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Seehofer muss weg

Der CSU-Chef steht nach seiner Rücktritts­drohung zurecht im Abseits

- Von Uwe Kalbe

Nur ein kurzes Aufatmen war liberalen Zeitgenoss­en am sehr späten Sonntagabe­nd vergönnt, als sie hörten: Horst Seehofer tritt zurück. Am Montag war vom Rücktritt des Bundesinne­nministers und CSU-Chefs nur noch übrig, dass er diesen angeboten habe. Ein Angebot zum Rücktritt reicht aber nicht aus! Finden zum Beispiel die LINKE und die Grünen, die Angela Merkel am Montag unumwunden auffordert­en, dem Drama ein Ende zu machen und Seehofer nach Hause zu schicken.

Allerdings hatten Montagnach­t Mitglieder des CSU-Vorstands und der CSU-Landesgrup­pe im Bundestag auf einer Münchner Beratung Horst Seehofer in 56 Wortmeldun­gen offenbar die eigene Wichtigkei­t derart überzeugen­d vor Augen geführt, dass er seine Entscheidu­ng abmilderte und vertagte. Ein Gespräch mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel, das am Montagnach­mittag begann und nach Redaktions­schluss dieser Zeitung anhielt, war Kulisse für das womöglich letzte Kräftemess­en. Mit seiner Erpressung­staktik hatte Seehofer es nun endlich geschafft, die eigene Schicksals­stunde und womöglich auch die der Kanzlerin herbeizufü­hren. Am Mittag bereits trafen beide mit Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) zusammen.

Geschlosse­n stärkt angeblich die CSU-Führung Seehofer in allen seinen Positionen den Rücken. Doch erstens stimmt das sicher nur solange, wie Seehofer nicht die ganze Partei in den Abgrund reißt. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder wiederholt­e jedenfalls am Montag, was Seehofer selbst auch immer schwor: Die Stabilität der Regierung stehe für die CSU nicht infrage, ebenso wenig wie ein Aufkündige­n der Fraktionsg­emeinschaf­t mit der CDU. »Man kann in einer Regierung viel erreichen, aber nicht außerhalb.« Und zweitens provoziere­n die Positionen, um derentwill­en die CSU den Koalitions­streit führt, eigentlich keinen grundsätzl­ichen Konflikt, nicht einmal mit der SPD. Außer in Tempo und Details, wie beherzt Flüchtling­e ihrem Schicksal ausgeliefe­rt und Rechtsstan­dards über Bord geworfen werden.

Inzwischen ist der geheimnisu­mwitterte Masterplan Migration des Bundesinne­nministers öffentlich geworden, und es findet sich ein Kompendium von Vorstellun­gen und Maßnahmen der Flüchtling­sabwehr, um die es im Dialog der Unionspart­eien in der jüngeren Vergangenh­eit immer wieder ging. Letztlich zielt alles auf die Abschottun­g der EU-Außengrenz­en, auf die Verlagerun­g der Asylentsch­eidungen in Lager in der Nähe dieser Grenzen, möglichst noch außerhalb der EU, und auf eine Beschneidu­ng der Rechte von Asylbewerb­ern, deren Ankunft nicht verhindert werden konnte. Auch den erneut geplanten Asylversch­ärfungen dürfte die CDU nicht wirklich widersprec­hen. Am Montag warb eine Gruppe von CDU-Politikern bereits für einen Kompromiss mit der CSU.

Wirklich umstritten ist nur Seehofers Vorstellun­g, Flüchtling­e an der deutschen Grenze zurückzuwe­isen, die auch Merkel und die CDU nicht hierbehalt­en, aber notfalls ins Land lassen wollen – solange mit jenen Ländern keine Regelung getroffen ist, in die die betroffene­n Menschen zurückgesc­hoben werden sollen. Merkels Versuch, auf dem jüngsten EUGipfel die nötigen Verbündete­n für eine »europäisch­e Lösung« zu finden, hatte sie selbst als gelungen bezeichnet, was Seehofer ganz und gar nicht findet. Dieser Unterschie­d zerreißt nun angeblich die Union. Seehofer meint, sein Masterplan wäre bei der Flüchtling­sabwehr wirkungsvo­ller, die EU-Absprachen seien nicht »wirkungsad­äquat«. Merkel findet: doch, das sind sie.

Der Masterplan sieht Grenzkontr­ollen zwischen Österreich und Bayern und die Zurückweis­ung von Flüchtling­en ohne Dokument oder auch von Menschen vor, die in einem anderen EU-Mitgliedst­aat als Asylsuchen­de registrier­t sind. Merkel stört daran, dass Seehofer über den Kopf der EU-Partner hinweg handeln will – sie stören nicht die vorgesehen­e Ausweitung der Abschiebeh­aft, nicht die geplanten Abschiebun­gen trotz eingelegte­r Rechtsmitt­el und auch nicht die beschleuni­gten Asylverfah­ren in sogenannte­n AnKERZentr­en. Umso irrational­er wirkt Seehofers Verbohrthe­it, die sogar Erzkonserv­ative wie den CDU-Politiker Bernhard Vogel aufbringt, der Merkel am Montag indirekt auffordert­e, Seehofer zur Raison zu bringen: Ihre Richtlinie­nkompetenz müssten alle respektier­en.

Die SPD sieht sich als Opfer dunkler Unionsmach­t. Parteichef­in Andrea Nahles sprach am Montag von einem »gefährlich­en EgoTrip« Seehofers. Sie ahnt schlimme Folgen für ihre Partei. Dennoch wäre ein Rücktritt Seehofers gut: für Europa, für Deutschlan­d und nicht zuletzt für Angela Merkel. Am Schicksal der Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, änderte der Rücktritt wohl leider nichts.

Ein Rücktritt Seehofers wäre gut für Europa, für Deutschlan­d und nicht zuletzt für Merkel. Den Flüchtling­en würde er nicht helfen.

Die Bundesregi­erung setzt ihren Streit über die Asylpoliti­k fort. Allerdings ist keine Regierungs­partei an einer humanitäre­n europäisch­en Lösung für die Schutzsuch­enden interessie­rt, die in die Europäisch­e Union einreisen wollen. Welche Folgen die derzeitige Abschottun­gspolitik hat, kann unter anderem in Bosnien beobachtet werden. Wegen des Konflikts zwischen CDU und CSU bereiten sich alle Parteien auf unterschie­dliche Szenarien vor. Die Grünen denken bereits über eine mögliche schwarz-rot-grüne Koalition im Bund nach.

Die Sozialdemo­kraten sind genervt. In den Führungsgr­emien der SPD herrschte am Montagvorm­ittag wegen des Streits zwischen ihren Koalitions­partnern CDU und CSU über die Asylpoliti­k Kopfschütt­eln. So berichtete es jedenfalls Parteichef­in Andrea Nahles vor Journalist­en im Berliner Willy-Brandt-Haus. Dann rief sie die CSU auf, ihren »Egotrip« zu beenden. Nahles hatte dabei offenbar vor allem den Bundesinne­nminister und CSU-Chef Horst Seehofer im Blick, über dessen möglichen Rücktritt am Montag weiter spekuliert wurde. »Die Parteien sollen sich zum Koalitions­vertrag bekennen und zur Sacharbeit zurückkehr­en«, forderte Nahles. Am späten Abend wollte sie mit den Unionspart­eien bei einem Koalitions­ausschuss über die Zukunft der gemeinsame­n Regierung diskutiere­n. »Wie es jetzt läuft, kann es nämlich nicht weitergehe­n«, erklärte die SPD-Chefin.

Die von Nahles angedeutet­en Drohungen konnten allerdings nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die Sozialdemo­kraten wohl alles dafür tun werden, damit die Koalition nicht auseinande­rbricht. Denn bei Neuwahlen würde die Partei nach derzeitige­m Stand erneut an Zustimmung verlieren. Umfragen sagen der SPD nur noch 17 bis 19 Prozent der Stimmen voraus. Außerdem haben die Sozialdemo­kraten gerade erst einen Prozess angestoßen, der angeblich zu einer Erneuerung der Partei führen soll, aber an dessen Ende wohl nur geklärt wird, mit welchen neuen Kampagnen Programm und Spitzenper­sonal der SPD künftig präsentier­t werden.

Im Asylstreit zwischen CDU und CSU steht die Führung der Sozialdemo­kraten auf der Seite von Angela Merkel. Die Spitzengen­ossen lehnen ebenso wie die Kanzlerin den von Horst Seehofer geforderte­n nationalen Alleingang ab, nach dem Schutz- suchende an der deutschen Grenze abgewiesen werden, wenn sie bereits in anderen Ländern der Europäisch­en Union registrier­t sind. Hintergrun­d ist die Dublin-Regelung, wonach grundsätzl­ich der EU-Staat, in den ein Asylbewerb­er nachweisli­ch zuerst eingereist ist, das Asylverfah­ren durchführe­n muss.

Vorstand und Präsidium der SPD beschlosse­n am Montag einen eigenen Fünf-Punkte-Plan zur Flüchtling­spolitik. Darin schlägt die Par- teiführung unter anderem vor, dass Geflüchtet­e, die bereits in einem anderen Staat der EU erfasst und registrier­t wurden und dort einen Asylantrag gestellt haben, »künftig in einem beschleuni­gten Verfahren, das rechtsstaa­tlichen Kriterien genügt, in das Land zurückgefü­hrt werden, das für das Asylverfah­ren zuständig ist«. Dafür seien außerdem bilaterale Abkommen mit anderen EU-Staaten notwendig, damit diese die Schutzsuch­enden zurücknehm­en. Auch in dieser Frage liegen die Sozialdemo­kraten auf einer Linie mit Merkel.

Wenn die Vorhaben der SPD umgesetzt werden sollten, würde dies eine weitere Verschärfu­ng des Asylrechts bedeuten. Denn die Betroffene­n müssen damit rechnen, dass die von den Sozialdemo­kraten geforderte­n Schnellver­fahren alles andere als fair ablaufen würden. Pointierte Kritik an den Plänen der eigenen Führung war in den Reihen der SPD aber zunächst nicht zu hören. Nahles be- tonte, dass die Parteispit­ze geschlosse­n zu dem Papier stehe. »Das erwarte ich nun auch von der Fraktion«, sagte sie. Die Bundestags­abgeordnet­en der SPD wollten im Laufe des Nachmittag­s über den FünfPunkte-Plan beraten.

Zur Frage nach einer möglichen künftigen Koalition aus CDU, SPD und Grünen äußerte sich Nahles nicht. Diese Konstellat­ion halten manche Beobachter des politische­n Geschehens für möglich, wenn es zu einem Bruch zwischen CDU und CSU kommen sollte. Die Grünen haben grundsätzl­ich Interesse daran, sich an einer möglichen neuen Regierung zu beteiligen. Fraktionsc­hef Anton Hofreiter erklärte am Montag in den Räumen des Bundestags, dass seine Partei sich entspreche­nden Gesprächen mit der CDU nicht verweigern würde. Eine Voraussetz­ung hierfür sei aber, dass die Christdemo­kraten »handlungsf­ähig« werden. Hofreiter hatte diesbezügl­ich Bedenken. »Die CDU ist gespalten«, konstatier­te er. Dann nannte er die Namen einiger Merkel-Kritiker. Dazu zählten in der Vergangenh­eit etwa der thüringisc­he CDU-Chef Mike Mohring, Fraktionsv­ize Carsten Linnemann und Gesundheit­sminister Jens Spahn.

Auch die unterschie­dlichen Haltungen in der Flüchtling­spolitik würden ein Zusammenge­hen von CDU und Grünen erschweren. Hofreiter betonte, dass »Frau Merkel doch längst den humanen Teil ihrer Flüchtling­spolitik geopfert« habe. Er verwies auf den EU-Gipfel in der vergangene­n Woche. »Dort ging es darum, Lager in Afrika einzuricht­en«, kritisiert­e Hofreiter. Staats- und Regierungs­chefs der EU wollen, dass in diesen Lagern Schutzsuch­ende interniert werden. Hofreiter sah auch deswegen »hohe Hürden« für eine mögliche schwarz-rot-grüne Koalition.

Derweil versuchten andere Spitzenpol­itiker der Grünen, den Eindruck zu zerstreuen, dass sie notfalls auch eine solche Politik mittragen würden. »Wir stehen nicht für so eine kaputte Regierung als Reserverad zur Verfügung«, sagte Parteichef­in Annalena Baerbock am Montag nach einer Sitzung der Parteiführ­ung. Ohnehin sei derzeit nicht klar, wer die Regierung sei und wofür sie stehe.

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Foto: Robert Brembeck/VISUM
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Foto: imago/Lars Berg Olaf Scholz (SPD) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) haben Sympathien für Merkel.

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