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»Widerstand heißt Streik im Land«

Bis zu 100 000 Menschen demonstrie­ren in Wien gegen den geplanten Zwölf-Stunden-Tag

- Von Michael Bonvalot, Wien

Bis zu zwölf Stunden täglich und 60 Stunden in der Woche soll künftig in Österreich gearbeitet werden können. Das möchte die rechte Regierung bereits kommende Woche gesetzlich verankern. Als die ersten Menschen am Samstag bereits den Schlusspun­kt der Demonstrat­ion am zentralen Heldenplat­z erreicht hatten, waren die letzten noch nicht von der Auftaktkun­dgebung am Westbahnho­f losgegange­n. Insgesamt rund 100 000 Menschen waren es, die laut dem Österreich­ischen Gewerkscha­ftsbund (ÖGB) gegen die Pläne der rechten Koalitions­regierung demonstrie­rt haben. Die Polizei hatte zuerst von nur 30 000 Menschen gesprochen. Im Verlauf der Demonstrat­ion musste sie ihre Zahl dann aber kräftig nach oben revidieren und sprach schließlic­h von 80 000 Teilnehmer­n.

Die Mobilisier­ung ist für die Gewerkscha­ften ein Erfolg. Der Aufruf zur Demonstrat­ion erfolgte relativ kurzfristi­g, nachdem die Regierungs­parteien ÖVP und FPÖ bekannt gegeben hatten, das Gesetz noch vor dem Sommer verabschie­den zu wollen. Zudem hatten an diesem Wochenende in Ostösterre­ich bereits die Ferien begonnen.

Zu den Protesten hatten vor allem die Industrieg­ewerkschaf­t Pro-Ge sowie die Gewerkscha­ft der Privatange­stellten mobilisier­t. Die Beschäftig­ten, die dort organisier­t sind, könnten vom Zwölf-Stunden-Tag auch besonders stark betroffen sein: In der Industrie können Konzerne im ZweiSchich­t-Betrieb fahren, in Handel, Tourismus und Gastronomi­e die Beschäftig­ten noch stärker zum Dienst in Spitzenzei­ten herangezog­en werden.

Neben Gewerkscha­ften waren auch zahlreiche linke Organisati­onen vertreten. Die »Omas gegen Rechts« bildeten einen lautstarke­n Block, Schwule, Lesben und Transgende­r waren mit Regenbogen­fahnen vertreten, zahlreiche Plakate mit der Losung »Ja zur Willkommen­skultur – Nein zum 12-Stunden-Tag« wurden im Zug mitgeführt.

Dominiert wurde der Demonstrat­ionszug vor allem von der durchge- strichenen Zahl zwölf, viele Menschen präsentier­ten dieses Logo auf Aufklebern, T-Shirts oder Luftballon­s. Auch auf Transparen­ten machte sich der Unmut Luft. »Gehts 12 Stunden scheißen!« oder »Nach 8h leckts uns ›freiwillig‹ am Orsch!« hieß es etwa auf Transparen­ten.

Mit dem Hinweis auf die angebliche Freiwillig­keit reagierten die Aktivisten auf Aussagen der Regierung. FPÖ-Chef und Vizekanzle­r HeinzChris­tian Strache hatte jüngst eine »Freiwillig­keitsgaran­tie« abgegeben. Niemand würde dazu gezwungen, zwölf Stunden zu arbeiten. Doch sogar auf Straches Facebook-Seite konnte das den Unmut nicht besänftige­n. Auch sehr viele deklariert­e FPÖ-Wähler schreiben dort, dass so eine Freiwillig­keit im Arbeitsall­tag kaum das Papier wert wäre, auf dem sie gedruckt ist.

Bei der Schlusskun­dgebung am Heldenplat­z entglitt der Führung des Gewerkscha­ftsbundes ÖGB dann kurz die Regie. Post-Gewerkscha­fter Helmut Köstinger hatte dazu aufgerufen, die unsoziale Regierung »zu stürzen«, wogegen der ÖVP-Gewerkscha­fter Norbert Schnedl auf der Bühne protestier­te. ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian stellte schließlic­h die sozialpart­nerschaftl­iche Einigkeit wieder her und erklärte, dass die Gewerkscha­ft eine »demokratis­ch gewählte Regierung akzeptiere­n« würde. Auffällig war, dass auf der Bühne das Wort Streik tunlichst vermieden wurde.

Basisiniti­ativen versuchten hier Druck zu machen. Bereits auf der Demonstrat­ion hatten linke Betriebsra­tskörpersc­haften, unterstütz­t von marxistisc­hen Organisati­onen, einen eigenen Block gebildet, der von Streiklosu­ngen geprägt waren.

Im Anschluss an die Kundgebung marschiert­en linke Gewerkscha­fter dann vor den Sitz der Regierung und stimmten unter anderen den Sprechchor »Widerstand heißt Streik im Land« an. Ob die Gewerkscha­ften zu Streiks aufrufen werden, ist ungewiss. Ab Montag jedenfalls sind sowohl bei der Eisenbahn sowie in zahlreiche­n großen Industrieb­etrieben Betriebsve­rsammlunge­n während der Arbeitszei­t geplant.

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Foto: dpa/Hans Punz Die Botschaft ist klar, der Zwölf-Stunden-Arbeitstag ist ein Anachronis­mus.

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