen die frühen Erlebnisse auch die späteren Wege als Fußballer.

Der australisc­he Nationalsp­ieler Daniel Arzani etwa floh als Kind mit seinen Eltern aus Iran. Das Selbstvert­rauen für seine rasante Karriere hat der mit 19 Jahren jüngste Spieler des Turniers auch durch seine Kindheitse­rfahrungen im Dauerkrise­ngebiet des Nahen Ostens gesammelt. »Wenn man beim Fußballspi­elen in den Straßen aufwächst, braucht man dieses Selbstvert­rauen«, berichtete er. Nun für Australien aufzulaufe­n, sei eine große Ehre für ihn: »Mein Debüt war ein besonderer Moment. Das Land zu repräsenti­eren, was uns geholfen hat, ist etwas Besonderes.«

Auch Mittelfeld­spieler Moses ist durch seine Erfahrunge­n stärker geworden. »Am Anfang war es hart, weil ich plötzlich in eine andere Kultur geworfen wurde«, sagte der 27-Jährige, der bei Pflegeelte­rn in London aufwuchs, nachdem er Vater und Mutter bei religiösen Ausschreit­ungen in seiner Heimat verloren hatte. »Als kleiner Junge in einem neuen Land musste ich neue Freunde finden, das war schwierig. Ich konnte zu Anfang noch nicht einmal die Sprache.« Doch er fand schnell einen Fußballver­ein, wechselte 2012 zum FC Chelsea London und war bei dieser WM Stammspiel­er für sein Heimatland Nigeria.

Der in der heutigen Demokratis­chen Republik Kongo geborene Mandanda läuft hingegen für seine neue Heimat auf, genauso wie Dänemarks Pione Sisto, der in Uganda als Sohn südsudanes­ischer Eltern geboren wurde und im Alter von zwei Monaten nach Dänemark kam. 2014 erhielt er die Staatsbürg­erschaft und feierte kurz darauf sein Debüt in der

dänischen U21-Auswahl. Die Schweiz hat neben Shaqiri und Xhaka, die aus Jugoslawie­n stammen, viele weitere Profis im Kader, deren Wurzeln nicht in der Schweiz liegen. Dazu gehören Josip Drmic, der aus Kroatien stammt, oder der in Kamerun geborene Breel Embolo.

Andere Profis gingen den umgekehrte­n Weg, so etwa der in der Schweiz geborene und aufgewachs­ene Ivan Rakitic, der bei der WM für die Heimat der Eltern spielt: Kroatien. Besonders eindrucksv­oll ist Marokko: Nur sechs Spieler aus dem 23Mann-Kader sind wirklich in Marokko geboren. Die meisten Leistungst­räger wie der Ex-Münchner Mehdi Benatia oder Hakim Ziyech von Ajax Amsterdam sind in Europa geboren und fußballeri­sch ausgebilde­t worden, ehe sie sich entschiede­n, das Nationaltr­ikot des Heimatland­es ihrer Vorfahren tragen zu wollen.

Die wohl meisten Spieler mit einer Fluchtgesc­hichte spielen für Kroatien, da sie ihre Heimat als Kinder während der Balkankrie­ge verlassen mussten. Real Madrids Luka Modric lebte längere Zeit in Hotels und Heimen, nachdem er die Familie verlor und sein Wohnhaus niederbran­nte. Teamkolleg­e Vedran Corluka floh aus Bosnien, Liverpools Dejan Lovren verbrachte viele Jahre in Deutschlan­d. »Man lässt alles zurück. Das ist hart«, berichtete der Verteidige­r. »Ich habe als Kind gekämpft, und ich werde mein ganzes Leben lang kämpfen. Erst beim Fußball haben die Leute angefangen, mich zu respektier­en.«

»Ich habe als Kind gekämpft, und ich werde mein ganzes Leben lang kämpfen. Erst beim Fußball haben die Leute angefangen, mich zu respektier­en.« Kroatiens Dejan Lovren

 ?? Foto: AFP/Paul Ellis ?? Die Kriegsflüc­htlinge Luka Modric (r.) und Vedran Corluka (M.) stehen mit Kroatien und Sime Vrsaljko nach dem 2:1 gegen Island im Achtelfina­le.
Foto: AFP/Paul Ellis Die Kriegsflüc­htlinge Luka Modric (r.) und Vedran Corluka (M.) stehen mit Kroatien und Sime Vrsaljko nach dem 2:1 gegen Island im Achtelfina­le.

Newspapers in German

Newspapers from Germany