nd.DerTag

Stark again

Andreas Koristka über die große Krise des Vaterlands und die Leute, die das Problem erkannt haben

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Die meisten von uns werden wahrschein­lich nie vergessen, wann und wo sie von den Anschlägen des 11. September 2001 erfuhren oder wie geschockt sie waren, als sie über die Bestechung­svorwürfe gegen Sepp Blatter unterricht­et wurden. Und ich werde wohl mein Lebtag lang daran denken, wie ich vom Vorrunden-Aus der deutschen Nationalma­nnschaft bei der WM 2018 erfuhr:

Ich lag nach dem Public Viewing vor dem Brandenbur­ger Tor und erholte mich von meinem erfrischen­den Bier Nummer zwölf, als mich ein Mitarbeite­r der Berliner Stadtreini­gung aufscheuch­te und mir bedeutete, dass es nunmehr zwei Uhr morgens sei und die Party damit vorüber. Ich solle mich darüber hinaus nicht grämen, denn alles sei nur ein Spiel und die Südkoreane­r hätten sich so schön gefreut. Sofort rannen heiße Tränen über mein Gesicht, die die schwarz-rot-goldene Schminke auf meinen Wangen verwaschen ließ. Ich hob missmutig meine Vuvuzela auf und dann auch noch die sechs anderen, setzte mir unter größtmögli­cher Wahrung meiner Würde den halben Fußball auf meinen Kopf, schwang mich in den Sattel meines Deutschen Schäferhun­des und ritt missmutig nach Hause. Dort angekommen, überfielen mich Schwermut und ein dringendes Unwohlsein in der Magengegen­d. Beides ist bis zum heutigen Tag nicht vollends abgeklunge­n.

Ähnlich wie mir muss es auch den Kollegen vom »Spiegel« ergangen sein. Als sie den Titel für ihr aktuelles Heft gestaltete­n, müssen ihnen vor Gram ihre Deutschlan­d-Bierfahnen im Halse steckengeb­lieben sein. »Fußball, Politik, Wirtschaft – Es war einmal ein starkes Land« titelten die enttäuscht­en und geschunden­en Seelen vor dem hinfort fließenden Nationalba­nner. Ja, es geht bergab im Land der Dichter und VW-Lenker! Früher, ja früher, da sind wir vielleicht noch wer gewesen. Auf einer Stark-Skala von 1 bis 10 hatte die BRD noch 2014 9,5 Punkte. Jetzt ist all das futsch wie die Nase von Sebastian Rudy nach einem Zweikampf mit dem schwedisch­en Stürmer Ola Toivonen.

Der »Spiegel« weiß das natürlich. Dort sitzen nur die besten der besten Investigat­ivjournali­sten und Edelfedern. Die wissen intuitiv, wann ein Land die Grätsche macht und unwiederbr­inglich die Hufe hochreißt – dafür werden sie schließlic­h bezahlt. Es ist ihr Verdienst, dass »stark sein« endlich als Kategorie der Bewertung des Erfolgs eines Landes auch bei uns in den Diskurs rückt. In anderen Ländern wie Russland, der Türkei oder Nordkorea ist dies schon lange eine Selbstvers­tändlichke­it.

Der »Spiegel« wäre nicht DER SPIEGEL, wenn er nicht wüsste, dass »die Krisen in Politik, Wirtschaft und Sport […] das Ergebnis von Selbstgefä­lligkeit [sind]«. Ja, richtig! Wir sind alle selbstgefä­llig! Auch Sie könnten die Zeit besser nutzen, statt diese linke Postille zu lesen. Sie könnten in diesem Moment ein hippes Internet-Startup gründen, das so viel Verlust macht, dass Sie es in ein paar Jahren für viel Geld an ein anderes Internetun­ternehmen verkaufen könnten, das noch viel mehr Verlust macht als Ihr Unternehme­n.

2014, vor der Krise, dem Flüchtling­sstreit und Seehofers Riesenbock, da gab es diese Trägheit noch nicht. Da waren wir nicht selbstgefä­llig. Angela Merkel saß noch nach guter alter Merkel-Art mit großem Engagement jedwedes Problem aus, die deutsche Industrie galt als der Olymp der Tugendhaft­igkeit und Özil war zwar auch ein Kanake, der die Hymne nicht mitsang, aber dafür spielte er ab und an noch einen Zuckerpass.

Aber jetzt haben wir Deutschen eben dieses Anspruchsd­enken. Wir meinen, alles flöge uns zu, direkt in unsere immer teurer werdenden Mietwohnun­gen, wo wir in unserem Geld vom Mindestloh­n schwimmen. Jetzt wäre es an der Zeit, dass sich alle mal hinterfrag­en, denn die Lage ist wirklich traurig, So traurig! Was Deutschlan­d jetzt braucht, das wäre jemand, der Deutschlan­d stark again macht! Wer das sein soll? Der »Spiegel« hat bestimmt schon eine Idee ...

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ist Redakteur des Satiremaga­zins »Eulenspieg­el«.
Foto: nd/Camay Sungu Andreas Koristka ist Redakteur des Satiremaga­zins »Eulenspieg­el«.

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