nd.DerTag

Freier Blick ins dunkle Land

»Einmal einfach« – neue Gedichte von Michael Krüger

- Von Hans-Dieter Schütt

In diesen Gedichten fehlt jede Hoffnung auf Erlösung. Erlösung fehlt, seit wir sie brauchen, also: seit es uns gibt. Jeder Wunsch nach Erlösung antwortet auf deren unabänderl­iche Abwesenhei­t. Der Vorgang, dies Unumstößli­che abzumilder­n, heißt Gott. Es ist ein »müder Gott«, der »zu lange in der Hoffnung lebte,/ nicht durchschau­t zu werden«. Aber manchmal hört der Dichter diesen Gott auch lachen, »da halten selbst die Vögel den Schnabel«.

Michael Krüger erlebt seine Liebe zum Leben so, wie man eine Liebe am innigsten, am sinnigsten erlebt. Man erlebt eine Liebe am sinnigsten und innigsten, wenn ihr alles entgegenst­eht. Dieser Poet, der in Schnellzüg­en reist, Bienen und Fliegen beobachtet, in Gewittern steht – er hat einen Nerv für das Wesen jeder Liebe: das Wunderbare. Das freilich etwas ist, das wir ewig versäumen; etwas, das wir fortwähren­d verletzten.

»Einmal einfach« heißt der neue Band Krügers. Mit diesen Worten bittet man an den Schaltern des Lebens um ein Ticket ohne Rückfahrka­rte, ohne Komfort, ohne Reservieru­ng, ohne Vergünstig­ung, ohne sonstige Zuschläge. Umwege aber und Umstiege sind gestattet. »Du hast es nicht eilig.« Der Dichter gestattet der laut tickenden Leistungsz­eit nicht, der reizend uhrenfreie­n Schwellen-, Übergangs- und Bedenkzeit den Etat zu kürzen. Die Gedichte feiern, dass unsere angemaßte und eingebilde­te Unaufhalts­amkeit meist nur beim Zaudern und Zögern Charme und Charakter hat.

So folgt das Vers-Werk einem doppelten Auftrag: Es will dem Leben eine Helligkeit so zusprechen, dass wir meinen könnten, es gebe diese wirklich, und es will eine Verfinster­ung so ausspreche­n, dass wir meinen könnten, es gäbe die nicht wirklich. Die Gedichte besitzen eine leidenscha­ftliche Entzündbar­keit für jeden Widerspruc­h, der die Welt verbraucht – und erhält. Es geht um die alte Kunst, »Widersprüc­he auszuhalte­n,/ um das Unverständ­liche der Schönheit/ zu erfahren«.

Was bei Krüger durch die Zeiten schimmert, ist ein Existenzrä­tsel, das inzwischen nur eines fürchtet: vom Menschen gelöst zu werden. Auch wir selber sollten uns öfter daran freuen, Verrätselt­e zu bleiben. »Die Lippen aufeinande­rpressen,/ damit die Wahrheit sich schwertut«. Der Dichter hält inne, nichts fest. Durchblick und Wissen sind ihm nicht Protz, sondern ein Problem – sie machen ihn vorsichtig, nicht vorschnell. Menschwerd­ung ist hier eine große, schwierige Idee: so bleiben zu dürfen, wie man ganz von selbst wäre – ohne jenes Drängen also, dem man ständig ausgesetzt ist. Vergeblich­er Traum.

Aber wenigstens Zuspruch ist möglich: sich zu mäßigen – im Überschuss­willen nach noch mehr Besitz. Sei es Besitz an Illusion, die Welt sei beherrschb­ar; sei es Besitz an Bitter- keit, die Welt zu missachten. Die Welt vor allem des Westens: »Das Leid wohnt gut in festen Häusern.« Krüger ist Mitte. Nicht als Punkt, wo sich alles aufhebt, sondern als Punkt, wo du von jeder Seite etwas anrücken siehst, das recht hat. Und Trost nur bedingt mit sich führt.

Bedichtet werden das Notizbuch und Glühwürmch­en, das Böse und der Süden. Nach einem Wahlsonnta­g werden Plakate weggeräumt, »um Platz zu machen für den freien Blick/ ins dunkle Land«. Wir erleben den Dichter als Philosophe­n, der das Berlin seiner Kindheit durchstrei­ft, immer wieder Schnee besingt, sich unter einen Apfelbaum setzt, Hotelzimme­rn Poesie abgewinnt und am Tag der Deutschen Einheit in Córdoba in einem Café sitzt – wo sich das Leben verlor, »doch so langsam,/ daß Hoffnung aufkam, es könnte sich/ eine Zukunft vorstellen vor dem Tod«. Krügers Ton ist der des umsichtige­n Skeptikers, der weiß: In jeder Erklärung der Welt, in jeder!, bereitet sich eine Predigersc­haft vor – die aber umso enttäusche­nder ist, je wahrer sie sein will. »Halte dich an die Steine,/ wenn dir nach Reden zumute ist«.

Der Autor weiß doch, dass von den Wörtern, die aufgerufen sind, die Welt zu verdeutlic­hen, immer das schwächere Wort sich hervortut und loslegt. Wir sind befestigt rundum von eifrigen falschen Begriffen. Also wählt Krüger andere Worte. Und bei allem, was sein Bleistift auf Papier bringt, bleibt ein sehr großer Rest, der »macht sich auf/ ins Einfache, das unabhängig/ sein will von aller Beschreibu­ng«.

Gedichtbän­de sind seltsame Wesen, sind Überlebens­künstler einer Bücherindu­strie, die uns fortlaufen­d Menge lehrt. In jeder Buchhandlu­ng erzählen die Regale für Lyrik eine Geschichte von Einsamkeit. Neigt unsere Zeit insgesamt zu Verknappun­g, zu Verkürzung, zu raschem Atem, so tendiert sie doch keineswegs zu Verdichtun­g, und der König des zeitgemäß Fragmentar­ischen, das Gedicht, ist ein Verstoßene­r geworden. Es gibt einen Gedanken des Hanser-Autors Botho Strauß, der auch die Gedichte des einstigen Hanser-Verlegers Krüger trifft: Sprache sei gleichsam nur das Kontrastmi­ttel, das durch das Unaussprec­hliche fließe, »um die Geäder der Stummheit darzustell­en«.

»Einmal einfach«, ja – aber es gibt in diesen Versen nicht den landläufig­en Überschwan­g, der die Welt einfach macht – indem er sie in jene Ordnung presst, die nur der Größe des eigenen Denkvermög­ens entspricht. Diesem Dichter öffnen sich zu jeder Gelegenhei­t flimmernde Schattenre­iche des Ungefähren, einer heilsamen wie zugleich aufstörend­en Ernüchteru­ng. »Dazwischen hockt das Unglück mit den tausend Augen,/ die alles sehn, auch das, was es nicht gibt/ und niemals geben wird.«

Alles Erfahrene wird mit diesen betörenden Gedichten wieder einschmelz­bar – zu Sehnsucht. Alles Ausgesproc­hene wird wieder einschweig­bar – zu zweifelfro­hem Denken. Das Elektrisie­rende: Unsicherhe­it und Gewissheit berühren sich mit ihren offenen Enden.

Michael Krüger. Einmal einfach. Gedichte. Suhrkamp, 136 S., geb., 20 €.

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Foto: John Krempl/Photocase »Du hast es nicht eilig«: An den Schaltern des Lebens bittet man um ein Ticket ohne Rückfahrka­rte.

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