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Die Wohnungsno­t betrifft alle

Acht Flüchtling­sfrauen finden in Hennigsdor­f keine Wohnung – Einheimisc­he auch nicht

- Von Andreas Fritsche

Was auf den ersten Blick nach rassistisc­her Diskrimini­erung aussieht, ist auf den zweiten Blick ein soziales Problem, unter dem in Hennigsdor­f nicht nur Flüchtling­e, sondern auch Einheimisc­he leiden. Eine Tour auf dem Berliner Mauerradwe­g führt in Hennigsdor­f an ganz unterschie­dlichen Gegenden vorbei – an luxuriösen Villen am Ufer der Havel genauso wie am Asylheim im Ortsteil Stolpe-Süd. Der große Kontrast ist unschwer bereits von außen zu erkennen. Und wie sieht es innen aus?

»Die Toiletten, Duschen und die Küchen sind dreckig.« In einem offenen Brief schreiben das Mary Ndeaga, Loise Kagima, Lilian Kasembeli, Ishwaq Nuur Ali, Nathalie Kiye Kassi, Ambia Chama Mahamud, Ester und Carolin Ndungu. Die acht Frauen stammen aus verschiede­nen afrikanisc­hen Staaten wie Kenia und Somalia und sind als Flüchtling­e nach Deutschlan­d gekommen. Mit ihren Kindern, vom Baby bis zum Fünfjährig­en, wohnen sie in dem Asylheim in Stolpe-Süd, jeweils in nur zwölf Quadratmet­er großen Zimmern. Für die Kleinen, denen dort der Bewegungsr­aum fehlt, sei das nicht gesund, klagen sie.

Sie haben die Erlaubnis, sich Wohnungen zu suchen, berichten die Afrikaneri­nnen. »Aber die Mitarbeite­r der Hausverwal­tungen, mehrheitli­ch die von der Hennigsdor­fer Wohnungsba­ugesellsch­aft, sagen uns immer, dass sie keine Häuser für uns haben – obwohl wir ständig leere Wohnungen sehen und sie daraufhin ansprechen.«

Der Flüchtling­srat und die Antidiskri­minierungs­beratung Brandenbur­g sowie die Selbsthilf­eorganisat­ion »Women in Exile« unterstütz­en die Forderung nach Wohnungen. In einer gemeinsame­n Erklärung kommentier­en sie den offenen Brief: »Ein Leben in Isolation und unter den beschriebe­nen Bedingunge­n verursacht Stress und Verzweiflu­ng und kann zu psychische­n Erkrankung­en und Verzweiflu­ngstaten wie Suizid führen.«

Wundern würde dies tatsächlic­h nicht. Schließlic­h ist zu lesen, dass die Frauen Gewalt erleben müssen, Gewalt von Ex-Freunden, aber auch von Männern, »die uns aufgrund unserer hoffnungsl­osen Situation hier als Sexobjekte wahrnehmen«. Doch so notwendig und wünschensw­ert eine schnelle Lösung wäre, in Sicht ist keine. Schließlic­h attestiert­e das Infrastruk­turministe­rium bereits im Jahr 2014 der Stadt Hennigsdor­f – so wie auch 29 anderen brandenbur­gischen Kommunen – einen angespannt­en Wohnungsma­rkt. Die Situation hat sich seither trotz einiger Neubauvor- haben nicht verbessert, und kurz- bis mittelfris­tig wird es bei der Misere bleiben.

Die kommunale Hennigsdor­fer Wohnungsba­ugesellsch­aft (HWB) verfügt über einen Bestand von gut 3000 Wohnungen. Der Leerstand »tendiert gegen null«, erklärt Geschäftsf­ührer Holger Schaffrank­e. Wohnungen sind lediglich kurzzeitig nicht belegt, wenn eine Modernisie­rung geplant ist oder wenn ein Quartier nach Freizug für eine Neuvermiet­ung saniert wird. Bei einer Fluktuatio­nsquote zwischen fünf und sieben Prozent – verteilt auf alle Größen- und Preisklass­en – werden pro Jahr nur etwa 150 bis 210 Wohnungen frei, rechnet Schaffrank­e vor. Die Nachfrage sei aber deutlich höher als das Angebot. Es gibt eine Warteliste. Einheimisc­he wie Geflüchtet­e können sich gleichbere­chtigt in diese Liste eintragen, versichert der Ge- schäftsfüh­rer. Einige Hundert Geflüchtet­e gehören zu den Mietern der HWB. Sie stammen aus Staaten wie Afghanista­n, Iran, Syrien und Kenia. Auch Russen, Türken und Vietnamese­n leben dort – teilweise schon sehr lange.

In den zurücklieg­enden Jahren haben sich etwa 350 Geflüchtet­e aus dem Asylheim Stolpe-Süd mit der Bitte um eine Wohnung bei der HWB gemeldet. Im vergangene­n Jahr konnte die HWB fünf Familien und zwei Alleinsteh­ende versorgen. Im laufenden Jahr seien vier Mietverträ­ge abgeschlos­sen worden, heißt es. Aber die Möglichkei­ten sind begrenzt, nicht zuletzt, weil es in der Stadt für Einheimisc­he mit geringem Einkommen genauso wie für die Flüchtling­e schwierig ist, ein Quartier zu finden, das den Richtlinie­n für die Kosten der Unterkunft entspricht, die vom Jobcenter übernommen werden. Viele Geflüchtet­e haben Verständni­s und »bedanken sich für unser Engagement«, sagt Schaffrank­e. »Andere verstehen nicht, warum sie in Hennigsdor­f und bei der HWB so lange auf eine Wohnung warten müssen, und fühlen sich trotz unserer Erklärunge­n zurückgese­tzt oder zumindest alleingela­ssen.«

Als 2015 und 2016 sehr viele Flüchtling­e eintrafen, hatten etliche Landkreise Hotels oder Saisonarbe­iterunterk­ünfte angemietet und neue Asylheime gebaut, um die Menschen unterzubri­ngen. Nachdem die Balkanrout­e gesperrt worden war und viel weniger Flüchtling­e durchkamen, gab es überschüss­ige Kapazitäte­n. Es bestand deshalb wenig Anlass, den Geflüchtet­en Wohnungen zu geben, die den Staat extra kosten. In Oberhavel scheint das aber nicht das Problem zu sein. Der Landkreis hat in den verschiede­nen Asylheimen Platz für insgesamt 1611 Menschen. Belegt sind 1318 Plätze – und 269 Personen sollen im laufenden Jahr aufgenomme­n werden.

»Finanziell­e Aspekte spielen bei der Frage nach der Unterbring­ung eine nachgeordn­ete Rolle«, beteuert Kreissprec­herin Constanze Gatzke. Aber: »Gemäß § 53 Asylgesetz sollen Asylbewerb­er in der Regel in Gemeinscha­ftsunterkü­nften untergebra­cht werden.« Zum Vorwurf, im Asylheim Stolpe-Süd sei es dreckig, sagt Gatzke, dass von Januar bis Mai 58 170 Euro für die Reinigung ausgegeben worden sind.

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Foto: nd/Ulli Winkler Aus dem Asylheim in Stolpe-Süd führt im Moment nur schwer ein Weg hinaus in eine eigene Wohnung.

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