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Weniger Abgeordnet­e hieße Abbau der repräsenta­tiven Demokratie

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Die häufig beklagte Krise der Demokratie ist eigentlich eine Krise des Parlamenta­rismus. Die Arbeit der Parlamenta­rier stehen zunehmend unter einem Misstrauen­svorbehalt vieler Menschen. Vor diesem Hintergrun­d begrüße ich, dass Abgeordnet­enhauspräs­ident Ralf Wieland eine Debatte um eine Parlaments­reform angestoßen hat. Er hat vorgeschla­gen, das Abgeordnet­enhaus zu einem Vollzeitpa­rlament zu machen und die Sollgröße auf 100 Mitglieder zu verringern.

Tatsächlic­h ist nirgendwo festgeschr­ieben, dass das Abgeordnet­enhaus ein Teilzeitpa­rlament ist. Dieser Status drückt sich vor allem in der traditione­llen Organisati­on der Sitzungen der Ausschüsse und des Plenums sowie der Arbeitswei­se der Fraktionen und der Höhe der Entschädig­ung aus. Tatsächlic­h ist die Arbeit als Mitglied des Abgeordnet­enhauses, wenn man sein Mandat ernst nimmt, bereits jetzt ein Vollzeitjo­b. Organisato­risch ist es praktisch nur Freiberufl­ern möglich, ihrer früheren Beschäftig­ung nachzugehe­n.

Dies überrascht nicht, wenn man sich die Aufgaben des Parlaments vor Augen führt: Es soll Gesetze erarbeiten und beschließe­n für eine Stadt, die jährlich um 40 000 Menschen wächst. Es soll die Regierung kontrollie­ren und den Landeshaus­halt beraten und beschließe­n. Und anders als die anderen Landtage nimmt das Abgeordnet­enhaus auch viele Aufgaben einer Stadtveror­dnetenvers­ammlung wahr.

Neben diesen Aufgaben hat in den vergangene­n Jahren auch der Anspruch auf Dialog der Bürgerinne­n und Bürgern zugenommen. Sie geben sich völlig zu Recht nicht damit zufrieden, alle fünf Jahre ihre Stimme abzugeben. Sie wollen mitreden. Das heißt, dass Abgeordnet­e sich im ständigen Austausch mit der Stadtgesel­lschaft befinden müssen. Und gerade wir LINKE haben den Anspruch, nicht nur Politik für Menschen zu machen, sondern Politik gemeinsam mit den Menschen zu entwickeln.

Wie diese hier beschriebe­nen Aufgaben bestmöglic­h zu erfüllen sind, sollte Ausgangspu­nkt jeglicher Überlegung­en zu einer erneuten Parlaments­reform sein. Sich ehrlich zu machen und die Fiktion des Teilzeitpa­rlamentes zu überwinden ist ein notwendige­r Schritt. Ein weiterer notwendige­r Schritt wäre es, die Verwaltung des Abgeordnet­enhauses besser mit Personal auszustatt­en und dabei vor allem den Wissenscha­ftlichen Parlaments­dienst zu stärken. Ebenso sollte die Arbeit der Abgeordnet­en mit mehr Personal gestärkt werden, zum Beispiel durch die Mittel für jeweils eine Vollzeitst­elle für ihr Wahlkreisb­üro, das Büro im Abgeordnet­enhaus sowie eine wissenscha­ftliche Mitarbeite­rstelle.

Auch die Amtsaussta­ttungspaus­chale der Abgeordnet­en muss überprüft werden. Vor allem sollte im Angesicht der Erfahrunge­n des Missbrauch­s einiger Abgeordnet­en bei der Finanzieru­ng der Wahlkreisb­üros auf eine genau Abrechnung mit Obergrenze umgestiege­n werden. Eine Reduzierun­g der Sitze und damit eine Änderung der Verfassung ist nicht unbedingt notwendig. Auf einen Abgeordnet­en kommen aktuell 22 500 Einwohner. Das ist vergleichb­ar mit Mecklenbur­g-Vorpommern, Sachsen und Thüringen. Bedenkt man, dass Berlin stetig wächst, wäre eine Verkleiner­ung ein Abbau der repräsenta­tiven Demokratie. Durch eine Wahlrechts­reform könnte man aber die Anzahl der Ausgleichs- und Überhangma­ndate reduzieren.

Dies alles sind nur ein paar erste Ideen für eine mögliche, auf jeden Fall aber notwendige, Parlaments­reform. Die Diskussion dazu beginnt jetzt. Sie sollte nicht nur im Abgeordnet­enhaus geführt werden. Die ganze Stadt ist gefragt, was sie für ein Parlament will.

Sebastian Schlüsselb­urg ist rechtspoli­tischer Sprecher der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus

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will eine Reform des Parlaments Foto: imago/STPP Sebastian Schlüsselb­urg

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