Friedensprozess ist auf gutem Weg
Kolumbiens Präsidentenberaterin Paula Gaviria über Schwierigkeiten und Fortschritte bei der Vertragsumsetzung
Wo steht der Friedensprozess mit der FARC-Guerilla?
Wir sehen in allen fünf Punkten des Abkommens wichtige Fortschritte. Der beste Beweis sind die vergangenen Präsidentschaftswahlen: Noch nie waren Wahlen in Kolumbien so friedlich, noch nie hatte ein linker Kandidat eine reale Chance. Bis dato beschäftigte uns bei Wahlen in erster Linie die öffentliche Sicherheit, und erst dann das Wahlergebnis. Sonst gab es rund um die Wahlen stets massive Drohungen, irgendwer hatte irgendwen entführt, irgendwelche illegalen Akteure hatten irgendein Wahllokal besetzt. Dass wir in Frieden wählen konnten und eine demokratische Entscheidung zwischen zwei entgegengesetzten Politikströmungen treffen konnten, ist der beste Beweis dafür, dass der Friedensprozess voranschreitet.
Was sind die bisherigen Erfolge des Friedensprozesses?
Auch wenn wir uns wünschen würden, dass es schneller geht: Wenn wir das für den Prozess geplante Zeitfenster von 15 Jahren betrachten, kommen wir gut voran. Bei allen Menschenrechtsverletzungen, die in Kolumbien notorisch sind – Entführungen, Massaker, Angriffe auf Gemeinden – sind die Zahlen heute so niedrig wie noch nie. Und das Wichtigste ist: Es gibt heute ein Kolumbien, das viel weniger Angst hat als vorher. Wir haben etwas naiv geglaubt, dass wir mit dem Friedensprozess sofort in einen Zustand der Harmonie übergehen würden. Dafür sind die Herausforderungen nach einem 53 Jahre währenden Binnen- konflikt zu groß. Aber ich glaube, wir sind auf einem sehr guten Weg.
Was sind die Herausforderungen, vor denen der Friedensprozess aktuell steht?
Es gibt punktuelle Schwierigkeiten in einigen Regionen, insbesondere der Pazifikregion und an den Grenzen. In diesen Gebieten kämpfen bewaffnete Akteure um die Vormacht, parallel spielen der Drogenhandel und der illegale Bergbau eine Rolle. Das Ausmaß der Gewalt ist viel niedriger als früher, aber diese Situationen bedrohen den Friedensprozess. Andererseits: Wenn wir den Verlauf mit ähnlichen Friedensprozessen in anderen Ländern vergleichen, sind diese Probleme nicht ungewöhnlich. Gerade in einem Land wie Kolumbien, das durch extreme Ungleichheit gekennzeichnet ist, ist es nicht überraschend, dass uns die Umsetzung des Friedensabkommens vor Herausforderungen dieser Art stellt. Dazu kommt die tiefe Spaltung in der Bevölkerung, vor allem zwischen Land und Stadt. Viele Menschen in den Städten haben den Konflikt vor allem über den Fernseher erlebt und nur ein sehr eingeschränktes Verständnis darüber, was er in der Realität bedeutet hat. Es wird dauern, die beiden Kolumbien zu vereinen.
Inwiefern beeinflusst die Wahl von Iván Duque, der als Kritiker des Abkommens bekannt ist und bereits »Korrekturen« ankündigte, den Friedensprozess?
Unzählige Gesetze wurden bereits verabschiedet, sehr viele Programme laufen bereits – es wäre sehr schwierig, diese Prozesse umzukehren. Ein Regierungswechsel kann diese Dynamiken nicht aufhalten. Einerseits, weil das juristisch gar nicht möglich ist – aber auch weil es eine sehr aktive Zivilgesellschaft gibt, die das verhindern will. Außerdem hat Kolumbien eine Reihe nationaler und internationaler Verpflichtungen zu erfüllen. Der neue Präsident hat bereits
Paula Gaviria ist seit Juni 2016 oberste Beraterin des kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos in Menschenrechtsthemen. Santos, der für seine Politik 2016 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, scheidet am 7. August aus dem Amt. Gaviria leitete zuvor die Abteilung für die Anerkennung und Reparation der Opfer des Binnenkonfliktes. Über den Friedensprozess sprach mit ihr für »nd« Madlen Haarbach. verkündet, sich für die Opfer und die Reintegration der ehemaligen Rebellen einsetzen zu wollen. Ich denke und hoffe, der Friedensprozess wird weitergehen – auch wenn die Prioritäten sich vielleicht verschieben.
Duque kritisiert vor allem die Übergangsjustiz (JEP) und die damit verbundene politische Beteiligung ehemaliger FARC-Kommandanten. Gerade erst forderte er eine Verschiebung der Kongressdebatte über die JEP bis zu Beginn seiner Amtszeit. Was halten Sie von seiner Kritik?
Es gibt eine Entscheidung des Verfassungsgerichtes, die regelt, wie die politische Beteiligung der ehemaligen Guerilleros aussehen soll. Die Möglichkeit, an der Politik mitzuwirken, ist der direkte Ausgleich dafür, dass die Personen ihre Waffen niederlegen und die Illegalität verlassen. Natürlich ist dieser Vorgang auch an bestimmte Bedingungen geknüpft, etwa die vollständige Aufklärung begangener Taten und die Reparation der Opfer. Die Debatte im Kongress ist nicht unwichtig, weil die politische Beteiligung für die FARCAnführer die Essenz des Abkommens ist. Niemand legt seine Waffen nieder, wenn er dann ins Gefängnis kommt. Der noch amtierende Präsident Juan Manuel Santos wird sich bis zum letzten Moment dafür einsetzen, dass die Debatte schnell geführt und abgeschlossen wird, damit die JEP frei agieren kann.
Duque hat auch verkündet, die Gespräche mit der ELN-Guerilla aufzukündigen, sofern diese nicht eine Reihe unrealistischer Bedingungen erfüllt ...
Sowohl die FARC als auch die ELN haben verkündet, mit der neuen Regierung zusammen arbeiten zu wollen. Das ist ein sehr wichtiges Zeichen. Ich glaube, viele Punkte, die Duque in der Kampagne versprochen hat, waren Wahlkampf. Wie viel er davon wirklich umsetzen will, wird sich erst zeigen. Ich denke, er wird abwarten. Die Gespräche mit der ELN gehen gut voran, eine Einigung auf einen Waffenstillstand ist nicht mehr weit entfernt. Die ELN hat in den vergangenen Monaten bewiesen, dass sie ein Interesse an dem Friedensprozess hat. Und die Verhandlungen sind wichtig: Ein Abkommen mit der ELN ist das, was zum Frieden fehlt. Die Guerilla hat einige ehemalige Einflussgebiete der FARC übernommen und versucht dort, ihre Macht auszubauen. Solange diese Situation nicht geklärt ist, werden Teile Kolumbiens keinen Frieden erleben.