Menschenwürde für Bayern
Eine kleine Partei kämpft um flächendeckende Verankerung und eine neue Politik für den Freistaat
Die Partei »mut«, 2017 von der ExGrünen Claudia Stamm gegründet, kämpft für ein progressives Bayern. Auf Zustimmung stößt sie vor allem bei jenen, die sich von anderen linken Parteien nicht vertreten fühlen. An Mut mangelte es Claudia Stamm jedenfalls nicht. Im März vorigen Jahres hat die damalige Grünen-Politikerin überraschend ihre Partei verlassen, für die sie immerhin neun Jahre im bayerischen Landtag saß, zuletzt als haushaltspolitische Sprecherin. Auf einer Pressekonferenz erklärte sie ihren Schritt damals mit einer zunehmenden Entfremdung und der Unfähigkeit, die Politik der Grünen länger überzeugt mittragen zu können. Vorausgegangen waren dem mehrere innerparteiliche Auseinandersetzungen um die Frage, wie eine prinzipientreue Haltung unter anderem in der Asylpolitik auszusehen habe.
Noch am Tag der Pressekonferenz verkündete Stamm, zukünftig mit einer eigenen Partei anzutreten. Inzwischen gibt es diese Gruppierung seit mehr als einem Jahr, je nach Regierungsbezirk in unterschiedlicher Stärke. Insgesamt zählt sie 340 Mitglieder, darunter als weiteres Gründungsmitglied den bekannten Soziologen Stephan Lessenich. Unter dem programmatischen Namen »mut« wirbt sie seither für eine andere Art der Politik im Freistaat, für eine Politik der »lebendigen Demokratie, der gesellschaftlichen Vielfalt und sozialen Gerechtigkeit«. Es geht Stamm nicht um persönliche Animositäten oder um Detailfragen, die so viele andere Politiker zu Austritten bewogen haben.
Stamm kämpft vielmehr für einen grundlegenden Kurswechsel hin zu einer fortschrittlichen Politik, die selbst von den Oppositionsparteien nicht vertreten werde. Ihr schwebt eine gerechte Politik für alle Menschen vor, ungeachtet ihrer Herkunft, die die Zukunft mit optimistischen Visionen gestalten will, statt die herrschende Hysterie noch weiter anzuheizen. Es wäre ein Leichtes, das als Sektierertum abzustempeln. Über die Jahre hat es immer wieder Versuche gegeben, nach Austritten einzelner Mitglieder neue Parteien zu gründen. Die meisten dieser Abspaltungen sind sangund klanglos untergegangen, ohne sich je ernsthaft zu etablieren. Auch bei Stamms Partei ist ungewiss, ob sie sich langfristig wird halten können.
Doch würde das die Tatsache ignorieren, dass »mut« offenbar eine bestehende Lücke füllt. Die Partei schließt zumindest für einige Mitglieder ein Repräsentationsdefizit, das die Parteien links der Union entstehen ließen. In den letzten Jahren haben (einstmals) linke Parteien viele ihrer Grundsätze aufgeweicht, zum Beispiel die Grünen. Deren Vertreter sind in Baden-Württemberg längst eher konservativ als progressiv, und selbst im tiefschwarzen Bayern liebäugelte die Partei zeitweise mit einer schwarzgrünen Koalition, bevor Markus Söder während der letzten Wochen in der Asylpolitik freidrehte wie die AfD.
Damit hält »mut« anderen linken Parteien einen Spiegel vor wie bereitwillig sie ihre Prinzipien aufgegeben haben, ob beabsichtigt oder nicht. Es ist auch eine leise mitschwingende Anklage gegen eine Politik, die um des bloßen Regierens willen ihre Grundwerte leichtfertig über Bord wirft, ohne die Menschen hinter den Entscheidungen bewusst wahrzunehmen, insbesondere in der Asylpolitik. Bei »mut« setzt man dem ein klares Bekenntnis zur Humanität entgegen, das nicht zur Disposition stehen wird – ein Bekenntnis zu einer Politik, für die die Menschenwürde stets der Leitgedanke sämtlicher Entscheidungen ist.
Auf Zustimmung stößt das nicht zuletzt bei Menschen, die sich früher in linken Parteien engagiert haben, aber diese Prinzipienlosigkeit nicht länger mittragen möchten. Unter den »mut«Mitgliedern sind denn auch viele mit einer ebensolchen Biografie – darunter der Kulmbacher Arno Pfaffenberger. Er ist seit den 70er Jahren durchgehend politisch und sozial engagiert, arbeitete bei sozialen Bündnissen und der Friedensbewegung mit. In seiner Heimatstadt hat er sich lange Jahre bei der LINKEN eingebracht, einmal sogar als Kandidat für den Deutschen Bundestag. 2013 hat er die Partei jedoch wieder verlassen, nachdem es im Landesverband innerparteiliche Konflikte zwischen verschiedenen Flügeln gab.
Heute blickt Pfaffenberger mit Befremden auf die asylpolitischen Debatten, die sich, angestoßen durch Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, selbst in der LINKEN entwickelt haben. Als er im Januar 2018 Claudia Stamm bei einer Veranstaltung in Bayreuth kennenlernte, er- zählt er dem »nd«, habe ihn das sofort beeindruckt. Ihre Glaubwürdigkeit und politische Ausrichtung hätten ihn überzeugt, dass »mut« für ihn genau die richtige Partei ist. Mittlerweile bringt er seine Erfahrung tatkräftig ein, um die Partei in Oberfranken aufzustellen, sammelt Unterschriften für den Antritt zur Landtagswahl und koordiniert die Arbeit.
An »mut« begeistert ihn das klare Bekenntnis zur Menschenwürde, oh- ne dass sich die Partei einer konkreten politischen Richtung zuordnen lässt. »›Mut‹ ist nicht die klassische linke Partei«, sagt Pfaffenberger im Gespräch. Neben Mitgliedern mit linker Sozialisation habe man auch andere Mitglieder, die eher konservativ-liberal oder christlich-sozial eingestellt seien. Es handle sich um einen Querschnitt, den eine Überzeugung eint: dass die strikte Orientierung an der Menschenwürde in der aktuellen Politik nicht genügend Rückhalt findet.
Dabei versteht sich die Partei als einer »der Kerne des solidarischen Pols«, wie Pfaffenberger es nennt. Er glaubt, dass es mehr denn je demokratische Kräfte braucht, die sich gegen »demokratisch-marktradikale und völkisch-nationalistische Kräfte« positionieren. So soll dem anhaltenden Rechtsruck entgegengetreten werden. »Andernfalls geht die offene Gesellschaft den Bach runter und es bleibt vom Sozialstaat nicht mehr viel übrig«, sagt Pfaffenberger. Ergänzt werden müsse dieser dritte Pol wiederum durch Kräfte aus der Zivilgesellschaft, die sich für identische politische Ziele einsetzen.
Die enge Einbindung in deren Netze ist wie eine »Lebensader für ›mut‹«, sagt die Gründungsvorsitzende Claudia Stamm dem »nd«. Denn ihre Mitglieder stammen oft selbst aus solchen Initiativen oder Helferkreisen und haben sich durch diese Erfahrungen zu einem Engagement bei der Partei entschlossen. »Das gehört ganz automatisch zu ›mut‹«, so Stamm. »Viele von ihnen sagen, dass es an der Zeit ist für eine andere Politik, dass wir an einem Scheideweg stehen, wie es mit der Demokratie weitergeht.« Den Oppositionsparteien im bayerischen Landtag trauen sie diese positiven Veränderungen nicht mehr zu. »In Bayern erleben wir jeden Tag die Hetzerei der Mehrheitspartei CSU«, sagt Stamm, »und den entschiedenen Widerstand gegen diesen ständigen Rechtsruck haben wir über weite Strecken vermisst. Einige beteiligen sich sogar daran.«
»Mut« will in der nächsten Legislaturperiode diese echte Opposition sein, um dem massiven Rechtsruck entgegenzutreten. Das politische Profil ihrer Partei beschreibt Stamm als »solidarisch-progressiv«. Dazu zählen ein klares Bekenntnis zu einem »starken Recht auf Asyl« sowie eine fortschrittliche Sozialpolitik, die einen »solidarischen Umbau der Sozialsysteme« vorsieht. Kombiniert wird das mit einem optimistischen Gestaltungswillen, der Wähler mit hoffnungsvollen Botschaften erreichen soll. »Wir wollen eine Politik, die zusammenführt statt spaltet«, beschreibt Stamm das wichtigste politische Ziel.
Aktuell steht die Partei mitten in ihrer ersten großen Bewährungsprobe. Kurz vor der Landtagswahl am 14. Oktober bemühen sich die Mitglieder, in allen Regierungsbezirken die nötigen Unterschriften für den Wahlantritt zu sammeln; auch ein Programm muss erst noch verabschiedet werden, wenn sich der Parteitag im Juli trifft. Lediglich die Kandidaten sind zumindest teilweise aufgestellt. Ein Einzug in das Parlament, selbst wenn sie überall wird antreten können, ist freilich unwahrscheinlich. Bislang kommt »mut« nicht über den Status einer Kleinstpartei hinaus, und knapp ein Jahr nach ihrer Gründung hatte die Partei kaum genügend Gelegenheit, sich flächendeckend zu etablieren. Für den bevorstehenden Landtagswahlkampf sind das nicht unbedingt ideale Bedingungen.
Aber ungeachtet ihres möglichen Abschneidens wirft »mut« bereits jetzt ein Schlaglicht auf das politische Klima. Die Parteigründung ist die unmittelbare Folge einer Entwicklung, die sich immer weiter nach rechts bewegt. Es muss einiges passieren, dass es plötzlich eine Besonderheit ist, dass sich eine Partei bedingungslos der Menschenwürde als oberstes politisches Prinzip verschreibt, ohne sich auf schmutzige Deals in der Asylpolitik einzulassen. Am Ende sagt das mehr über die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der letzten Jahre aus als über die Menschen, die sich bei »mut« engagieren.
Bei »mut« setzt man ein klares Bekenntnis zur Humanität entgegen, das nicht zur Disposition stehen wird – ein Bekenntnis zu einer Politik, für die die Menschenwürde stets der Leitgedanke sämtlicher Entscheidungen ist.