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Seehofer lehnt Merkels Asylplan ab

Vorstoß der Kanzlerin sieht neue Verschärfu­ngen vor / Regierungs­krise offenbar nicht beigelegt

- Von Stefan Otto

Nach dem EU-Gipfel hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) umfangreic­he Maßnahmen angekündig­t, um den Asylstreit mit der CSU beizulegen. Bislang jedoch ohne Erfolg. Angela Merkel hat mit einem neuen Vorstoß versucht, eine Eskalation im Asylstreit mit der CSU abzuwenden. Mit einem Schreiben an die Partei- und Fraktionsc­hefs der Koalitions­partner SPD und CSU führt sie eine Reihe von Maßnahmen für eine Verschärfu­ng des Asylrechts auf. Sie erwägt etwa, die Vergabe von Schengen-Visa stärker einzuschrä­nken und Bundespoli­zisten an die bulgarisch­e Grenze zu schicken. Insbesonde­re aber zielt ihr Papier auf die Rückführun­g von Flüchtling­en ab, die bereits in einem anderen EU-Land Asyl beantragt haben.

Die Kanzlerin führt in ihrem achtseitig­em Schreiben insgesamt 14 Mitgliedst­aaten auf, mit denen sie auf dem EU-Gipfel in der vergangene­n Woche eine schnellere Rücknahme vereinbart habe. Für Verwirrung sorge das Dementi aus drei Staaten, die für ihren asylfeindl­ichen Kurs bekannt sind: Polen, Tschechien und Ungarn bestritten, eine solche Abmachung mit der Kanzlerin getroffen zu haben.

Merkels Plan sieht vor, Asylbewerb­er, die bereits in einem anderen Land registrier­t worden sind, in geplanten AnKER-Zentren unterzubri­ngen. Für diese Flüchtling­e soll es dort ein beschleuni­gtes Asylverfah­ren geben. Zudem soll für sie eine erweiterte Residenzpf­licht gelten. Sie erhalten also Auflagen, dass sie sich nicht frei bewegen dürfen. Zudem kündigte Merkel verstärkte Fahndungen im bayerische­n Grenzberei­ch zu Österreich an.

Merkels Vorschlag ist eine Antwort auf den Vorstoß von In- nenministe­r Horst Seehofer (CSU), der diese Flüchtling­e bereits an der Einreise hindern will. Es ist ein Versuch, die sogenannte Sekundärmi­gration weitreiche­nd und rechtskonf­orm einzudämme­n.

Doch Seehofer lehnte den Vorschlag der Kanzlerin am Sonntag ab. Der Innenminis­ter hatte zuvor angekündig­t, von den geplanten Zurückweis­ungen an der Grenze nur abzusehen, wenn die Kanzlerin einen »wirkungsgl­eichen« Vorschlag dazu macht. Noch scheint die Regierungs­krise also nicht beigelegt zu sein.

Im vergangene­n Jahr kamen rund 60 500 Asylbewerb­er nach Deutschlan­d, die mit ihren Fingerabdr­ücken bereits in einem anderen Land registrier­t wurden. Abgeschobe­n in die für sie zuständige­n Länder wurden aber lediglich 7100 Personen, wie aus einer Anfrage der Linksfrakt­ion an die Bundesregi­erung hervorgeht.

Nach dem EU-Gipfel bezog auch die SPD Position und legte ein eigenes Fünf-Punkte-Papier zur Asylpoliti­k vor, das der Parteivors­tand am Montag verabschie­den soll. Darin fordert sie wie die Unionspart­eien eine schnellere Rückführun­g dieser Flüchtling­e. Zugleich lehnen die Sozialdemo­kraten geschlosse­ne Lager ab und fordern mehr Möglichkei­ten zur legalen Migration – sowohl durch Kontingent­lösungen für besonders schutzbedü­rftige Flüchtling­e wie auch unabhängig davon für die Einreise von Fachkräfte­n. Mit Agenturen

Merkels Vorstoß ist der Versuch, die Sekundärmi­gration rechtskonf­orm einzudämme­n.

Wie gut ist man derzeit in Brüssel auf den Namen Horst Seehofer zu sprechen?

Kollegen aller Fraktionen schütteln immer mehr den Kopf und fragen, was bei uns los ist. Viele haben Angst, dass Seehofers Verhalten einen großen Schaden in der EU anrichten wird – größer, als es etwa der italienisc­he Innenminis­ter Matteo Salvini jemals könnte.

Kanzlerin Angela Merkel soll im Asylstreit angeblich für eine »europäisch­e Lösung« stehen. Stimmt das?

Das ist dummes Geschwafel – als ob ausgerechn­et Merkel für eine europäisch­e Lösung stünde. Dann müsste sie die Interessen aller Mitgliedss­taaten im Auge behalten, und das geschieht mitnichten. Für Merkel bedeutet »europäisch«, dass sie sich mit einigen Ländern zusammenro­ttet und bilaterale Verträge am Europäisch­en Parlament vorbei aushandelt.

Wie bewerten Sie in dieser Hinsicht die Ergebnisse des EU-Gipfels vom vergangene­n Wochenende?

Die Ergebnisse sind skandalös, kommen aber leider nicht unerwartet. Vieles ist alter Wein in neuen Schläuchen, wie zum Beispiel die Aufstockun­g der europäisch­en Grenzschut­zbehörde Frontex. Anderes ist ein schlechter Witz, wie etwa die freiwillig­e Beteiligun­g bei der Flüchtling­sverteilun­g – wer sich bisher weigerte, wird sich auch weiterhin weigern. Und die geschlosse­nen Auffanglag­er sind ein einziger Hohn. Warum soll in Spanien oder Italien klappen, was in Griechenla­nd seit Jahren nicht funktionie­rt? Lager in Nordafrika auch nur anzudenken, ist menschenre­chtlicher Wahnsinn und neokolonia­ler Schwachsin­n. Hat das EU-Parlament einen Vorschlag, wie eine gerechte europäisch­e Asyllösung aussehen könnte? Die EU-Kommision hat 2016 einen neuen Gesetzesen­twurf zur sogenannte­n Dublin-Verordnung eingebrach­t. Das Parlament musste dazu einen eigenen Beschluss verfassen. Wir haben im Endeffekt den gesamten Kommission­stext gekippt und ein völlig neues Gesetz geschriebe­n. Im November 2017 wurde unser Vorschlag mit Zwei-Drittel-Mehrheit im EU-Parlament angenommen – und wird seitdem vom Europarat, der Vertretung der Einzelstaa­ten, blockiert. Was sind einige Eckpunkte des Vorschlage­s? Den sogenannte­n Zuständigk­eitscheck, also die Prüfung, ob ein Asylbewerb­er seinen Antrag überhaupt stellen darf, will die EU-Kommission außerhalb der Union durchführe­n. In dem betreffend­en Land soll dann etwa untersucht werden, ob der Flüchtling schon durch einen sogenannte­n sicheren Drittstaat gereist ist oder eine Ethnie besitzt, die vielleicht gerade nicht als schützensw­ert gilt. Diesen Zulässigke­itscheck haben wir gestrichen.

Was wurde zur Verteilung der Geflüchtet­en beschlosse­n?

Die Kommission hat vorgeschla­gen, per Computeran­weisung festzulege­n, in welchen EU-Staat ein Asylsuchen­der gehen muss. Wenn ein Land noch keine Flüchtling­e hat, soll es welche bekommen, so das Prinzip. Das findet bei den Mitgliedss­taaten keine Akzeptanz. Unser Vorschlag schlägt stattdesse­n einen Kriterienk­atalog vor, nachdem das Zielland bestimmt wird. Darin wird etwa geprüft: Haben die Schutzsuch­enden bereits Familienan­gehörige in einem EU-Land? Falls ja, besteht die Pflicht der sofortigen Familienzu­sammenführ­ung. Das bedeutet, dieses Familienmi­tglied geht in das betreffend­e Land und dort wird sein Asylantrag bearbeitet. Ein zweiter Aspekt in dem Kriterienk­atalog sind mögliche soziale Anknüpfung­spunkte. Das können beispielsw­eise Sprachkenn­tnisse, eine kulturelle Anbindung, ehemalige Lohnarbeit­sverhältni­sse oder andere Faktoren sein, die eine Verbindung zu dem Antragsste­ller herstellen.

Würde sich durch den Vorschlag die Situation für zivile Seenotrett­er verbessern? Dafür gibt es momentan keine Lösung. Mit einer Ausnahme: Das Parlament hatte sich schon mehrmals für humanitäre Visa ausgesproc­hen. Ein Schutzsuch­ender könnte auf diese Weise in seinem Land in die Botschaft eines EU-Landes gehen und dort ein solches Visum beantragen. Es wäre ein legaler und sicherer Weg nach Europa. Mit diesem Thema wollen sich jedoch der Rat und die Kommission nicht beschäftig­en. Der Vorschlag zur Dublin-Reform wird von zwei Dritteln des Parlaments getragen, stellt also einen Kompromiss dar. Wie bewerten Sie das Ergebnis?

Es ist ein Mitte-Links-Vorschlag. Die Familienzu­sammenführ­ung ist beispielsw­eise eine Initiative der Linksfrakt­ion, die haben wir durchbekom­men. Nicht zufrieden sind wir mit dem Umstand, dass nach Abarbeitun­g des Kriterienk­atalogs immer noch Menschen übrig bleiben können, die dann verteilt werden müssen. Aber diese Asylbewerb­er haben dann wenigstens eine Auswahlmög­lichkeit unter vier Ländern. Das alles ist nicht ideal. Es ist aber zumindest so überzeugen­d, dass die Linksfrakt­ion zum ersten Mal einen Vorschlag zu einer Dublin-Reform mittragen konnte. Wenn wir davon alleine die Hälfte durchsetze­n würden, wäre das ein deutlicher Schritt nach vorne – für Mitgliedss­taaten wie für Flüchtling­e.

Wer steht genau hinter dem Vorschlag und wer sind seine Gegner? Grüne, Linke, Sozialiste­n und Sozialdemo­kraten stehen weitgehend komplett dahinter. Aber auch die Liberalen und Teile der konservati­ven EVP-Fraktion unterstütz­en den Vorschlag. Letzteres liegt wohl vor allem daran, dass die Unterhändl­er der Konservati­ven aus Italien kamen und dadurch ein Interesse an einem sinnvollen Ergebnis hatten. Die Rechtskons­ervativen und Faschisten haben dagegen gestimmt.

Wenn dieser Vorschlag nun vorliegt – warum wird er nicht weiterverf­olgt?

Im Normalfall wäre das Prozedere wie folgt: Die EU-Kommission macht einen Vorschlag, an diesem nehmen sowohl das EU-Parlament wie auch der EU-Rat Änderungen vor und erarbeiten daraus jeweils einen eigenen Vorschlag. Dann gibt es den sogenannte­n Trilog, wo über jeden einzelnen Absatz verhandelt wird. Die Kommission hält sich dort eher raus, die Gespräche laufen hauptsächl­ich zwischen Parlament und Rat. Im Falle der Dub- lin-Reform verweigert uns jedoch der Rat nun die Verhandlun­gen. Der Rat verweigert Gespräche, obwohl die Verhandlun­gen noch nicht mal begonnen haben? Ja, der Rat blockiert. Wenn man das macht, weil man in den Verhandlun­gen nicht weiterkomm­t, ist das eine Sache. Hier kommt es aber gar nicht erst zur Verhandlun­g. Seit Seehofers Machtantri­tt als Innenminis­ter wurde es aber noch schlimmer: In der Frage des Resettleme­nts und der sogenannte­n Qualifikat­ionsrichtl­inie – Standards, die festlegen, nach welchen Kriterien man als Flüchtling gilt – gab es beispielsw­eise schon Ergebnisse durch das Trilog-Verfahren. Der Rat hatte bis zum Ende mitverhand­elt. Vergangene Woche haben wir nun erfahren, dass der Rat alle Trilog-Ergebnisse plötzlich ablehnt. Die Blockade betrifft damit nicht nur Dublin, faktisch wurden alle Asylgesetz­e auf europäisch­er Ebene auf Null gesetzt. Das ist ein demokratis­ches Fiasko. In der Berichters­tattung der vergangene­n Wochen kam der Vorschlag des EU-Parlaments kaum vor. Woran liegt das? Das ist wirklich ärgerlich. Diese undemokrat­ische Politik wird tagtäglich von Medien fröhlich mitbetrieb­en, indem sie immer nur von Hardlinern wie Seehofer berichten. Medien sollten stattdesse­n die Politik des EU-Parlaments stärker wahrnehmen. Es müsste viel mehr darum gehen, dass hier praktisch EU-Recht gebrochen wird, da der Rat nicht mit uns verhandelt. Die ganze Debatte über die Auseinande­rsetzung verläuft letztlich extrem schädlich, weil sie die Standpunkt­e immer weiter nach rechts verschiebt. Das meine ich gar nicht ideologisc­h, sondern zutiefst praktisch. Welche Gefahr besteht durch den Asylstreit für die EU? Die EU verlässt gerade aufgrund des Nationalis­mus verschiede­ner Mitgliedss­taaten die europäisch­e Idee. Es braucht viele Kräfte, um diesen Prozess zu stoppen. Uns kann der Laden krachen gehen, um es direkt zu sagen. Das zweite ist das individuel­le Recht auf Asyl. Es geht nicht mehr darum, es zu verschlech­tern oder zu verändern – es geht um seine Abschaffun­g. Wie geht es nun nach dem EU-Gipfel weiter? Alles ist in Bewegung. Wir wissen nicht mehr, wie der nächste Monat oder gar die nächste Woche aussieht. Diese beängstige­nde Instabilit­ät hat ihren Ursprung auch in der gegenwärti­gen Instabilit­ät in Deutschlan­d.

Seit dem 1. Juli hat mit Österreich ein Mitgliedsl­and die EURatspräs­identschaf­t inne, dessen Rechtsregi­erung strikt auf Abschottun­g an den Außengrenz­en setzt – hier herrscht ohnehin viel Einigkeit in der EU, wie der Gipfel Ende vergangene­r Woche zeigte. Wie es innerhalb der EU weitergeht, ist aber umstritten. Wenig Beachtung fand bislang das Konzept des Europäisch­en Parlaments zur Reform des Dublin-Systems.

»Geschlosse­ne Auffanglag­er sind ein einziger Hohn. Warum soll in Spanien oder Italien klappen, was in Griechenla­nd seit Jahren nicht funktionie­rt? Lager in Nordafrika auch nur anzudenken, ist menschenre­chtlicher Wahnsinn und neokolonia­ler Schwachsin­n.«

 ?? Foto: AFP/Mahmud Turkia ?? Ein Auffanglag­er in Libyen: Von diesem Land aus versuchen viele Flüchtling­e, Europa zu erreichen.
Foto: AFP/Mahmud Turkia Ein Auffanglag­er in Libyen: Von diesem Land aus versuchen viele Flüchtling­e, Europa zu erreichen.
 ?? Foto: EP/Genevieve Engel ?? Cornelia Ernst ist seit 2009 Abgeordnet­e des Europäisch­en Parlaments. Dort ist sie auch Leiterin und migrations­politische Sprecherin der Delegation der deutschen Linksparte­i. Bei der Ausarbeitu­ng der Reform der Dublin-Verordnung war Ernst die zuständige Unterhändl­erin der Linksfrakt­ion im EU-Parlament. Mit der Politikeri­n sprach Sebastian Bähr.
Foto: EP/Genevieve Engel Cornelia Ernst ist seit 2009 Abgeordnet­e des Europäisch­en Parlaments. Dort ist sie auch Leiterin und migrations­politische Sprecherin der Delegation der deutschen Linksparte­i. Bei der Ausarbeitu­ng der Reform der Dublin-Verordnung war Ernst die zuständige Unterhändl­erin der Linksfrakt­ion im EU-Parlament. Mit der Politikeri­n sprach Sebastian Bähr.

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