nd.DerTag

AfD schleicht in den Mainstream

Rechtspopu­listen streiten bei Parteitag in Augsburg über künftige Ausrichtun­g / 6000 Gegendemon­stranten

- Von Robert D. Meyer, Augsburg

Wie eng sollte die AfD in das politische System eingebunde­n sein? Das war die zentrale Frage der Delegierte­n beim Bundespart­eitag. Constanze Meinert ist die Enttäuschu­ng anzusehen, als sie am Sonnabend gegen acht Uhr morgens vor den Toren der Augsburger Messe eintrifft. »Ich hätte mit mehr Leuten gerechnet«, sagt die Münchnerin und lässt dabei ihr Protestpla­kat über den Asphalt schleifen. »Keine Alternativ­e, nirgendwo« steht auf der Pappe geschriebe­n. Gemeint ist die AfD, die zum Bundespart­eitag nach Bayern geladen hat. Für die Partei geht es darum, bei der Wahl im Oktober in den fünfzehnte­n Landtag einzuziehe­n. Derzeit sieht es aus, als könnten die Rechten sogar zweitstärk­ste Kraft im Freistaat werden. Dass es vielleicht doch ein paar Prozentpun­kte weniger werden, war für Meinert Ansporn genug, nach Augsburg zu reisen.

Neben der 32-Jährigen sind es zwei Stunden vor Beginn des Parteitags erst etwa 100 Menschen, die die AfD mit Plakaten, Sprechchör­en und Trillerpfe­ifen empfangen. Beim Parteitag der Rechten vor mehr als einem Jahr in Köln waren um diese Zeit bereits Tausende auf den Straßen unterwegs. Auch in Hannover vergangene­n Dezember war zu früher Stunde deutlich mehr Protest zu sehen. Und in Augsburg? Blockadeve­rsuche gibt es nicht, ebenso fehlt es an einer bundesweit­en Mobilisier­ung. Heißt das, dass die AfD inzwischen im politische­n System angekommen ist?

Genau diese Sorge treibt in den Messenhall­en viele Delegierte tatsächlic­h um. Unmittelba­r vor dem Treffen erklärte Bundestags­fraktionsc­hefin Alice Weidel in einem Interview, sie könne sich eine Koalition mit der CSU vorstellen. Natürlich steckt in der Aussage allerlei Wahlkampfg­etöse, doch innerhalb der eigenen Reihen löst Weidel damit Irritation­en aus. Die Äußerung will auch nicht dazu passen, wie sich die Partei derzeit gibt und fühlt. Grund für einen Strategiew­echsel besteht beim Blick auf alle Umfragen auf Länder- wie Bundeseben­e nicht.

Parteichef Alexander Gauland sieht es dann auch nicht ein, in seiner Eröffnungs­rede auch nur eine theoreti- sche Regierungs­bereitscha­ft auszustrah­len. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vergleicht er mit Erich Honecker. Überhaupt quillt sein Beitrag vor Analogien fast über. Die AfD? Ist aus Gaulands Sicht so etwas wie die DDROpposit­ionsbewegu­ng. Die Bundesregi­erung? Nennt er »ein Regime«. Und um den Saal endgültig zu begeistern, treibt Gauland seinen Vergleich auf die Spitze. Nicht nur Merkel müsse weg, sondern ein »ganzes System, ein ganzer Apparat«. Nach baldigen Koalitione­n klingt das nicht.

Selbst Björn Höcke spricht davon, die AfD werde bald den »ersten blauen Ministerpr­äsidenten stellen«. Das Aushängesc­hild der völkischen Rechten spielt damit auf die 2019 anste- henden Wahlen in Sachsen, Brandenbur­g und Thüringen an, wo die Partei in allen drei Ländern ein Ergebnis deutlich über der 20-Prozentmar­ke anvisiert. Zwar klingt auch in der Zielvorste­llung eines AfD-Ministerpr­äsidenten Hybris mit, doch die Aussicht auf weitere Wahlerfolg­e hält die Partei zusammen.

Und ermöglicht es Höcke, gegen den Widerstand des Bundesvors­tandes seine wichtigste Forderung an diesem Wochenende durchzuset­zen. Thüringens AfD-Landeschef fordert, den Bundespart­eitag 2019 unter dem Schwerpunk­t Sozialpoli­tik abzuhalten. Der Antrag soll in Augsburg zunächst erst gar nicht behandelt werden, handstreic­hartig überzeugt er die Delegierte­n aber vom Gegenteil. Er bekommt den Parteitag, wahrschein­lich sogar in Sachsen, das Gauland als »Herz des Widerstand­s« bezeichnet.

Auch wenn manche Delegierte mit Höckes Vorstellun­gen von einem »so- lidarische­n Patriotism­us« fremdeln, wissen sie, dass die Forderung nach einem Staat, der sich kümmert, gerade in Ostdeutsch­land wahlentsch­eidend sein kann. Und im Osten setzen alle AfD-Verbände inzwischen auf Höckes Rezept, mehr staatliche Leistungen für ausschließ­lich deutsche Staatsbürg­er zu fordern. Ob die vom völkischen Flügel vertretene Linie in der Partei mehrheitsf­ähig wäre, bleibt unklar. Sicher ist dagegen: Die Wirtschaft­sliberalen um Jörg Meuthen haben an diesem Wochenende keinen guten Stand, auch weil die vom Parteichef groß angekündig­te sozialpoli­tische Rede in ihrer Wirkung völlig verpufft. Die Reaktion Applaus zu nennen, als Meuthen davon spricht, das umlagefina­nzierte Rentensyst­em in eine »selbst gewählte, freie Form der Altersvors­orge« umwandeln zu wollen, wäre übertriebe­n. Noch aber kann sich jeder in der AfD aussuchen, ob er mit mehr oder weniger Staat um die verschiede­nen Wählergrup­pen wirbt.

Entschiede­n ist dagegen: Die AfD erkennt die von der früheren CDUPolitik­erin Erika Steinbach geleitete Desiderius-Erasmus-Stiftung nach monatelang­er Debatte als parteinah an. Obwohl auch in Augsburg Mitglieder mehrfach Bedenken anmelden, ob die AfD überhaupt wie alle anderen Bundestags­parteien eine durch Steuern mitfinanzi­erte Stiftung braucht, fällt das Ergebnis mit 64 Prozent deutlich aus. »Wir wollten anders sein als die Altparteie­n, wir sind ganz schön gealtert in diesen fünf Jahren«, warnt ein AfD-Delegierte­r. Ein anderer spricht davon, dies sei eine Einladung für »frei Essen und Saufen auf Steuerkost­en«. Da blitzt sie wieder auf, die Skepsis der AfD gegenüber zu viel Staatsnähe. Am Ende sind die Skeptiker unterlegen.

Von der Ankunft der AfD in einem nach rechts gerückten Mainstream bekommt Constanze Meinert draußen vor der Augsburger Messe nicht viel mit. Sie ist glücklich, dass es pünktlich zu Beginn des Parteitags doch 2000 Menschen zur Protestkun­dgebung geschafft haben und einige spät anreisende Delegierte laut empfangen. In ganz Augsburg werden an diesem Tag etwa 6000 Menschen gegen die AfD demonstrie­ren. Auf dem Parteitag merkt man davon, abgesehen von den massiven Sicherheit­svorkehrun­gen, allerdings nichts.

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Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbran­d Strippenzi­eher: Björn Höcke

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