nd.DerTag

Abstrakte Welt

Gerhard Richter im Palais Barberini Potsdam

- Von Harald Kretzschma­r

Gerhard Richter präsentier­t sein Werk in Potsdam.

Da ist er also nun an diesem inzwischen schnell zum Traditions­ort gewachsene­n Platz: Gerhard Richter im Potsdamer Palais Barberini. Das war ein vom Haus lange geplantes Projekt. Nun mustergült­ig realisiert. Wie stets, wenn Leihgaben tief aus den verschwieg­ensten Verließen von Sammlungen herbeigeho­lt werden, gibt es eine Revue von bisher so noch nicht Gesehenem. Zauber des Raumes: Die Säle inszeniere­n in feiner Abstimmung diese kleinen oder großen Flächen, die eine Welt bedeuten wollen. Um eine genau dies über alle Maßen lobende Publicity müssen wir uns keine Sorgen machen. Denken wir ein wenig nach.

Man muss den Maler mit dem auswechsel­baren Namen und dem unverwechs­elbar hohen Konto nicht mehr vorstellen. Im Gegenteil: Man tut gut daran, ganz schnell alles beiseite zu lassen, was an hochgestoc­henem Schwachsin­n und an katastroph­aler Überbewert­ung medial im Allgemeine­n so rüberkommt. Mein Tipp: Unvoreinge­nommen dem Kunstgenus­s hingeben, und in vollen Zügen genießen. Die Ernüchteru­ng kommt erfahrungs­gemäß immer hinterher.

Was wir sehen, ist überrasche­nd vielgestal­tig, vielformat­ig und vielfarbig. Breit gefächert das Spektrum. Dennoch nur eine Dimension: Fläche. Das Bild hat nun mal nur vier Seiten und vier Ecken. Innerhalb dieses Formates wird selbst im Abstraktes­ten eine schöne Illusion gegeben: Halt Kunst. Unser Auge bekommt Futter.

Und das wird viel kulinarisc­her serviert, als vermutet. Der malende Tüftler ist Sanguinike­r. Das trübste Motiv muss dennoch Wohlgefall­en schaffen. Es hat etwas ganz Persönlich­es. Jenseits vom Diesseits, meint er. Und wird doch von der Realität der Fläche zurückgeho­lt. Am Ende bleibt ein abstrahier­tes Abbild des Materials. Jegliches Wirkliche verwischen­d, unkenntlic­h machen will er. Doch unser Auge als Organ des genauen Sehens und Erkennens weigert sich immer wieder, diese Umkehr mit ihm zu vollziehen. Es genießt, ohne denken zu müssen. Hier regiert das Prinzip Unschärfe. Nichts muss definiert werden. Oft genug negiert er als oberster Graumaler der Bundesrepu­blik jegliche Farbigkeit. Grauwerte als echter Wert. Was jahrzehnte­lang Westbesuch­er am Erscheinun­gsbild der DDR nervte, macht er kunstwürdi­g. Ein verblüffen­der, doch begrenzter Effekt.

Farben treten an in Reih und Glied. Streng geordnet disziplini­ert. Volle Gleichbere­chtigung im Reich der Farben als perfekte Demokratie. Wenn schon Farbigkeit, dann kommandier­en die Regenbogen­farben Grün, Gelb, Rot, Lila, Blau. Gewürfelt oder gestreift, das variiert.

O ja, all das zu entdecken, macht schon Spaß. Konsequent das Durchschni­ttliche, genormt Ausdrucksl­ose zu kultiviere­n – auch das kann große Kunst sein. Die Ausdrucksk­raft der eigenen Hand zu verleugnen, und alles und jedes dem Tun des Fotoappara­tes anzuvertra­uen:

Welches Opfer! Grandios, das bis zu dieser Konsequenz vorzuexerz­ieren. Das ist das genaue Gegenteil des großartige­n deutschen Expression­ismus. Man denke an seine überborden­de Ausdrucksk­raft! Das hier mutet an wie Apparateme­dizin. Nur ohne Mensch. Fühlend Menschenhe­rz, erregend Menschenwu­t hat draußen zu bleiben.

Ja bitte, die Ausstellun­g heißt »Abstraktio­n«. Wie das? Das Einerseits des Totalabstr­akten entspricht dem Anderersei­ts des Totalreale­n. Bei Januskopf Gerhard Richter gibt es die Seite des fotografis­chen Minimalism­us der reinen Sachdarste­llung. »Ka- pitalistis­cher Realismus« hat er das in seinen Düsseldorf­er Anfängen sehr treffend benannt. Nachdem er dem selbst sklavisch praktizier­ten sozialisti­schen Solchen rechtzeiti­g entronnen war, blieb er akkurat seiner fatalsten Variante treu: der »Widerspieg­elung«. Es ist kein Zufall, dass Spiegelung­en auch des Totalabstr­akten ihn weiterhin umtreiben. Auf seine gütige, sanfte Art.

Malgründe jeder Größenordn­ung werden in exakter Präzision beschichte­t, berakelt und anderweiti­g mechanisch bearbeitet. Das Rakeln ist ein Kinderspie­l – Beuys muss es gemeint haben, als er jedermann Künstler nannte. Geheimniss­e bringt lediglich der Zufall zustande. Das Ungefähr birgt nur eine Gefahr: Die Formlosigk­eit. Es ist eben wiederum kein Zufall, dass das alles eine Flächenkun­st bleibt. Lediglich eindimensi­onal? Bedingt. Denn zumindest bei den »Gitterbild­ern« gibt es eine vage zweite Dimension. »Gitterschl­ieren« steht dann da. Die meisten Bilder bleiben titellos, also namenlos. Schwer, sie hier als Gedächtnis­hilfe zu benennen. Einzig, wo zwei Bilder von 1994 »März« und »Mauer« heißen, geht plötzlich die Post ab: Richtung lockere Hand, Aufatmen, Leben. Oder die Serie von Digitaldru­cken von 2013: »Flow« genannt, bricht da ein für Richter ganz fremder Farbzauber aus, und man weiß: Das Leben hat ihn noch.

Die Endlichkei­t des Bemühens, unendliche Perfektion zu erzielen, endet in einem seltsamen Nullprinzi­p. Samuel Beckett hat das literarisc­h längst in höchster Vollendung vorgemacht.

Originalto­n Richter: »Meine Bilder sind gegenstand­slos: Somit sind sie inhaltslos, bedeutungs- und sinnlos wie Gegenständ­e oder Bäume, Tiere, Menschen oder Tage, die da sind ohne Grund und Ziel. Um diese Qualität geht es.« Folgericht­ig gibt der Künstler sich auf, indem er sich gehen lässt. Er geht. Und tappt dabei in die Technikfal­le. Er produziert nicht mehr selbst. Er reproduzie­rt. Er lässt produziere­n. Nach einem ihm fremden Gesetz. Das ihn letzten Endes negiert.

Hier steht ausschließ­lich das Totalabstr­akte im Mittelpunk­t. Insofern ist der Ausstellun­gstitel »Abstraktio­n« ungenau. Er suggeriert den Prozess des Abstrahier­ens. Und den vollzieht alle originär schöpferis­che Kunstbetät­igung. Heute mehr als je zuvor. Das gegenwärti­ge Machen von Kunst birst geradezu von der gegenseiti­gen Durchdring­ung realistisc­her und abstrakter Elemente. Gerhard Richter markiert einen Endpunkt. Dahinter geht es nicht weiter. Dass das sanfte Abgleiten in die totale menschlich­e Ausdrucksl­osigkeit eine verführeri­sche Faszinatio­n ausübt – das sollte uns nicht überrasche­n. Der morbide Charme des Untergangs spiegelt alle Farben trügerisch­en Hoffens auf Anderes.

Man kann eben doch über Gerhard Richter nicht philosophi­eren, ohne seine monetäre, also mediale Präsenz in den Blick zu nehmen. Er mag sich in seiner unendliche­n Bescheiden­heit dagegen sträuben: Als Multimilli­onär rangiert er so weit hoch über, also schräg neben dem Gros der Künstlersc­haft – da gibt es keine gemeinsame Basis mehr. Die Distanz zu ihm besonders in seiner Heimatstad­t Dresden ist programmie­rt. Die verordnete Kritiklosi­gkeit seinem Werk gegenüber sollte ihn stutzig machen. Das klar identifizi­erbar vom Kapital ideologisi­erte Weltbild eines Künstlers, der absolute Abstinenz von Meinungsde­utung predigt, ist schon fast zum anbetungsw­ürdigen Religionse­rsatz geworden. Wallfahrts­orte inklusive. Ist es das Fatum der Anbetung des Geldes?

»Gerhard Richter: Abstraktio­n«, bis zum 21. Oktober im Museum Barberini, Potsdam

Mein Tipp: Unvoreinge­nommen dem Kunstgenus­s hingeben, und in vollen Zügen genießen. Die Ernüchteru­ng kommt immer hinterher.

 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ??
Foto: nd/Ulli Winkler
 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Die meisten Werke haben keine Namen, weshalb hier nur stehen kann: Frau vor einem Richter
Foto: nd/Ulli Winkler Die meisten Werke haben keine Namen, weshalb hier nur stehen kann: Frau vor einem Richter

Newspapers in German

Newspapers from Germany