AfD schleicht in den Mainstream
Rechtspopulisten streiten bei Parteitag in Augsburg über künftige Ausrichtung / 6000 Gegendemonstranten
Wie eng sollte die AfD in das politische System eingebunden sein? Das war die zentrale Frage der Delegierten beim Bundesparteitag. Constanze Meinert ist die Enttäuschung anzusehen, als sie am Sonnabend gegen acht Uhr morgens vor den Toren der Augsburger Messe eintrifft. »Ich hätte mit mehr Leuten gerechnet«, sagt die Münchnerin und lässt dabei ihr Protestplakat über den Asphalt schleifen. »Keine Alternative, nirgendwo« steht auf der Pappe geschrieben. Gemeint ist die AfD, die zum Bundesparteitag nach Bayern geladen hat. Für die Partei geht es darum, bei der Wahl im Oktober in den fünfzehnten Landtag einzuziehen. Derzeit sieht es aus, als könnten die Rechten sogar zweitstärkste Kraft im Freistaat werden. Dass es vielleicht doch ein paar Prozentpunkte weniger werden, war für Meinert Ansporn genug, nach Augsburg zu reisen.
Neben der 32-Jährigen sind es zwei Stunden vor Beginn des Parteitags erst etwa 100 Menschen, die die AfD mit Plakaten, Sprechchören und Trillerpfeifen empfangen. Beim Parteitag der Rechten vor mehr als einem Jahr in Köln waren um diese Zeit bereits Tausende auf den Straßen unterwegs. Auch in Hannover vergangenen Dezember war zu früher Stunde deutlich mehr Protest zu sehen. Und in Augsburg? Blockadeversuche gibt es nicht, ebenso fehlt es an einer bundesweiten Mobilisierung. Heißt das, dass die AfD inzwischen im politischen System angekommen ist?
Genau diese Sorge treibt in den Messenhallen viele Delegierte tatsächlich um. Unmittelbar vor dem Treffen erklärte Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel in einem Interview, sie könne sich eine Koalition mit der CSU vorstellen. Natürlich steckt in der Aussage allerlei Wahlkampfgetöse, doch innerhalb der eigenen Reihen löst Weidel damit Irritationen aus. Die Äußerung will auch nicht dazu passen, wie sich die Partei derzeit gibt und fühlt. Grund für einen Strategiewechsel besteht beim Blick auf alle Umfragen auf Länder- wie Bundesebene nicht.
Parteichef Alexander Gauland sieht es dann auch nicht ein, in seiner Eröffnungsrede auch nur eine theoreti- sche Regierungsbereitschaft auszustrahlen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vergleicht er mit Erich Honecker. Überhaupt quillt sein Beitrag vor Analogien fast über. Die AfD? Ist aus Gaulands Sicht so etwas wie die DDROppositionsbewegung. Die Bundesregierung? Nennt er »ein Regime«. Und um den Saal endgültig zu begeistern, treibt Gauland seinen Vergleich auf die Spitze. Nicht nur Merkel müsse weg, sondern ein »ganzes System, ein ganzer Apparat«. Nach baldigen Koalitionen klingt das nicht.
Selbst Björn Höcke spricht davon, die AfD werde bald den »ersten blauen Ministerpräsidenten stellen«. Das Aushängeschild der völkischen Rechten spielt damit auf die 2019 anste- henden Wahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen an, wo die Partei in allen drei Ländern ein Ergebnis deutlich über der 20-Prozentmarke anvisiert. Zwar klingt auch in der Zielvorstellung eines AfD-Ministerpräsidenten Hybris mit, doch die Aussicht auf weitere Wahlerfolge hält die Partei zusammen.
Und ermöglicht es Höcke, gegen den Widerstand des Bundesvorstandes seine wichtigste Forderung an diesem Wochenende durchzusetzen. Thüringens AfD-Landeschef fordert, den Bundesparteitag 2019 unter dem Schwerpunkt Sozialpolitik abzuhalten. Der Antrag soll in Augsburg zunächst erst gar nicht behandelt werden, handstreichartig überzeugt er die Delegierten aber vom Gegenteil. Er bekommt den Parteitag, wahrscheinlich sogar in Sachsen, das Gauland als »Herz des Widerstands« bezeichnet.
Auch wenn manche Delegierte mit Höckes Vorstellungen von einem »so- lidarischen Patriotismus« fremdeln, wissen sie, dass die Forderung nach einem Staat, der sich kümmert, gerade in Ostdeutschland wahlentscheidend sein kann. Und im Osten setzen alle AfD-Verbände inzwischen auf Höckes Rezept, mehr staatliche Leistungen für ausschließlich deutsche Staatsbürger zu fordern. Ob die vom völkischen Flügel vertretene Linie in der Partei mehrheitsfähig wäre, bleibt unklar. Sicher ist dagegen: Die Wirtschaftsliberalen um Jörg Meuthen haben an diesem Wochenende keinen guten Stand, auch weil die vom Parteichef groß angekündigte sozialpolitische Rede in ihrer Wirkung völlig verpufft. Die Reaktion Applaus zu nennen, als Meuthen davon spricht, das umlagefinanzierte Rentensystem in eine »selbst gewählte, freie Form der Altersvorsorge« umwandeln zu wollen, wäre übertrieben. Noch aber kann sich jeder in der AfD aussuchen, ob er mit mehr oder weniger Staat um die verschiedenen Wählergruppen wirbt.
Entschieden ist dagegen: Die AfD erkennt die von der früheren CDUPolitikerin Erika Steinbach geleitete Desiderius-Erasmus-Stiftung nach monatelanger Debatte als parteinah an. Obwohl auch in Augsburg Mitglieder mehrfach Bedenken anmelden, ob die AfD überhaupt wie alle anderen Bundestagsparteien eine durch Steuern mitfinanzierte Stiftung braucht, fällt das Ergebnis mit 64 Prozent deutlich aus. »Wir wollten anders sein als die Altparteien, wir sind ganz schön gealtert in diesen fünf Jahren«, warnt ein AfD-Delegierter. Ein anderer spricht davon, dies sei eine Einladung für »frei Essen und Saufen auf Steuerkosten«. Da blitzt sie wieder auf, die Skepsis der AfD gegenüber zu viel Staatsnähe. Am Ende sind die Skeptiker unterlegen.
Von der Ankunft der AfD in einem nach rechts gerückten Mainstream bekommt Constanze Meinert draußen vor der Augsburger Messe nicht viel mit. Sie ist glücklich, dass es pünktlich zu Beginn des Parteitags doch 2000 Menschen zur Protestkundgebung geschafft haben und einige spät anreisende Delegierte laut empfangen. In ganz Augsburg werden an diesem Tag etwa 6000 Menschen gegen die AfD demonstrieren. Auf dem Parteitag merkt man davon, abgesehen von den massiven Sicherheitsvorkehrungen, allerdings nichts.