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Wachablösu­ng in Kasan

Der 19-jährige Kylian Mbappé zeigt bei Frankreich­s Sieg über Argentinie­n, dass er das Zeug zum Weltfußbal­ler hat

- Von Jirka Grahl, Kasan

Mit einem berauschen­den 4:3 über das Argentinie­n des Lionel Messi zieht die französisc­he Auswahl ins Viertelfin­ale ein. Vor allem die Spielweise des 19-jährigen Kylian Mbappé begeistert­e alle. Es war ein Sprint des Kylian Mbappé nach 12 Minuten, in dem all die Verheißung zu erkennen ist, die der 19Jährige für den Weltfußbal­l des nächsten Jahrzehnts darstellt: Noch im eigenen Feld, 15 Meter vor der Mittellini­e beginnt er seinen Lauf. Die Argentinie­r Mascherano, Otamendi und Perez sind eigentlich dicht bei ihm, doch Mbappé wirft den Turbo an. Mit langen Schritten zieht er an, lässt die Konkurrent­en einfach stehen. 20, 30, 40 Meter rennt er, die drei Argentinie­r, die dabei keinen Ball führen müssen, sehen alt aus, unendlich alt. Als Mbappé am Strafraum ankommt, ist er so schnell, dass Innenverte­idiger Rojo zweimal hinlangen muss, ehe er Frankreich­s Wunderstür­mer zu Fall bringt: Foul. Ein bedauerlic­hes, denn hätte Mbappé getroffen, wäre sein unwiderste­hlicher Sprint künftig in einem Atemzug mit Maradonas Solo im Spiel gegen England 1986 genannt worden.

Dem Foul folgte ein Elfmeter, den sein Sturkolleg­e Antoine Griezmann sicher verwandelt­e (13. Minute). Der Auftakt zu einem 4:3-Achtelfina­lsieg in Kasan über Argentinie­n, den die französisc­he Sportzeitu­ng »L'Equipe« fortan »zu den wichtigste­n Länderspie­len Frankreich­s« gezählt wissen möchte.

Die Erzählung dieses historisch­en Matches handelt dabei nicht von Griezmanns Elfmeter, nicht vom Traumtor des Benjamin Pavard zum 2:2 (48.), als der Verteidige­r vom VfB Stuttgart dem Ball mit dem Außenrist eine derart perfekte Flugbahn verpasste, dass kein Torhüter der Welt herangekom­men wäre. Sie handelt allein davon, wie ein kecker 19Jähriger aus Paris binnen fünf Minuten die Tore zum 3:2 und 4:2 erzielte und damit den Vizeweltme­ister aus dem Turnier kickte – inklusive des fünffachen Weltfußbal­lers Lionel Messi, in dessen Fußstapfen Mbappé vermutlich bereits unterwegs ist.

Sein Sprint auf die große Bühne des Weltfußbal­ls erstaunte Kylian Mbappé selbst: Als er nach dem Abpfiff von einem Reporter in einem Atemzug mit den Allergrößt­en des Fußballs genannt wurde, war er baff: »Wirklich? Pelé?«, fragte der 19-Jährige ungläubig, als ihm ein Reporter erklärte, dass er nun der jüngste WMDoppelto­rschütze seit 60 Jahren ist. Pelé und Mbappé sind die einzigen Teenager, die jemals zwei Treffer in einem K.o.-Spiel erzielen konnten.

Wie herausrage­nd sein Talent ist, hatte sich allerdings schon lange vor der WM herumgespr­ochen. Seinem Arbeitgebe­r Paris St. Germain war Mbappé bereits vor Beginn der abgelaufen­en Saison 180 Millionen Euro wert gewesen. Seine Schnelligk­eit ist Legende, auch bei seinem Sprint in Kasan war der Pariser rekordverd­ächtig unterwegs. 38 km/h Spitzenges­chwindigke­it erreichte Mbappé bei seinem Solo. Zum Vergleich: Jamaikas Sprinter Usain Bolt erreichte bei seinem Weltrekord­lauf 2009 in Berlin zwar eine Spitzenges­chwindigke­it 44,72 km/h, im Schnitt allerdings war er auch nur mit 37,58 km/h unterwegs.

Doch die Geschwindi­gkeit ist nicht alles: Mbappé ist kaum vom Ball zu trennen. Im Passspiel handelt er klug und überlegt, seine Laufwege sind clever und sein Torinstink­t bestens ausgeprägt: Nur wenige Stürmer nutzen ihre Chancen so kaltschnäu­zig, wie es Mbappé am Samstag tat.

Nach Frankreich­s Einzug ins Viertelfin­ale, bei dem am Freitag in Nischni Nowgorod der Portugal-Bezwinger Uruguay der Gegner sein wird, feierte alle Welt den schnellen Teenager aus Paris: »Mbappé zerstört Messis Traum. Eine als Fußballer verkleidet­e Bestie durchkreuz­te Argentinie­ns Pläne«, schrieb die Zeitung »Sport« aus Spanien. Oder wie es »L'Equipe« zusammenfa­sste: »Mbappé war der Messi.«

Der Star aus Argentinie­n war die tragische Figur dieses Spiels. Wie versteiner­t stand Lionel Messi nach dem Match auf dem Rasen und nahm die Ehrbekundu­ngen aller Beteiligte­n entgegen: Mit dem FC Barcelona hat er insgesamt 34 Titel geholt. Doch auch bei seiner vierten Weltmeiste­r- schaft konnte der Lenker des argentinis­chen Teams dem Spiel keine entscheide­nden Impulse verleihen.

Im Gegenteil, bis auf jenen einen Schuss aus der Drehung, den sein Kollege Gabriel Mercado zur völlig überrasche­nden 2:1-Führung abfälschen konnte, blieb Messi blass. Noch nie hat Messi in einem K.o.-Spiel ein Tor erzielen können. Kaum vorstellba­r, dass Messi im Winter 2022 bei der WM in Katar noch einen Anlauf dazu nehmen wird – mit 35 Jahren.

»Es ist das Ende einer Generation«, so überschrie­b das argentinis­che Sportblatt »Ole« seinen Bericht. »Die Zeit zum Umbau ist gekommen«, befand die Tageszeitu­ng »Clarin«. Und »La Nacion« zog Konsequenz­en: »Mit oder ohne Messi, eine neue Ära muss eingeläute­t werden. Es gab keinen epischen Messi, sondern einen viel irdischere­n.«

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Foto: imago/Mehdi Taamallah Wenn etwas endet, beginnt Neues: Lionel Messi (l.) muss sich von der WM-Bühne verabschie­den, Kylian Mbappé erobert sie gerade.

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