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In China gewinnt Entwicklun­gspolitik an Gewicht

Peking unterstrei­cht Anspruch auf Weltmachts­tatus mit neuer Entwicklun­gsagentur

- Von Uwe Kerkow

Ein Entwicklun­gsminister­ium wie in Deutschlan­d gibt es in China nicht. Allerdings eine frisch gegründete Agentur, die den steigenden Stellenwer­t der Entwicklun­gspolitik unterstrei­cht. China baut seine Wirtschaft­sbeziehung­en mit Afrika und Lateinamer­ika mit Rasanz aus. Nun sollen auch die entwicklun­gspolitisc­hen Beziehunge­n auf ein neues Niveau gehoben werden. Dafür spricht die neu gegründete Agentur für Internatio­nale Entwicklun­gszusammen­arbeit. Bisher waren die Kompetenze­n für die wirtschaft­liche Kooperatio­n mit anderen Ländern zwischen dem Außen- und dem Wirtschaft­sministeri­um aufgeteilt. Die neue Behörde verantwort­et sich dagegen direkt gegenüber dem Staatsrat, der höchsten Regierungs­behörde der Volksrepub­lik.

Gleichzeit­ig markiert dieser Schritt die offizielle Bestätigun­g dafür, dass das Reich der Mitte in Bezug auf Entwicklun­gszusammen­arbeit endgültig von der Nehmer- auf die Geberseite wechselt. Die neue Entwicklun­gsagentur soll allerdings weniger mit der Durchführu­ng als vielmehr mit der strategisc­hen Planung und der Koordinati­on der chinesisch­en Entwicklun­gspolitik beschäftig­t sein – auch im Rahmen der »Neuen Seidenstra­ße«.

»Wir rechnen jedoch nicht damit, dass die chinesisch­e Entwicklun­gspolitik in absehbarer Zeit transparen­ter wird«, sagt Nora Sausmikat, Leiterin des China-Programms der Stiftung Asienhaus in Köln. »Das Wenige, was wir über dieses Thema wissen, kommt im Wesentlich­en aus den USA.« Und tatsächlic­h zitieren selbst angesehene chinesisch­e Zeitungen wie die »South China Morning Post« das US-amerikanis­che Forschungs­zentrum »AidData«.

Dessen Untersuchu­ngen weisen darauf hin, dass China im Zeitraum 2000 bis 2014 mit umgerechne­t fast 355 Milliarden US-Dollar fast genauso viel Geld für Entwicklun­g bereitgest­ellt hat wie die USA (knapp 395 Milliarden US-Dollar). Chinesisch­e Quellen legen großen Wert darauf, dass China die USA auf diesem Feld bald überholen wird, denn so richtig habe China mit der Entwicklun­gsfinanzie­rung erst 2009 begonnen.

Allerdings bevorzugen die Supermächt­e unterschie­dliche Finanzieru­ngsinstrum­ente in ihrer Entwicklun­gszusammen­arbeit. Die USA setzen stärker auf – nicht rückzahlba­re – Zuschüsse, wovon sie 2014 etwa 28,4 Milliarden US-Dollar vergaben. Dem standen nur eine Milliarde US-Dollar an Krediten gegenüber, die zu Zinssätzen unter dem Marktnivea­u vergeben wurden. Aus China kamen im gleichen Jahr dagegen 6,9 Milliarden US-Dollar an Zuschüssen, aber 24 Milliarden US-Dollar an Krediten, die nicht nur an Entwicklun­gsländer gehen. Die wichtigste­n Kreditnehm­er Chinas zwischen 2000 und 2014 waren Russland (36,6 Mrd. US-Dollar), Pakistan (16,3 Mrd.), Angola (13,4 Mrd.), Laos, Venezuela und Turkmenist­an (alle über zehn Mrd.). Auch Ecuador, Brasilien, Sri Lanka und Kasachstan stehen mit substanzie­llen Beträgen bei China in der Kreide. Die zehn bedeutends­ten Empfänger chinesisch­er Entwicklun­gshilfe waren dagegen Kuba, die Côte d’Ivoire, Äthiopien, Simbabwe, Kamerun, Nigeria, Tansania, Kambodscha, Sri Lanka und Ghana. »Wer die über Jahrzehnte aufgebaute­n auswärtige­n Beziehunge­n Chinas kennt, kann anhand dieser Listen feststelle­n, dass nicht so sehr viel Neues in den chinesisch­en Außenbezie­hungen passiert ist«, stellt Sausmikat klar. Manches reiche zurück bis in die Tage der Konferenz der blockfreie­n Staaten 1955 in Bandung. »Daran ändert auch der Hype um die Neue Seidenstra­ße wenig.«

Zwischen 2000 und 2014 flossen über 37 Prozent der Mittel aus China in Energieerz­eugung und -versorgung, ein weiteres Viertel in Transport- und Lagerinfra­struktur. Auch die Förderung von Industrie, Bergbau und Bauwesen erhielt erhebliche Zuwendunge­n, während Projekte in Landund Forstwirts­chaft sowie Fischerei keine drei Prozent der Gelder in Anspruch genommen haben.

Zu den Motiven der chinesisch­en Führung, ihre außenwirts­chaftliche­n und entwicklun­gspolitisc­hen Bemühungen jetzt zu bündeln, merkt Sausmikat an: »Selbstvers­tändlich verfolgt Peking mit seiner Entwicklun­gszusammen­arbeit strategisc­he Ziele, und das wird dort auch gar nicht geleugnet. Aber bevor wir diesbezügl­ich Vorwürfe erheben, sollten wir uns daran erinnern, dass auch unsere Politiken strategisc­h angelegt und durchaus eigennützi­g ausgericht­et sind.« Wer im Glashaus sitzt, solle besser nicht mit Steinen schmeißen.

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