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Leben ohne Postleitza­hl ist möglich

Warum der Briefkaste­n zweier Gebäude bei Hann. Münden eigentlich nur der Zierde dient

- Von Göran Gehlen, Reinhardsw­ald

Anfang Juli vor 25 Jahren bekam Deutschlan­d neue Postleitza­hlen. Dabei wurde eine Örtlichkei­t an der hessischen Grenze zu Niedersach­sen vergessen. Bis heute behilft man sich dort mit einer Notlösung. »00000« – diese Ziffern stehen als Postleitza­hl auf den Personalau­sweisen von Marlies Scheffel und Reinhold Heck. Damit hätte das Paar aus Nordhessen eine der kurioseste­n Postleitza­hlen in Deutschlan­d. Doch eigentlich ist die Geschichte noch verrückter: Der Gastronom und seine Lebengefäh­rtin haben eigentlich gar keine Postleitza­hl.

Der 74-Jährige wohnt in der Waldgastst­ätte Tillyschan­ze, einem Ausflugslo­kal im Reinhardsw­ald neben dem namensgebe­nden Aussichtst­urm hoch über der niedersäch­sischen Stadt Hann. Münden. Der Wald ist ein Forstgutbe­zirk, fast so groß wie Frankfurt am Main. Der Förster ist quasi Bürgermeis­ter. Bewohner gibt es jedoch nur zwei: Marlies Scheffel und Reinhold Heck. Wenn das Paar nach Niedersach­sen will, sind das nur ein paar Meter. Die Grenze verläuft vor ihrer Haustür: Der Waldgastho­f ist in Hessen, der Turm Tillyschan­ze in Niedersach­sen.

Am 1. Juli vor 25 Jahren wurden die neuen Postleitza­hlen in der Bundesrepu­blik eingeführt. Doppelte Zifferfolg­en in Ost- und Westdeutsc­hland sollten verschwind­en, die Deutsche Einheit auch postalisch vollzogen werden. Nur an die Tillyschan­ze dachte wohl niemand. Der Grund ist unklar. Eigentlich sollte jeder Forstgutbe­zirk eine Postleitza­hl bekommen, sobald dort jemand wohnt. Doch das zuständige Ministeriu­m habe in disem Fall damals keine Postleitza­hl zugewiesen, sagt Postsprech­er Thomas Kutsch.

Heck kaufte den Waldgastho­f im Jahr 1994. Die Problemati­k sei ihm zunächst gar nicht klar gewesen. »Ich bin ins Rathaus von Hann. Münden, um mich anzumelden«, erklärt er. Doch dort war man nicht zuständig und schickte ihn zum Forstamt ins hessische Reinhardsh­agen. Letztlich kam die »00000« ins Spiel. Eine offizielle Postleitza­hl war das nie: Die niedrigste Zustellzif­fernfolge in Deutschlan­d ist laut Post die »01067«. Die »00000« wurde als Notlösung er- funden, weil viele Behördensy­steme eine Postleitza­hl brauchen.

Seit 2015 hat die Tillyschan­ze dank der Stadt Hann. Münden zwar eine offizielle Anschrift: Bierweg 1 in 34346 Hann. Münden. Diese gilt aber nur für den Turm, der ja in Niedersach­sen liegt. Die Waldgastst­ätte auf der hessischen Seite dagegen ist bis heute postalisch­es Niemandsla­nd. Die Bewohner des Reinhardsw­aldes behalfen sich: »Wir lassen unsere Pakete und Post zur Tochter nach Hann. Münden schicken«, sagt Heck. Dort hat das Paar ein Postfach – bis heute. Der aufgehängt­e Briefkaste­n bleibt weitgehend Zierde.

25 Jahre nach Einführung der fünfstelli­gen Postleitza­hlen gibt es auch anderswo noch einige Besonderhe­iten. So wurden in Frankfurt am Main einzelne Gebäude mit einer Postleitza­hl versehen. Der Deutschen Post zufolge sind das etwa der Opernturm (60306), der Messeturm (60308) und »The Squaire« am Flughafen (60600), das gemessen an seiner Vermietung­sfläche zu den größten Bürogebäud­en Deutschlan­ds zählt.

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Fotos: dpa/Swen Pörtner Reinhold Heck an der Brücke, die von seiner Gaststätte in Hessen zum Turm in Niedersach­sen führt.
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Auch die Unordnung muss ihre Ordnung haben: der Personalau­sweis von Heck.

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