Die Wohnungsnot betrifft alle
Acht Flüchtlingsfrauen finden in Hennigsdorf keine Wohnung – Einheimische auch nicht
Was auf den ersten Blick nach rassistischer Diskriminierung aussieht, ist auf den zweiten Blick ein soziales Problem, unter dem in Hennigsdorf nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Einheimische leiden. Eine Tour auf dem Berliner Mauerradweg führt in Hennigsdorf an ganz unterschiedlichen Gegenden vorbei – an luxuriösen Villen am Ufer der Havel genauso wie am Asylheim im Ortsteil Stolpe-Süd. Der große Kontrast ist unschwer bereits von außen zu erkennen. Und wie sieht es innen aus?
»Die Toiletten, Duschen und die Küchen sind dreckig.« In einem offenen Brief schreiben das Mary Ndeaga, Loise Kagima, Lilian Kasembeli, Ishwaq Nuur Ali, Nathalie Kiye Kassi, Ambia Chama Mahamud, Ester und Carolin Ndungu. Die acht Frauen stammen aus verschiedenen afrikanischen Staaten wie Kenia und Somalia und sind als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Mit ihren Kindern, vom Baby bis zum Fünfjährigen, wohnen sie in dem Asylheim in Stolpe-Süd, jeweils in nur zwölf Quadratmeter großen Zimmern. Für die Kleinen, denen dort der Bewegungsraum fehlt, sei das nicht gesund, klagen sie.
Sie haben die Erlaubnis, sich Wohnungen zu suchen, berichten die Afrikanerinnen. »Aber die Mitarbeiter der Hausverwaltungen, mehrheitlich die von der Hennigsdorfer Wohnungsbaugesellschaft, sagen uns immer, dass sie keine Häuser für uns haben – obwohl wir ständig leere Wohnungen sehen und sie daraufhin ansprechen.«
Der Flüchtlingsrat und die Antidiskriminierungsberatung Brandenburg sowie die Selbsthilfeorganisation »Women in Exile« unterstützen die Forderung nach Wohnungen. In einer gemeinsamen Erklärung kommentieren sie den offenen Brief: »Ein Leben in Isolation und unter den beschriebenen Bedingungen verursacht Stress und Verzweiflung und kann zu psychischen Erkrankungen und Verzweiflungstaten wie Suizid führen.«
Wundern würde dies tatsächlich nicht. Schließlich ist zu lesen, dass die Frauen Gewalt erleben müssen, Gewalt von Ex-Freunden, aber auch von Männern, »die uns aufgrund unserer hoffnungslosen Situation hier als Sexobjekte wahrnehmen«. Doch so notwendig und wünschenswert eine schnelle Lösung wäre, in Sicht ist keine. Schließlich attestierte das Infrastrukturministerium bereits im Jahr 2014 der Stadt Hennigsdorf – so wie auch 29 anderen brandenburgischen Kommunen – einen angespannten Wohnungsmarkt. Die Situation hat sich seither trotz einiger Neubauvor- haben nicht verbessert, und kurz- bis mittelfristig wird es bei der Misere bleiben.
Die kommunale Hennigsdorfer Wohnungsbaugesellschaft (HWB) verfügt über einen Bestand von gut 3000 Wohnungen. Der Leerstand »tendiert gegen null«, erklärt Geschäftsführer Holger Schaffranke. Wohnungen sind lediglich kurzzeitig nicht belegt, wenn eine Modernisierung geplant ist oder wenn ein Quartier nach Freizug für eine Neuvermietung saniert wird. Bei einer Fluktuationsquote zwischen fünf und sieben Prozent – verteilt auf alle Größen- und Preisklassen – werden pro Jahr nur etwa 150 bis 210 Wohnungen frei, rechnet Schaffranke vor. Die Nachfrage sei aber deutlich höher als das Angebot. Es gibt eine Warteliste. Einheimische wie Geflüchtete können sich gleichberechtigt in diese Liste eintragen, versichert der Ge- schäftsführer. Einige Hundert Geflüchtete gehören zu den Mietern der HWB. Sie stammen aus Staaten wie Afghanistan, Iran, Syrien und Kenia. Auch Russen, Türken und Vietnamesen leben dort – teilweise schon sehr lange.
In den zurückliegenden Jahren haben sich etwa 350 Geflüchtete aus dem Asylheim Stolpe-Süd mit der Bitte um eine Wohnung bei der HWB gemeldet. Im vergangenen Jahr konnte die HWB fünf Familien und zwei Alleinstehende versorgen. Im laufenden Jahr seien vier Mietverträge abgeschlossen worden, heißt es. Aber die Möglichkeiten sind begrenzt, nicht zuletzt, weil es in der Stadt für Einheimische mit geringem Einkommen genauso wie für die Flüchtlinge schwierig ist, ein Quartier zu finden, das den Richtlinien für die Kosten der Unterkunft entspricht, die vom Jobcenter übernommen werden. Viele Geflüchtete haben Verständnis und »bedanken sich für unser Engagement«, sagt Schaffranke. »Andere verstehen nicht, warum sie in Hennigsdorf und bei der HWB so lange auf eine Wohnung warten müssen, und fühlen sich trotz unserer Erklärungen zurückgesetzt oder zumindest alleingelassen.«
Als 2015 und 2016 sehr viele Flüchtlinge eintrafen, hatten etliche Landkreise Hotels oder Saisonarbeiterunterkünfte angemietet und neue Asylheime gebaut, um die Menschen unterzubringen. Nachdem die Balkanroute gesperrt worden war und viel weniger Flüchtlinge durchkamen, gab es überschüssige Kapazitäten. Es bestand deshalb wenig Anlass, den Geflüchteten Wohnungen zu geben, die den Staat extra kosten. In Oberhavel scheint das aber nicht das Problem zu sein. Der Landkreis hat in den verschiedenen Asylheimen Platz für insgesamt 1611 Menschen. Belegt sind 1318 Plätze – und 269 Personen sollen im laufenden Jahr aufgenommen werden.
»Finanzielle Aspekte spielen bei der Frage nach der Unterbringung eine nachgeordnete Rolle«, beteuert Kreissprecherin Constanze Gatzke. Aber: »Gemäß § 53 Asylgesetz sollen Asylbewerber in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden.« Zum Vorwurf, im Asylheim Stolpe-Süd sei es dreckig, sagt Gatzke, dass von Januar bis Mai 58 170 Euro für die Reinigung ausgegeben worden sind.