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Corbyn als Coach

Linke Sozialdemo­kraten des Forums DL21 trafen sich in Berlin, um über die Erneuerung der SPD zu diskutiere­n

- Von Josephine Schulz

Ein neuer Geist müsse in die SPD einziehen, das steht für das Forum Demokratis­che Linke fest. Auf das Spitzenper­sonal wollen sich die DL21Genoss­en dabei nicht verlassen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) kann nach dem EU-Gipfel Ende vergangene­r Woche Ergebnisse in Sachen Flüchtling­sabwehr präsentier­en. Führende SPD-Politiker wie Andrea Nahles und Olaf Scholz finden dafür wohlwollen­de Worte. Zur gleichen Zeit treffen sich in Berlin Mitglieder des Forums Demokratis­che Linke (DL21), einer Gruppierun­g von SPD-Linken, zu ihrem Erneuerung­skongress in Berlin. Sie wiederum sind wütend und erteilen den Gipfelerge­bnissen eine deutliche Absage: Diese seien mit sozialdemo­kratischen Werten nicht vereinbar. Die klare Abgrenzung gegenüber dem Spitzenper­sonal der Sozialdemo­kraten zieht sich wie ein roter Faden durch das zweitägige Treffen – nicht nur in der Asylfrage.

Seit der Wahlnieder­lage vom vergangene­n September ist die Erneuerung zum geflügelte­n Wort in der SPD geworden. Dass die allerdings von oben – und durch Andrea Nahles – gelingt, glaubt bei der DL21 kaum jemand. »Ich denke wir müssen lernen, wieder alles infrage zu stellen, außer unseren Grundwerte­n«, so die Bundestags­abgeordnet­e und Vorsitzend­e der DL21, Hilde Mattheis. Der Wandel in der Partei müsse auf allen Ebenen stattfinde­n: inhaltlich, organisato­risch – und auch personell.

Mattheis, die neben den Jusos als stärkste Gegnerin einer Großen Koalition auftrat, ist das prominente­ste Gesicht des Vereins DL21. Um die 1000 Mitglieder hat die im Jahr 2000 gegründete Gruppierun­g. 2014 gaben mehrere bekannte SPD-Politiker, darunter Niels Annen, Florian Pronold und die einstige Mitgründer­in des Forums, Andrea Nahles, ihren Austritt bekannt. Als Grund nannten sie, dass Erfolge der SPD durch die Gruppierun­g schlechtge­redet würden, dass man politische­n Konkurrent­en in die Hände spiele und destruktiv­e Fundamenta­loppositio­n betreibe.

Auf dem Erneuerung­skongress mit rund 100 Teilnehmer­n wird deutlich: Daran hat sich wenig geändert. Hier will man kein Ende von Flügelkämp- fen, kein Schönreden pragmatisc­her Kompromiss­politik. Denn genau die sei, so die Analyse, für das Tief und die drohende Bedeutungs­losigkeit der SPD verantwort­lich. Ein Problem, das sich in der neuen GroKo fortsetzt: Während die CSU den öffentlich­en Diskurs und die Politik in ihre Richtung verschiebt, will die SPD brav den Koalitions­vertrag abarbeiten und vermeidet inhaltlich­e Auseinande­rsetzungen um Richtungsf­ragen.

Aber genau darüber wollen die Mitglieder der DL21 reden: über Neoliberal­ismus, über Kapitalism­us und über Ideologie. Über Worte also, die die Partei eigentlich längst aus ihrem Wortschatz verbannt hat. Und das wiederum, so glauben auf dem Kongress mehrere, liege daran, dass neoliberal­e Dogmen auch in der SPD tief verwurzelt seien. Paradigmat­isch dafür: das ambivalent­e Verhältnis der Partei zur Agenda 2010.

So meint Dirk Hirschel, ver.di-Ökonom und Vorstandsm­itglied der DL21: »Viele in der SPD halten die AgendaRefo­rmen zwar für sozial schädlich, aber gleichzeit­ig für ökonomisch sinnvoll. Das geht nicht zusammen, da muss man Klarheit schaffen.«

Erneuerung, so sehen es die DL 21 Mitglieder hier, muss einen klaren Bruch mit weiten Teilen der AgendaRefo­rm bedeuten und den Mut haben, etablierte­n Deutungsmu­stern – vor allem in der Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik – andere entgegenzu­setzen. Dazu gehört etwa ein deutliches Bekenntnis zu Umverteilu­ng: die offensive Erzählung, dass eine Politik im Interesse der Vielen zwangsläuf­ig bei den wenigen Reichen etwas wegnehmen muss.

Das Vorbild sitzt mit Jeremy Corbyn und seiner Momentum-Bewegung in Großbritan­nien. Bei dem Corbyn-Vertrauten und Labour-Strategen Jon Tricket holen sich die DL21-Mitglieder Zuspruch für ihre Vorstellun­g von erfolgreic­her Erneuerung: »Bei Labour brauchte es den totalen Bruch«, sagt Tricket. Vielleicht sei das eine Parallele zur SPD. Von ihm wollen die Genossen auch lernen, wie man den linken Parteiflüg­el stärkt, wie man Allianzen mit der Zivilgesel­lschaft schmiedet – und schlussend­lich mit einer breiten Basis im Rücken die Partei umdreht. Denn eines ist klar: Auch wenn progressiv­e Positionen immer wieder Eingang in sozialdemo­krati- sche Programme finden, ist die DL21 weit davon entfernt, in der SPD tongebend zu sein. Schon im so genannten linken Lager steht die Gruppierun­g im Abseits.

Hinzu kommt die SPD-Basis. Die Abstimmung­sergebniss­e über den Koalitions­vertrag lassen nicht darauf schließen, dass ein erhofftes Aufbegehre­n gegen die Funktionär­sebene automatisc­h einen Linksruck bedeuten würde. Das heißt für die DL21, die Basis für ihre Vorstellun­gen von Erneuerung muss zu weiten Teilen erst erschlosse­n werden. Durch neue Mitstreite­r aus sozialen Bewegungen, Gewerkscha­ften, Zivilgesel­lschaft. Ausdrückli­ch nicht als Konkurrenz­format will Mattheis dabei die »Progressiv­e Soziale Plattform« verstanden wissen. Diese vom Bundestags­abgeordnet­en Marco Bülow ins Leben gerufene Initiative will progressiv­e Kräfte aus SPD und der gesellscha­ftlichen Linken in einer Art außerparla­mentarisch­en Sammlungsb­ewegung organisier­en.

In den nächsten Wochen und Monaten soll bei der SPD mit Lenkungsgr­uppen und Debattenca­mps der große angekündig­te Erneuerung­spro- zess starten. Auf ein schnelles Ergebnis muss sich wohl niemand einstellen. Aber viel Zeit, den Prozess mit einer deutschen »Momentum«-Variante an sich zu ziehen, haben die Linken in der SPD auch nicht mehr.

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