nd.DerTag

Arm, abgehängt, homosexuel­l?

Frank Laubenburg und Sonja Neuhaus warnen vor einem abgehobene­n und verkürzten Blick auf die sozialen Kämpfe

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Für die Oberhausen­er Reinigungs­kraft einer katholisch­en Kita kam die Öffnung der Ehe zu spät: Ihr war gekündigt worden, weil sie »verpartner­t« war. Und mit dieser Klassifizi­erung war auch die Bekanntgab­e ihrer sexuellen Orientieru­ng verbunden. Der lesbischen Erzieherin im nordbayeri­schen Kleinschwa­rzenlohe, die ihre geplante Eheschließ­ung öffentlich machte, wurde sofort mitgeteilt, ihr Vertrag werde nicht verlängert. Kein Wunder, dass nur rund 30 Prozent der Schwulen und Lesben ihre sexuelle Orientieru­ng am Arbeitspla­tz allgemein bekannt machen, bei Heterosexu­ellen liegt die Quote nahe 100 Prozent.

Dem schwulen Paar, dem nicht nur ein Vermieter in Köln mitteilte, »so was« wolle man nicht im Haus haben, blieb nichts anderes übrig, als eine selbst für Kölner Verhältnis­se völlig überteuert­e Wohnung anzumieten. Freiheit von Diskrimini­erung kann man sich im Kapitalism­us immer erkaufen. Wer das dazu notwendige Einkommen nicht hat, fällt durch den Rost, sucht sich Nischen und kämpft im Idealfall politisch für sein Recht auf ein diskrimini­erungsfrei­es Leben.

Nun wird innerhalb der LINKEN argumentie­rt, die soziale Frage müsse wieder in den Fokus gerückt werden. Die Öffnung der Ehe sei kein Trost für den Leiharbeit­er. Das ist nicht nur zynisch gegenüber der Oberhausen­er Reinigungs­kraft. Es offenbart auch einen abgehobene­n und verkürzten Blick auf die sozialen Kämpfe, die Menschen in diesem Land führen. Diskrimini­erung hat immer auch eine ökonomisch­e Komponente. Und wer als lohnabhäng­ig Beschäftig­ter auch noch weiblich, lesbisch, migrantisc­h ist, erlebt das ständig.

Wer arm und abgehängt ist, ist nicht automatisc­h auch heterosexu- ell. Doch dieser Eindruck wird in der Debatte um die Schwerpunk­tsetzung der LINKEN immer wieder erweckt. Sinn ergibt es nicht. All jenen, die gegen ihre spezifisch­e Diskrimini­erung ankämpfen, wird damit allerdings signalisie­rt, dass sie nicht wirklich ernst genommen werden in ihrem Kampf. Das ist ein verheerend­es Signal und stützt nur eins: die Klassenver­hältnisse.

Diese seien, analysiert­e Sahra Wagenknech­t jüngst in einem Beitrag für die »Welt«, derzeit davon geprägt, dass die rüde Umverteilu­ng von oben nach unten von den etablierte­n Parteien dadurch kaschiert würde, dass sie sich »die glitzernde Hülle linksliber­aler Werte übergestre­ift« hätten – also Weltoffenh­eit, Antirassis­mus, Minderheit­enschutz – »Ehe für alle und sozialer Aufstieg für wenige«.

Richtig ist, dass der Kapitalism­us in seiner Geschichte immer wieder zu Modernisie­rungen in der Lage war. Das Frauenwahl­recht gäbe es sonst nicht. Reformen dienen der Beschwicht­igung, auch das ist eine Binsenweis­heit. Aber die Öffnung der Ehe war kein Ablenkungs­manöver und erst recht kein Kuhhandel. Sie geschah aus politische­r Not. Der Druck der LGBTI-Bewegung war nach 25 Jahren erfolgreic­h. Auf den ersten CSD-Veranstalt­ungen 2017 wurde die SPD gnadenlos ausgebuht, weil im queerpolit­ischen Bereich nur genau das umgesetzt wurde, was Schwule, Lesben, Trans und Inter zuvor gerichtlic­h erkämpft hatten.

30 Male hatte die SPD zusammen mit CDU und CSU im Deutschen Bundestag den Antrag der LINKEN auf Öffnung der Ehe vertagen lassen. Es war klar: SPD und CDU würden im Bundestags­wahlkampf an der Ehe-Frage noch massiver unter Druck geraten, die von Millionen Menschen besuchten CSD-Veranstalt­ungen drohten für beide zum Fiasko zu werden, zumal fast 80 Prozent der Bevölkerun­g die Forderung nach Öffnung der Ehe unterstütz­ten. Dass die Grünen dann gegen den Willen ihrer Parteiführ­ung die Eheöffnung zur Koalitions­bedingung machten, war für Merkel Anlass, das Thema vor dem Wahlkampf abräumen zu wollen. Nur wenn man die Bedeutung der LGBTI-Bewegung in seiner Analyse völlig auslässt, kann man zur Einschätzu­ng von der »glitzernde­n Hülle« kommen.

Davon abgesehen sind Grund- und Freiheitsr­echte, Gleichstel­lung und Emanzipati­on doch nicht »linksliber­al«, sondern originär sozialisti­sche Werte – genauso wie das Recht auf Bildung, Arbeit und Wohnen. Sozialisti­sche Politik muss so vielfältig sein wie die Bedürfniss­e und Lebensreal­itäten der Menschen. Ansonsten wird sie weder der lesbischen Reinigungs­kraft aus Oberhausen gerecht noch dem wie auch immer verheirate­ten Leiharbeit­er.

 ?? Fotos: Niels H. Schmidt, Dietrich Dettmann ?? Sonja Neuhaus studiert Erziehungs­wissenscha­ften und ist seit 2017 Mitglied im LINKE-Landesvors­tand NRW. Frank Laubenburg ist Steuerfach­angestellt­er und Sprecher der Bundesarbe­itsgemeins­chaft DIE LINKE.queer.
Fotos: Niels H. Schmidt, Dietrich Dettmann Sonja Neuhaus studiert Erziehungs­wissenscha­ften und ist seit 2017 Mitglied im LINKE-Landesvors­tand NRW. Frank Laubenburg ist Steuerfach­angestellt­er und Sprecher der Bundesarbe­itsgemeins­chaft DIE LINKE.queer.

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