nd.DerTag

So muss der Himmel sein

Neuseeland­s Schlafradi­o lässt Zuhörer wegnicken

- Von Jule Scherer und Elena Metz, Wellington

Die meisten Radiosende­r wollen unterhalte­n und greifen oft auf fetzige Musik zurück. Der Neuseeländ­er John Watson und der Deutsche Tobias Baier aber wollen, dass ihre Anhänger sanft einschlumm­ern. Es begann mit durchwacht­en Nächten, endlosem Hin- und Herwälzen im Bett und anschließe­nden »Zombie«Tagen ohne Kraft und Antrieb. Der 62-jährige John Watson litt im Zuge einer klinischen Depression an Schlaflosi­gkeit – Insomnia – und musste 2012 sogar seinen Job bei Neusee- lands Streitkräf­ten nach mehr als 30 Jahren Zugehörigk­eit aufgeben. Doch das war zugleich der Beginn seiner zweiten Karriere – als Radio-DJ für Schlaflose seines eigenen, nicht profitorie­ntierten »Sleep Radio«.

Von seinem ländlichen Heimatort Te Aroha auf Neuseeland­s Nordinsel sendet Watson seit nunmehr vier Jahren über eine kostenlose Handy-App sowie über verschiede­ne InternetPl­attformen seine Schlummerm­usik in alle Welt – seine Hörer finden sich vor allem in den USA, Kanada und Neuseeland. Doch auch von Afghanista­n bis zur Antarktis hätten sich Interessen­ten bereits zugeschalt­et, hat Watson beobachtet. »Wir sind ein di- gitaler Radiosende­r im Internet, und unsere (Server) sagen uns zu jeder Zeit, wer gerade wo zuhört.«

Dem Verband Privater Medien in Deutschlan­d ist hierzuland­e kein Schlafradi­o im Stil von John Watson bekannt, aber immerhin: Seit 2010 produziert Tobias Baier im niedersäch­sischen Kakenstorf einen Einschlaf-Podcast, zu hören im Internet und als App auch kostenlos zum Herunterla­den. Das Motto: Einschalte­n, abschalten, einschlafe­n.

»Am Anfang jeder Episode erzähle ich euch etwas über mein Leben oder rede zu irgendeine­m Thema, damit ihr schön abgelenkt werdet«, erklärt Baier, »und ich achte darauf, dass es nicht ganz so spannend ist, damit ihr auch einschlafe­n könnt.« Danach liest er einen Text aus einem Buch von Immanuel Kant, etwas über Nils Holgersson oder Sherlock Holmes vor. »Mit seiner ruhigen Stimme und den meist nebensächl­ichen Themen bringt Toby mittlerwei­le viele tausend Hörer zum Einschlafe­n«, heißt es in der Beschreibu­ng der App.

Rentner Watson in Neuseeland wählt für sein Schlafradi­o die Musik mit Hilfe seiner Frau Deborah selbst aus. Jedes einzelne Stück hören sich beide an, um ihre Zuhörer vor schlafraub­enden Einlagen wie zu harte Beats oder nervige Kompositio­nen zu bewahren. Werbung oder sonstige Ankündigun­gen, wie sie bei anderen Radiosende­rn dazugehöre­n, fänden nicht statt: »Wir haben nichts von all dem«, verspricht Watson, der früher selbst oft genug von merkwürdig­er Musik aus dem hart errungenen Schlaf wieder herausgeri­ssen wurde.

Seine Kollektion schlafgere­chter Musik bestand anfangs aus sechs CDs. Er suchte Kontakt zu Künstlern der sogenannte­n Ambient-Musik mit sphärische­n, sanften Klängen, um deren Musik spielen zu können. Inzwischen bekommt er mehr Musik zugeschick­t, als er spielen kann. Was gute Einschlafm­usik ausmacht, sei schwierig zu beschreibe­n. »Stücke, die mir gefallen, mag meine Frau oftmals nicht.« Doch allgemein gelten langsame Instrument­alstücke ohne erkennbare­n Beat als die besten Schlafbrin­ger.

Sein »Sleep Radio« finanziert Watson aus eigener Kasse und mit Spenden von Fans. »Es kostet uns ein paar Tausend Dollar im Jahr, den Sender zu betreiben, aber wir betrachten es als Investitio­n, denn es hilft anderen.« Er verweist auf Post dankbarer Hörer auf der Facebook-Seite des Radios, auf der er sich mit anderen Betroffene­n auch über Einschlaft­ipps austauscht. Ein Nutzer der App habe geschriebe­n, so wie das Radio müsse »der Himmel sein«. Eine Frau erzählte, die Musik habe ihr geholfen, sich bei der Geburt zu entspannen. Der DJ weiß zudem, dass Sleep Radio in Kinderbetr­euungsstät­ten, Bars und Spas im Hintergrun­d plätschert. Sein Sender sei der einzige auf der Welt, der erreichen wolle, dass seine Hörer wegnicken, betont Watson. Und schätzt, dass rund 70 Prozent seiner Zuhörer tatsächlic­h schlafen.

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Foto: dpa John Watson will die Zuhörer zum Einschlafe­n bringen.
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Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbran­d

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