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Dem Schlachtho­f droht ein Tod auf Raten

Wiesenhof-Betriebsra­t bangt um 700 Jobs, falls das Umweltamt den Ausbau in Niederlehm­e nicht genehmigt

- Von Andreas Fritsche

Alle Auflagen sind erfüllt, und die 240 000 Schlachtun­gen am Tag werden trotzdem nicht erlaubt, klagt der Betriebsra­t von Wiesenhof in Niederlehm­e. So einfach ist es nicht, bedauert das Umweltamt. Hähnchen schlachten und zerlegen, das Fleisch verarbeite­n – dies geschieht bei der Märkischen Geflügelho­f-Spezialitä­ten GmbH in Niederlehm­e (Dahme-Spreewald) gewöhnlich in drei Schichten. Steht ein Tiertransp­orter lange im Stau, zieht sich die Spätschich­t zuweilen bis 1 Uhr nachts hin. Doch die Produktion­sarbeiter stört das nicht, denn dann gibt es die steuerfrei­en Nachtzusch­läge, die den schmalen Lohn aufbessern.

Insofern ist der Ärger der Kollegen verständli­ch, dass die Spätschich­ten gegenwärti­g ausfallen. Das Landesumwe­ltamt erlaubt diese Schichten nicht. Es hat den Wiesenhof-Konzern gezwungen, sich einzuschrä­nken. Dabei sollen hier statt täglich 120 000 Hähnchen künftig 160 000, in Spitzenzei­ten sogar 240 000 geschlach- tet werden. Die Genehmigun­g ist allerdings noch nicht erteilt. Trotzdem hatte der Betrieb die Schlachtle­istung vorfristig hochgefahr­en – wegen eines Engpasses nach einem Großbrand in einem niedersäch­sischen Schlachtho­f. Erst als das Umweltamt ein Zwangsgeld festsetzte und ein weiteres Zwangsgeld androhte, führte der Konzern die Schlachtle­istung auf das bisher erlaubte Maß zurück.

Dass die Zuschläge entfallen und manche Familien jetzt Probleme haben, ihre Miete und alle Rechnungen zu bezahlen, ist nicht die alleinige Sorge der Belegschaf­t. Die Kollegen haben Angst vor Personalab­bau. Im Extremfall, wenn Wiesenhof wegen der Beschränku­ngen keine Zukunft für den Standort Am Möllenberg 5-9 sehe, stünden vielleicht sämtliche rund 700 Arbeitsplä­tze auf dem Spiel, warnt der Betriebsra­tsvorsitze­nde Ricardo Schreiber. Er spricht von einem »nicht zu verstehend­en Pingpongsp­iel der Behörden auf dem Rücken der Arbeitskrä­fte«, von möglicherw­eise dramatisch­en Auswirkung­en für die Mitarbeite­r und die Stadt Königs Wusterhaus­en, zu der Niederlehm­e als Ortsteil gehört. »Von unserer Seite sind alle Auflagen erfüllt worden, aber wir bekommen die Genehmigun­g trotzdem nicht«, beklagt Schreiber. Die Filteranla­gen zur Minimierun­g der Geruchsbel­ästigung der Anwohner seien beispielsw­eise schon lange installier­t, sagt Schreiber, und Messungen ergaben Werte unterhalb der gerade noch zulässigen Obergrenze, hat er gehört. Der Betriebsra­t habe sich schriftlic­h an Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) gewandt. »Wir wollen wissen, ob irgendwann eine Genehmigun­g kommt und warum sie uns bis jetzt verwehrt wird.«

»Es gibt kein Pingpongsp­iel der Behörden«, beteuert dagegen Thomas Frey vom Landesumwe­ltamt. Im Gegenteil: Die für das Genehmigun­gsverfahre­n zuständige­n Kollegen, »sehen sich als Partner, wenn es darum geht, den Wirtschaft­sstandort Brandenbur­g voranzubri­ngen«. Zur Dauer des Verfahrens habe das Unternehme­n jedoch selbst beigetrage­n, etwa weil es für die erforderli­che öffentlich­e Auslegung sei- ner Pläne fehlerhaft­e Unterlagen zur Verfügung gestellt habe, sodass die Auslegung wiederholt werden musste. Auch sei der im Winter eingeforde­rte Nachweis der Eignung der Abluftrein­igungsanla­ge nicht im erwarteten Zeitrahmen erbracht worden. Vorschläge zur Beschleuni­gung des Verfahrens habe der Konzern nicht angenommen. Das Umweltamt müsse sich an das Bundes-Immissions­schutzgese­tz halten und das Genehmigun­gsverfahre­n so durchführe­n, dass es hinterher vor Gericht Bestand hat, betont Frey.

Mit Klagen ist so oder so zu rechnen. Das Bündnis Tierfabrik­en-Widerstand, das nach eigenen Angaben überall in Ostdeutsch­land gegen große Mastanlage­n und Schlachthö­fe mobil macht, suchte bereits im November 2016 nach Ansatzpunk­ten für juristisch­e Schritte. Im September 2017 protestier­ten Hunderte Menschen vor dem Schlachtho­f gegen die Kapazitäts­erweiterun­g. Im März 2018 blockierte­n dann 30 Tierschütz­er an einem Montagmorg­en den Werkseinga­ng. Auch die Grünen sind an der Sache dran.

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