Bosnien mit Flüchtlingen überfordert
Seit dem Schließen der Balkan-Route kommen die Schutzsuchenden nicht mehr weiter / Die EU hilft nur wenig
Sicherheitsminister Mektić stellt klar: Aufnahmezentren an den EUAußengrenzen werde es in Bosnien nicht geben. Das Land könne nur Zwischenstopp auf dem Weg in die Europäische Union sein. Auf den ersten Blick verströmt der Park an der Miljačka gegenüber dem Rathaus von Sarajevo Multikulti-Volksfeststimmung, auf den zweiten das pure Elend. Auf den Feuerstellen wird nicht gegrillt, sondern abgekocht: Maisbrei oder einfach nur Wasser für Tee. Dutzende Flüchtlinge kampieren hier. Auf Iso-Matten, vor Nässe und Nachtkühle – Bosniens Hauptstadt liegt 511 Meter über dem Meeresspiegel – oft nur durch Plastikplanen geschützt.
Das Drama begann Ende 2017. Im Dezember wurden in Bosnien/Herzegowina offiziell 651 Flüchtlinge re- gistriert. Was zunächst wie eine Lappalie aussah, war eine 380-prozentige Steigerung im Vergleich zu 2016. Das Ende der Fahnenstange sei noch nicht erreicht, fürchteten die Behörden damals. Und behielten recht.
Bis Ende Juni dieses Jahres wurden 7218 Flüchtlinge registriert. Die Dunkelziffer dürfte noch erheblich darüber liegen. Das arme, zerrissene Land ist hoffnungslos überfordert. Die Behörden haben bis heute mehr als genug zu tun mit der Bereitstellung von Unterkünften für die Protagonisten der Fluchtbewegung, die der Bosnienkrieg Anfang der 1990er Jahre auslöste. Ob muslimische Bosniaken, orthodoxe Serben oder katholische Kroaten: Jeden zog es damals aus Angst vor Übergriffen der anderen Gruppen dorthin, wo die eigene über deutliche Mehrheiten verfügte. Bis zu einer Million Menschen – nahezu ein Drittel der Gesamtbevölkerung – irrte zeitweilig zwischen den Frontlinien hin und her. Ganze Landstriche sind bis heute verödet.
Für das Krisenmanagement gibt der ohnehin defizitäre Haushalt daher kaum etwas her. Sogar Dragan Lukač, Polizeichef der Föderation der Bosniaken und Kroaten, einem der beiden bosnischen Teilstaaten, musste nach der Besichtigung von Lagern vor lokalen Medien einräumen, dass »für Straßenköter in Tierheimen besser gesorgt« wird.
Sehr dramatisch ist die Situation im Nordwesten. Allein in einem ehemaligen Internat in Velika Kladuša, einer Stadt mit 44 000 Einwohnern, sind über 700 Afghanen, Syrer, Iraker und Pakistani gestrandet. Seit Skandinavien das Asylverfahren verschärft hat, stehen Deutschland oder Österreich, wo oft schon Verwandte Zuflucht gefunden haben, ganz oben auf ihrer Wunschliste. Die meisten scheitern beim illegalen Grenzübertritt ins nahe Kroatien. Viele versuchen es erneut.
Seit sich die Tücken auf der Balkan-Route über Serbien herumgesprochen haben, versuchen die Migranten, die EU von Griechenland aus über Albanien, Montenegro und Bosnien zu erreichen. Dort sitzen sie fest. Kroatien drängt mit Macht in den Schengen-Raum, bewacht die EU-Außengrenzen daher besonders scharf und schickt alle, die keine oder nicht die richtigen Papiere haben, zurück nach Bosnien. So regelt es ein Rückübernahme-Abkommen aus dem Jahr 2015. Mit Montenegro hat Bosnien kein solches Readmission-Abkommen. Der kleine Adria-Staat lehnt die Rückübernahme ab und begründet das mit Albaniens Weigerung, Flüchtlinge zurückzunehmen. Dass Tirana – seit dem EU-Gipfel Ende vergangener Woche offizieller Beitrittskandidat – ausgerechnet bei der Rückführung mit der Umsetzung europäischer Standards beginnt, wie Bosnien hofft, ist unwahrscheinlich.
Auch der andere bosnische Teilstaat – die Republika Srpska – weigert sich, einen Teil der Lasten zu schultern. Mehrere Kantone der Föderation verlangten daher ein Machtwort von der Zentralregierung sowie Geld aus deren Budget und drohten im Weigerungsfall mit Besetzung des für Migranten zuständigen Sicherheitsministeriums. Dessen Chef Dragan Mektić will zwar für den Winter beheizbare Zelte aus der eisernen Reserve seines Ressorts zur Verfügung stellen, machte auf einer Pressekonferenz jedoch klar, dass es sich dabei um eine zeitlich befristete Lösung handle. Aufnahmezentren, wie sie der EU-Gipfel beschloss, werde es in Bosnien nicht geben. Sein Land sei nur bereit, »im Rahmen seiner Möglichkeiten ein guter Wirt« für die Weiterreise zu sein. Bosnien sei das eigentliche Opfer der Flüchtlingskrise, ein Ende nicht abzusehen, Europa habe weiter keine tragfähige Lösung.