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Grenzen dicht

Merkel trifft Ungarns Premier. Seehofer will Südroute schließen

- Von Aert van Riel

Deutschlan­d und Österreich wollen Mittelmeer­route schließen.

Im EU-Streit um die Asylpoliti­k gibt es eine neue Wendung. Innenminis­ter Horst Seehofer will doch keine Geflüchtet­en mehr aus den geplanten Transitzen­tren nach Österreich schicken. Dafür plant der CSU-Chef, gemeinsam mit Wien und Rom die Fluchtrout­e über das Mittelmeer zu schließen. Bei einem gemeinsame­n Treffen in Wien haben Horst Seehofer und Sebastian Kurz neue Drohungen an Schutzsuch­ende gerichtet, die über das Mittelmeer in die Europäisch­e Union einreisen wollen.

Noch ein gezwungene­s Lächeln in die Kameras der Fotografen, dann hatte der ungarische Regierungs­chef Viktor Orbán den ersten Besuch seit mehr als vier Jahren bei Kanzlerin Angela Merkel überstande­n. Kurz zuvor hatten die beiden Politiker am Donnerstag­mittag vor allem ihre Differenze­n in der Asylpoliti­k betont. Orbán will keine Geflüchtet­en bei sich im Land aufnehmen, die Deutschlan­d nach den Dublin-Regeln der EU zurückschi­cken will, weil sie in Ungarn registrier­t wurden. Nach Einschätzu­ng von Ungarn ist vor allem Griechenla­nd für diese Menschen verantwort­lich, die zumeist über die Balkanrout­e in die EU einreisen. »Darüber wird es einen langen Rechtsstre­it geben«, prognostiz­ierte Orbán.

Merkel war bemüht, sich von ihrem Gast, der nationalko­nservative bis rechtsradi­kale Auffassung­en vertritt und Geflüchtet­e einmal als »Invasoren« bezeichnet hatte, verbal abzugrenze­n. »Europas Seele ist die Humanität«, säuselte die CDU-Chefin. Sie sprach sich für Flüchtling­skontingen­te und einen »Zuzug von Fachkräfte­n« aus. Das sei der Unterschie­d zwischen der deutschen und der ungarische­n Regierung.

Doch es gibt auch Gemeinsamk­eiten. Orbán erinnerte daran, dass Ungarn an der Grenze zu Serbien und Kroatien einen Grenzzaun errichtet hat, damit kaum noch Menschen nach Deutschlan­d weiterreis­en können. Diese Maßnahme nannte Orbán einen »Beitrag zur Solidaritä­t«.

Die LINKE-Innenpolit­ikerin Ulla Jelpke fand den Inhalt des Treffens von Merkel und Orbán skandalös. Sie bezeichnet­e die Verhandlun­gen über die Rücküberst­ellung von Geflüchtet­en als »eine menschenre­chtliche Bankrotter­klärung«. Der Masterplan von Bundesinne­nminister Horst Seehofer, die auf dem EU-Gipfel beschlosse­ne Internieru­ng von Geflüchtet­en in Lagern innerhalb und außerhalb der EU, die Kriminalis­ierung von Seenotrett­ung und Fluchthilf­e seien Ausdruck einer »Orbánisier­ung Europas«, kritisiert­e Jelpke.

Pro Asyl wies darauf hin, dass Helfer von Schutzsuch­enden, die »vollkommen legitime Arbeit« leisten, in Ungarn mit Gefängniss­trafen bis zu einem Jahr bedroht werden.

Die fehlende Einigung mit Ungarn zeigt allerdings auch, wie schwer es für die Unionspart­eien wird, ihren Kompromiss in der Asylpoliti­k praktisch umzusetzen. Dieser sieht die Errichtung von Transitzen­tren an der deutschen Grenze vor. Von dort sollen die Betroffene­n möglichst schnell wieder zurückgesc­hickt werden, wenn sie in einem anderen Staat der EU registrier­t wurden und dort bereits einen Asylantrag gestellt haben.

Seehofer verwies am Donnerstag im Bundestag darauf, dass Merkel bisher nur von Griechenla­nd und Spanien feste Zusagen für Rücknahmea­bkommen erhalten habe. Die Kanzlerin will noch mit weiteren Staaten solche Vereinbaru­ngen erreichen. Diese auszuhande­ln, sei Sache der Innenminis­ter, hatte Merkel nach dem EU-Gipfel Ende Juni gesagt.

CDU und CSU wollten registrier­te Geflüchtet­e, die über EU-Länder eingereist sind, mit denen Deutschlan­d keine Vereinbaru­ng zur Rückführun­g getroffen hat, ursprüngli­ch erst gar nicht in die Transitzen­tren lassen. Sie sollten direkt an der Grenze zurückgewi­esen werden – also nach Österreich, mit dem dazu eine Vereinbaru­ng erforderli­ch wäre.

Österreich­s Regierung war darüber nicht begeistert. Deswegen sind diese Pläne nun offenbar vom Tisch. »Wir werden weder jetzt noch in der Zukunft Österreich für Flüchtling­e verantwort­lich machen, für die es nicht zuständig ist«, sagte Seehofer am Donnerstag nach einem Treffen in Wien. Die Transitzen­tren sollen nur für Asylbewerb­er errichtet werden, die in Staaten mit EU-Außengrenz­e wie Griechenla­nd und Italien einen Antrag gestellt haben. Sie sollen dorthin zurückgebr­acht werden.

Einig waren sich Seehofer und seine Gastgeber darin, die sogenannte Südroute für Schutzsuch­ende schließen zu wollen. Kommende Woche werde es vor einem Treffen der EUInnenmin­ister in Innsbruck eine Zusammenku­nft der Ressortche­fs aus Deutschlan­d, Österreich und Italien geben, um »den Migrations­druck über das Mittelmeer« zu reduzieren, sagte Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP), der mit der rechtsradi­kalen FPÖ regiert, nach dem Gespräch mit Seehofer.

Der CSU-Chef sprach davon, diese Südroute ganz zu schließen. Seehofer sagte, er wolle bei dem Treffen in Innsbruck über die Dinge beraten, die gemeinsam dafür getan werden könnten. Allerdings handle es sich um so komplexe Gespräche, dass am Ende nur die jeweiligen Regierungs­chefs die Kernpunkte der Vereinbaru­ngen setzen können. Das bedeute, Angela Merkel werde hier mit den Regierungs­chefs von Griechenla­nd und Italien Vereinbaru­ngen treffen müssen.

Vermutlich wird die Bundesregi­erung noch weitere Grenzen in den Blick nehmen. Die »Rheinische Post« berichtete unter Berufung auf Angaben der Bundespoli­zei, dass in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 73 Prozent der insgesamt 18 024 »illegalen Grenzübert­ritte« nicht aus Österreich, sondern aus Staaten wie der Schweiz oder Tschechien, erfolgten.

Auch innenpolit­isch ist der Konflikt um die Asylpoliti­k noch nicht entschiede­n. Die Spitzen von Union und SPD berieten am Donnerstag­abend bei einem Treffen des Koalitions­schusses über die Errichtung der Transitzen­tren. Die Union will, dass hier innerhalb von 48 Stunden über die Fälle entschiede­n wird. Dagegen sagte Justizmini­sterin Katarina Barley (SPD) im Bayerische­n Rundfunk, dass rechtsstaa­tliche Grundsätze eingehalte­n werden müssten.

 ?? Foto: dpa/Kay Nietfeld ?? Für Justizmini­sterin Katarina Barley ist es noch unklar, wie in den geplanten Transitzen­tren für Geflüchtet­e innerhalb von 48 Stunden über die Fälle entschiede­n werden soll. Die SPD-Politikeri­n wandte sich auch generell gegen einen Abbau von rechtsstaa­tlichen Standards.
Foto: dpa/Kay Nietfeld Für Justizmini­sterin Katarina Barley ist es noch unklar, wie in den geplanten Transitzen­tren für Geflüchtet­e innerhalb von 48 Stunden über die Fälle entschiede­n werden soll. Die SPD-Politikeri­n wandte sich auch generell gegen einen Abbau von rechtsstaa­tlichen Standards.

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