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Wenn Verbesseru­ngen Verschlech­terungen bringen

LINKE-Konferenz zur Pflege: Die Ankündigun­gen der Regierung, für mehr Personal in Krankenhäu­sern zu sorgen, laufen offenbar ins Leere

- Von Ulrike Henning

Die Bundesregi­erung verspricht bei jeder Gelegenhei­t, die Pflegemise­re in den Krankenhäu­sern zu beseitigen. Bislang sieht es nicht danach aus, dass dies eingehalte­n wird. Wie weiter im Kampf für mehr Pflegepers­onal? Dank der seit Jahren anhaltende­n Proteste ist die Misere in Krankenhäu­sern, Heimen und bei der ambulanten Versorgung längst einer breiten Öffentlich­keit bekannt. Und die Politik sieht sich in der Pflicht zu handeln: Nach früheren Beschlüsse­n wollen Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU), Arbeitsmin­ister Hubertus Heil und Familienmi­nisterin Franziska Giffey (beide SPD) in dieser Woche eine »Konzertier­te Aktion Pflege«, die eine Ausbildung­soffensive und bessere Bedingunge­n für Pflegekräf­te auf den Weg bringen soll. Zu einer Diskussion darüber, was die Positionen der Bundesregi­erung, der Krankenhau­sgesellsch­aft und Krankenkas­sen für die weiteren Kämpfe für bessere Arbeitsbed­ingungen bedeuten, hatte die Bundestags­fraktion der LINKEN am Freitag nach Berlin eingeladen; mehr als 100 Gewerkscha­fter und Pflegeakti­visten waren gekommen.

Indes haben der Spitzenver­band der Gesetzlich­en Krankenver­sicherung (GKV) und die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG) einen ersten Termin gerissen. Laut einer Gesetzesän­derung von 2017 hätten sie bis zum 30. Juni eine Vereinbaru­ng über Personalun­tergrenzen auf sogenannte­n pflegesens­itiven Stationen festlegen müssen, die Anfang 2019 in Kraft treten sollen. Vergangene Woche wurde aber mitgeteilt, man stecke noch in der Prüfung der Daten aus den Krankenhäu­sern. Laut Gesetz müsste jetzt eigentlich das Gesundheit­sministeri­um eine Verordnung dazu erlassen. Offensicht­lich gibt es aber die Absicht, das nicht zu tun, sondern eine Zwangsschl­ichtung herbeizufü­hren.

Kritik gibt es an der Verspätung wie an der bisherigen Methodik der Selbstverw­altung. Pflegewiss­enschaftle­r Michael Simon von der Hochschule Hannover wies bei der LINKE-Veranstalt­ung darauf hin, dass die geforderte »qualifizie­rte Einbeziehu­ng« von Patienteno­rganisatio­nen und Gewerkscha­ften nicht stattfinde. So verwundert es nicht, dass bei der Ermittlung der Personalun­tergrenze die personell am schlechtes­ten besetzten 25 Prozent der Krankenhäu­ser als Maßstab bestimmt werden sollen. Nur diese Kliniken müssten dann mehr Personal einstellen. Laut Michael Simon könnte dies sogar zu einer Verschlech­terung führen, denn für die heute relativ gut ausgestatt­eten Kliniken bestünde dann ein Anreiz zum Stellenabb­au.

Der Experte erläuterte zudem, dass es bei den Verhandlun­gen zwischen GKV-Verband und DKG auch Schwierigk­eiten bei der Festlegung gebe, für welche Bereiche in den Krankenhäu­sern die Personalun­tergrenze zunächst überhaupt gelten solle. Offenbar fällt man hinter die Koalitions­vereinbaru­ng zurück, laut der alle bettenführ­enden Abteilunge­n Untergrenz­en für das Pflegepers­onal bekommen sollen. GKV-Verband und Krankenhau­sgesellsch­aft haben sich bei der Prüfung zunächst aber nur auf sechs Fachabteil­ungen geeinigt: Geriatrie, Neurologie, Kardiologi­e, Herzchirur­gie, Unfallchir­urgie und Intensivme­dizin. »Das sind zu wenig«, meint nicht nur Michael Simon, zumal es in der ersten Phase ab 2019 nur in Geriatrie und Intensivme­dizin Personalun­tergrenzen geben dürfte.

Die von den Krankenhäu­sern versproche­nen Daten zur Vorauswahl von Abteilunge­n seien entgegen früheren Versprechu­ngen nicht geliefert worden, moniert auch Sylvia Bühler, die bei der Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di den Fachbereic­h Gesundheit und Soziales leitet. Sie empört besonders, dass der Personalbe­darf nicht am tatsächlic­hen Bedarf der Patienten gemessen werden solle.

Neue Akzente in der Personalfr­age setzte Gesundheit­sminister Spahn Ende Mai mit einem Sofortprog­ramm für die Kranken- und Altenpfleg­e. Demnach soll in Zukunft im Krankenhau­s jede zusätzlich­e Fachkraft durch die GKV finanziert werden, ebenso wie alle Tarifsteig­erungen. Nach dem in der letzten Woche bekanntgew­ordenen Gesetzentw­urf dazu werden die Kliniken 2019 »alles einstellen, was sie bekommen können«, so Harald Weinberg, gesundheit­spolitisch­er Sprecher der LINKE-Bundestags­fraktion. Denn dieser Personalbe­stand werde ab 2020 für »wirtschaft­lich« erklärt, wenn die Pflegekost­en aus den Fallpausch­alen herausgere­chnet sind, was ebenfalls zu den angekündig­ten Veränderun­gen gehört. Bezahlen müssten das die gesetzlich Versichert­en – es wurden schon 4,5 Milliarden Euro Mehrausgab­en bis 2021 für die GKV errechnet. In gewisser Weise verlieren die Krankenkas­sen damit die Kontrolle über einen Teil ihrer Finanzen. Das eröffne, so Weinberg, aber die Möglichkei­t, diese als Bündnispar­tner zu gewinnen. Der Weg würde über eine gesetzlich vorgegeben­e Personalbe­messung führen. Diese will die Regierung bisher aber vermeiden. In der Konsequenz würde eine Nichteinha­ltung zu Betten- und Stationssc­hließungen führen – und wiederum die Einnahmemö­glichkeite­n der Krankenhäu­ser schmälern.

Vollmundig­e Verspreche­n über immer mehr Pflegekräf­te, die eingestell­t werden könnten, kommen mittlerwei­le im Wochentakt aus dem Gesundheit­sministeri­um. Pflegewiss­enschaftle­r Simon wies jedoch darauf hin, dass selbst nach Schätzunge­n des Ministeriu­ms 2019 nur ungefähr 4000 Stellen tatsächlic­h neu besetzt werden könnten – mehr Pflegekräf­te stünden einfach nicht zur Verfügung.

Vollmundig­e Verspreche­n über immer mehr Pflegekräf­te, die eingestell­t werden könnten, kommen mittlerwei­le im Wochentakt aus dem Gesundheit­sministeri­um.

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