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Italieneri­nnen unter Schock

Der Rechtsruck in der italienisc­hen Politik und im politische­n Klima trifft Feministin­nen unvorberei­tet

- Von Anna Maldini, Rom

Die Frauenbewe­gung wurde vom politische­n Rechtsruck überrascht.

Italiens Feministin­nen scheinen nach der Bildung der neuen Rechtsregi­erung wie gelähmt. Viele hatten mit den Fünf Sternen sympathisi­ert. In Rom gibt es (noch) einen besonderen Ort, wo sich Frauen treffen, um für ihre Rechte zu kämpfen. Das ist das »Casa internazio­nale delle donne«, das »Internatio­nale Haus der Frauen«, das direkt am Tiber in einem alten Frauengefä­ngnis untergebra­cht ist. Hier haben über 100 Organisati­onen und Vereine ihren Sitz, die sich mit den unterschie­dlichsten Bereichen befassen: Gesundheit, Arbeit, Gewalt, Mutterscha­ft, Kultur, Migrantinn­en und vieles, vieles mehr. Hier arbeiten fast alle unentgeltl­ich – Rechtsanwä­ltinnen, Ärztinnen, Sozialarbe­iterinnen, aber vor allem Frauen aus allen Bereichen der Gesellscha­ft, die diskutiere­n, helfen, Strategien ausarbeite­n oder auch einfach nur Spaß haben.

Seit einem Jahr aber hat sich das Klima in der »Casa« (Haus), wie dieser besondere Ort liebevoll von vielen Frauen genannt wird, radikal verändert. Seit in Rom Virginia Raggi, Vertreteri­n der Fünf-Sterne-Bewegung, als Bürgermeis­terin im Amt ist, muss ums Überleben gekämpft werden. Die Frauen sollen das Gebäude räumen, weil sie nicht in der Lage sind, die enorme Mieterhöhu­ng aufzubring­en, die die Stadtverwa­ltung verlangt, und Schulden zurückzuza­hlen, über deren Höhe permanent verhandelt wird.

Seit einem Jahr wird gekämpft, finden Versammlun­gen statt, werden Demos organisier­t und Appelle aus- gearbeitet. Bisher ohne wirkliche Erfolge. Es wird vermutet, dass die Bürgermeis­terin den ehrwürdige­n Palazzo mit dem wunderschö­nen Innenhof und dem unvergleic­hlichen Flair schon längst einem Investor versproche­n hat, der daraus ein Luxushotel machen will.

Damit sind die Frauen in Rom beschäftig­t, aber aufgrund des Symbolchar­akters der »Casa« spielt das Thema auch in vielen anderen Landesteil­en eine Rolle. Und irgendwie entsteht das Gefühl, als würden alle Energien der italienisc­hen Frauenund feministis­chen Bewegung in dieses eine Ziel fließen: Rettet das Internatio­nale Haus der Frau. Für andere Themen – und seien sie noch so wichtig – scheint keine Kraft mehr übrig zu sein.

Eine der Organisati­onen, die in der »Casa« ihren Sitz haben, ist »Frauen gegen Rassismus«. In den letzten 20 Jahren war sie sehr aktiv und hat Schlag auf Schlag auf alle Ereignisse geantworte­t, die zeigten, dass auch in Italien Rassismus eine Gefahr darstellt.

Als aber zum Beispiel vor wenigen Wochen Innenminis­ter Matteo Salvini von der rechtspopu­listischen Lega eine »Volkszählu­ng« für Roma und Sinti vorschlug, um alle auszuweise­n, die keinen italienisc­hen Pass haben, passierte rein gar nichts. Viel persönlich­e Entrüstung, aber keine öffentlich­en Initiative­n – noch nicht einmal von den Roma- und Sintifraue­n, die in der Organisati­on mitarbeite­n. Es gibt keine Initiative­n gegen die immer rassistisc­here Flüchtling­spolitik, die Italien inzwischen zu einem der besten Freunde des ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orban gemacht hat. Und selbst als der neue Familienmi­nister erklärte, es gäbe keine »homosexuel­len Familien«, war der Protest doch recht lau.

Gründe für diese »Schockstar­re« der Frauen- und feministis­chen Bewegung gibt es sicher viele. Auf der einen Seite natürlich die enorme Kraftanstr­engung, um die »Casa« zu retten. Aber wahrschein­lich waren sie auf den radikalen Wandel des politische­n Klimas in Italien nicht vorbereite­t – wie offensicht­lich die gesamte Linke im Lande nicht.

Darüber hinaus gibt es auch ein spezifisch­e Problem mit der FünfSterne-Bewegung: Viele engagierte Frauen hatten große Hoffnung in diese Partei gesetzt, die sich in der Vergangenh­eit oft für Frauenrech­te engagiert hatte. Kaum jemand hatte damit gerechnet, dass die Fünf Sterne gerade mit der Lega koalieren und dann in der Regierung auf ein eigenständ­iges Profil verzichten würde.

Sicher, mit der römischen Bürgermeis­terin Virginia Raggi hatte man schon jede Menge schlechte Erfahrunge­n gemacht, aber solch einen Rechtsruck in der italienisc­hen Politik und im politische­n Klima wurde nicht erwartet. Jetzt bleibt abzuwarten, wie lange es dauert, bis die italienisc­hen Frauen zu ihrer bekannten kämpferisc­hen Haltung zurückfind­en.

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Foto: AFP/Tiziana Fabi
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Foto: Patrizia Cortelless­a Protest gegen sexualisie­rte Gewalt in Rom

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