Hoffnung und Flucht
Duma in der östlichen Ghuta von Damaskus war jahrelang schwer umkämpft – bis zur weitgehenden Zerstörung
In Duma schweigen die Waffen, anders als in Südsyrien.
In Duma und Harastra, Satellitenstädte der Ghuta im Umfeld der syrischen Hauptstadt Damaskus, herrschte bis vor wenigen Wochen die »Armee des Islam«. Nun haben Tausende die Waffen niedergelegt. Heiß und staubig ist es. Der Wind weht leere Plastiktüten über die Straßen in Duma. Nur wenige Menschen und noch weniger Autos fahren um den Kreisverkehr am »Platz der Verwaltung«, einst ein lebendiger Drehund Angelpunkt.
Duma liegt etwa 15 Kilometer von Damaskus entfernt in der östlichen Ghuta. Bis vor wenigen Wochen herrschte hier die »Armee des Islam«, die aus Syrien ein »Khalifat«, einen sunnitisch-muslimischen Gottesstaat machen wollte. In der östlichen Ghuta sollte der Anfang gemacht werden. Sieben Jahre hielten die Kämpfer mit Unterstützung aus der Türkei, den Golfstaaten, aus Europa und den USA durch. Nun haben Tausende ihre Waffen niedergelegt. Diejenigen, die weiterkämpfen wollen, sind mit ihren Familien in den Norden des Landes, in die Provinz Idlib oder in die Grenzstadt Jarabulus abgezogen, die von der Türkei kontrolliert werden.
In der Mitte des Kreisverkehrs am »Platz der Verwaltung« steht ein Monument. Eine Hand mit Weintrauben reckt sich in den Himmel, als wolle sie eine Gabe darbringen. Das Monument ragt aus der Mitte eines ausgetrockneten Springbrunnens hervor, Wasser gibt es nicht. Palmen, die von sorgsamen Gärtnern in Planen eingewickelt wurden, erinnern an Mumien. Die Palmenblätter, die die letzten Jahre überstanden haben, sind spindeldürr.
Zwei Einkaufsstraßen münden in den Kreisverkehr. Auf der einen Straße werden Schuhe und Kleidung, Dinge des täglichen Lebens, Küchenutensilien angeboten. In der anderen Straße sind Obst-, Gemüse- und Lebensmittelgeschäfte, ab und zu weist ein Schild auf den Mobilfunkanbieter MTN hin. Überall gibt es kleine Stände mit Zigaretten, auch ein Imbiss ist zu sehen.
Ahmed Jedid sitzt vor einem kleinen Laden mit Süßigkeiten und wartet auf Kundschaft. Vor dem Krieg habe er als Mechaniker in einer großen Autowerkstatt für deutsche Autos – Mercedes und BMW – gearbeitet, erzählt der 27-Jährige. Er habe gut verdient und konnte in den ersten Jahren unter der »Armee des Islam« von seinen Ersparnissen leben. Meist sei er zu Hause geblieben, erst als das Geld knapp geworden sei, habe er versucht, mit dem Verkauf von geschmuggeltem Benzin zu überleben. »Es gab viele Männer wie mich, die nicht für die ›Armee des Islam‹ kämpfen wollten«, fährt er fort. »Lieber haben sie im Tunnelbau gearbeitet, um etwas Geld zu verdienen.« Heute kann er an guten Tagen etwa 1000 Syrische Pfund nach Hause bringen, umgerechnet etwas mehr als zwei Euro. Beklagen wolle er sich nicht, denn die Preise für die Lebensmittel seien drastisch gesunken. Ja, die syrische Armee habe Duma damals abgeriegelt, aber schlimmer sei die Blockade gewesen, die die »Armee des Islam« ihnen aufgezwungen hätte. Oft habe er versucht, aus Duma zu fliehen, um nach Damaskus zu kommen. Immer sei er von den Kämpfern gefasst und eingesperrt worden. »Wir müssen wieder bei Null anfangen«, sagt er nachdenklich. Doch er sei gesund und seine Frau und die beiden Kinder auch. Sie hätten ein Dach über dem Kopf, er habe Arbeit gefunden: »Alhamdullilah, Gott sei Dank.«
Im Obst- und Gemüseladen von Ahmad Herab herrscht reges Treiben. Frauen betrachten den Salat, das Gemüse, nehmen Gurken, Tomaten und Auberginen prüfend in die Hand. Sie kaufen nur kleine Mengen, denn das Geld ist knapp. Besonders gefragt sind die frischen Eier, die in großen Paletten übereinander gestapelt am Eingang des La- dens stehen. »Vier Jahre lang gab es bei uns keine Eier«, erinnert sich der Händler. »Frische Eier stapelweise, davon konnten wir nur träumen!«
Neben dem Geschäft auf der Bordsteinkante sitzt ein Knirps und knabbert gedankenverloren Chips, die er aus einer großen Tüte angelt. Seine Schuhe sind viel zu groß, die Hände schmutzig. Wie viele Kinder hat er vielleicht auch er Metallreste gesammelt und beim Altwarenhändler verkauft. Dort wird das Sammelgut ausgewogen und die Kinder erhalten ein paar Hundert Lira, genug für eine Tü- te Kartoffelchips oder eine andere Köstlichkeit. Es sind Sommerferien, die Schulen bleiben bis September geschlossen und werden renoviert. Wenn erst der Kriegsschutt abtransportiert ist, die Strom- und Wasserversorgung wieder funktioniert und vielleicht der Wiederaufbau begonnen hat, hoffen die Menschen in Duma auf einen Neuanfang im Herbst.
Wie in Duma ist auch in Harasta die alte Infrastruktur verschwunden. Harasta liegt westlich von Duma, etwa zehn Kilometer von Damaskus entfernt. Die einst schmucken Straßen, Schulen, Wohnblöcke, die Stadtverwaltung – Trümmer, so weit das Au- ge sieht. Die beiden Kirchen sind gebrandschatzt und geschlossen. Die Christen haben den Ort verlassen. Die griechisch-katholische St.-Elias-Kirche kann nach einer Klettertour über einen Geröllberg durch eines der zertrümmerten, bodentiefen Fenster betreten werden. Kein Kreuz, kein Altar, kein Bild, kein Gestühl erinnern daran, dass dieses Gebäude eine Kirche war. Neben der Sakristei beginnt ein Tunnel, der tief in die Erde hineingegraben wurde. Der Sand, der aus dem Erdreich gehievt wurde, bedeckt das Kirchenschiff. Auch in Harasta wurden Tunnel von Gefangenen oder lokalen Arbeitern ausgehoben. Waren, Waffen, Kämpfer, Vieh und Menschen wurden durch das professionell errichtete Tunnelsystem geschleust.
Lokale Geschäftsleute und die Kampfverbände profitierten, wer die Tunnel kontrollierte, wurde reich, sagt Scheich Abdul Rahman Shaker, der auch Abu Hassan, der Vater von Hassan genannt wird. Er predigt wieder in der Großen Moschee von Harasta, der Al-Zahra-Moschee, und hofft, dass die Christen zurückkehren. Scheich Abu Hassan war gegen die Bewaffnung und versuchte als Mitglied eines lokalen Versöhnungskomitees zu vermitteln. Nachdem »die Extremisten« ihn festgenommen und wieder freigelassen hätten, habe er sich nach Damaskus abgesetzt, um von dort zu versuchen, das Morden zu stoppen. Alle Vermittlungsversuche seien gescheitert, bis dem russischen »Zentrum für die Versöhnung der verfeindeten Seiten in Syrien« endlich ein Durchbruch gelungen sei. Im April 2018 kehrte er nach Harasta zurück. Von den einst über 150 000 Einwohnern lebten heute etwa 10 000 in der Stadt, berichtet er. Die Versorgungslage werde sich hoffentlich bald verbessern.
Auch in Jobar gab es ein weit verzweigtes Tunnelsystem, durch das Autos und Lieferwagen mit aufgebautem Geschütz fahren konnten. Von hier gelangte man nach Ain Tarma und Barzeh, unter den Verteidigungslinien der syrischen Armee hindurch. Ein großer Tunneleingang liegt verlassen direkt neben der großen Moschee. Es ist still, der Wind rauscht durch die ausgebrannten Ruinen, Vögel zwitschern. Blumen ranken sich um die Eisengeländer, die einst den zentralen Platz vor der Moschee abtrennten. Darum herum stehen Häu- sergerippe, Trümmer türmen sich in bizarren Formen in den Himmel. Jobar gibt es nicht mehr.
Der Ort liegt knapp drei Kilometer östlich der Altstadt von Damaskus und war vor dem Krieg für seine leder- und textilverarbeitende Industrie bekannt. 2012 übernahm die sogenannte »Freie Syrische Armee« das Kommando, die Menschen flohen nach Damaskus. Raketen und Mörsergranaten wurden aus Jobar in die nahe gelegenen Wohnviertel der Hauptstadt gefeuert, Hunderte Zivilisten verloren ihr Leben. Die syrische Armee riegelte Jobar ab, aus der »Freien Syrischen Armee« wurde die Nusra Front, die zu Al Qaida gehört. Zuletzt hatte dort Failak al Rahman das Kommando. Heute lebt hier niemand mehr. Ab und zu trifft man Menschen, die sehen wollen, was von ihren Wohnungen, Häusern und Geschäften nach dem Krieg übrig geblieben ist.
Unter einer Brücke zwischen Jobar und Ain Tarma hält der Soldat Mohamed Wache. Er war 20 Jahre alt und arbeitete als Koch in Aleppo, als der Krieg begann. Heute ist er 27 und hat an vielen Fronten gekämpft. Nun hält er Wache in Jobar und hofft, eines Tages wieder nach Hause zu kommen. »Nach dem Krieg werden wir bei Null wieder anfangen müssen«, ist er überzeugt. »Wir müssen uns selber wieder aufbauen, unsere Familie, unsere Häuser, unsere Arbeit – alles, was wir hatten, haben wir in diesem Krieg verloren.«
Wasser gibt es nicht. Palmen, die von sorgsamen Gärtnern in Planen eingewickelt wurden, erinnern an Mumien. Die Palmenblätter, die die letzten Jahre überstanden haben, sind spindeldürr.