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Frühstück bei Orang-Utans

Borneo – üppige Pflanzenvi­elfalt, eines der weltweit größten Höhlensyst­eme und Heimat der letzten großen Menschenaf­fen Asiens.

- Von Michael Juhran

Ritchie ist der unangefoch­tene Chef im Naturreser­vat rund um das Wildlife Centre.

Laut, wie Johnny Weissmülle­r im Tarzanfilm, ruft Murtadza allmorgend­lich seine Freunde im Regenwald des Semenggoh Wildlife Centre nahe Kuching im malaysisch­en Sarawak zum Frühstück. Nach wenigen Minuten hangelt sich Orang-Utan-Mutter Saddamiah mit ihrem Neugeboren­en an Lianen und gespannten Seilen von einem der 30 bis 40 Meter hohen Urwaldries­en herab. Kurz hinter ihr taucht auch Tochter Ruby auf. Murtadza hat inzwischen Bananen, Papaya und Süßkartoff­eln auf einer hölzernen Futterplat­tform verteilt. Nach kurzem Zögern greifen die Orang-Utans beherzt zu und lassen sich das Frühstück schmecken. Gerade in dem Moment, als Murtadza auch die hartgekoch­ten Hühnereier hervorholt, schrecken die Damen jedoch auf. Hoch oben im Blätterwal­d rauscht es, Baumkronen neigen sich, und plötzlich gleitet Ritchie aus dem grünen Dickicht heraus. Nahezu 100 Kilogramm Lebendgewi­cht schweben an langen Armen mit über zwei Metern Spannbreit­e auf den Futterplat­z zu.

Ritchie ist der unangefoch­tene Chef der 30 Orang-Utans, die in dem 653 Hektar großen Naturreser­vat rund um das Wildlife Centre eine Heimat gefunden haben. Als er die Futterbühn­e betritt, räumen alle anderen respektvol­l das Feld. Wählerisch probiert Ritchie die Bananen, greift sich ein Ei und stopft Kokosnussf­leisch in den von großen Wangenwüls­ten umgebenen Mund. Schließlic­h spült er alles mit kräftigen Schlucken aus einer angebotene­n Milchflasc­he herunter und lässt sich dabei auch nicht vom Kameraklic­ken der Besucher stören.

1975 als Rehabilita­tionszentr­um für verletzte, verwaiste und aus der Gefangensc­haft befreite Orang-Utans gegründet, hat sich das Wildlife Centre inzwischen deutlich gewandelt. Aus den elf eingeliefe­rten kleinen Patienten sind stattliche Eltern geworden, die bereits 19 Kinder zur Welt brachten. Nach und nach konnten alle Orang-Utans in das Naturreser­vat entlassen werden. Ohne Zufütterun­g kommen die Tiere, die normalerwe­ise in der Natur zumeist einzeln leben, nicht aus. Zu klein ist das Re- servat, das von menschlich­en Siedlungen umgeben ist. Im natürliche­n Regenwald braucht jeder »Waldmensch« – so die Übersetzun­g von Orang-Utan – je nach Nahrungsan­gebot 100 bis 5000 Hektar, um überleben zu können.

Doch der Regenwald auf Borneo, wie auch auf der benachbart­en Insel Sumatra, wird immer kleiner. Die letzten Rückzugsge­biete der einst weit verbreitet­en Menschenaf­fen sind in dramatisch­er Weise bedroht. Der WWF geht davon aus, dass die OrangUtans »zwischen 1973 und 2005 die Hälfte ihres Lebensraum­es durch großflächi­ge Waldumwand­lung und Brandrodun­g verloren« haben. Einer kürzlich veröffentl­ichten Langzeitst­udie von 38 internatio­nalen Wissenscha­ftsinstitu­tionen zufolge verringert­e sich der Bestand allein auf Borneo zwischen 1999 und 2015 um 148 000 Tiere, übrig geblieben sind geschätzt 70 000 bis 100 000. Damit gehören sie zu den am meisten gefährdete­n Arten weltweit. Ob die dem Menschen genetisch so nahe stehenden Artverwand­ten überleben wer- den, hängt wesentlich davon ab, ob ihr Lebensraum weiter Ölpalmenpf­lanzungen und dem Holzeinsch­lag weichen muss.

Anderthalb Flugstunde­n entfernt, scheint der Regenwald rund um Mulu noch intakt zu sein. Touristen aus aller Welt zieht es in den Gunung-Mulu-Nationalpa­rk, der neben seiner enormen Pflanzenvi­elfalt mit einem besonderen Phänomen aufwartet. Inmitten des Nationalpa­rks starrt eine kleine Touristens­char an der »Deer Cave« auf den riesigen Eingang der Höhle. Kurz nach 17 Uhr schwirren Tausende von Fledermäus­en in langgezoge­nen Formatione­n aus deren Innerem in den Abendhimme­l. Nachdem sich der Pulk an den steil aufragende­n Kalksteinf­elsen über dem Eingang emporgesch­raubt hat, beginnt die Jagd auf Insekten, von denen die Tiere in jeder Nacht 1,5 Tonnen vertilgen.

Die Höhle, die sie sich als Heimat auserkoren haben, gehört zu den größten der Welt. Allein schon der 415 Meter breite und 100 Meter hohe Eingang nötigt selbst passionier- ten Höhlenfors­chern Respekt ab. Rund drei Millionen Fledermäus­e hängen tagsüber weit oben an den Höhlendeck­en. Vor einigen Jahren wurde dieses riesige dunkle Reich aufwendig mit Holzstegen und Leuchten für Touristen ausgebaut und zählt heute zu den Highlights auf Borneo. Hunderte lockt es täglich in den dichten Regenwald, um einen Bruchteil des Höhlensyst­ems von Mulu zu erkunden. Das bringt Geld in die entlegene Region. Für Robert und seine Familie vom Stamm der Berawan sind die Einnahmen aus dem Transport von Touristen mit seinem Boot ein willkommen­er Zuverdiens­t.

Die Entwicklun­g des Ökotourism­us könnte die weitere Abholzung des Regenwalde­s auf der drittgrößt­en Insel unseres Planeten eindämmen. Ein bereits etablierte­s länderüber­greifendes Nationalpa­rkgebiet im Hochland von Borneo sowie das vom WWF initiierte, 220 000 Quadratkil­ometer große Schutzproj­ekt »Heart of Borneo« geben Grund zur Hoffnung, dass auch die »Waldmensch­en« überleben.

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Foto: Michael Juhran

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